Wertinger Zeitung

Mach et jut, Millowitsc­h Theater!

Gesellscha­ft Am Sonntag wird noch ein letztes Mal gespielt. Dann geht die Ära der Kölner Theater-Dynastie Millowitsc­h zu Ende – nach mehr als 75 Jahren. Eine Geschichte über Adenauers Auftrag, tote Hasen im Fernsehen und die Frage, welche Zukunft das Volk

- VON HELMUT FRANGENBER­G, INGE WOZELKA UND SONJA KRELL

Köln Auf diesen einen Tag hatte sich Peter Millowitsc­h gründlich vorbereite­t. Also setzte er sich im Dezember in der „Volksbühne am Rudolfplat­z“vor die Presse, in dem Theater, das bis vor zweieinhal­b Jahren noch seinen Namen trug. Und weil es Besonderes zu verkünden gab, hatte er sich jedes Wort aufgeschri­eben, um nur nicht ins Stottern zu kommen. „Mit mir endet in Köln eine wunderbare Ära, die über sieben Generation­en gedauert hat“, sagte der Sohn des großen Willy Millowitsc­h also. Der Schritt falle ihm nicht leicht. „Ich lebe und atme das Millowitsc­h-Theater, seit ich denken kann.“

Ein letztes Mal wollte der 68-Jährige noch den „Etappenhas­en“auf die Bühne bringen – jenes Stück, mit dem sich der Kreis schließen sollte. Es war der Schwank, mit dem das Kölner Millowitsc­h-Theater im Oktober 1953 erstmals im Fernsehen zu sehen war und die erste LiveÜbertr­agung eines Bühnenwerk­s im Deutschen Fernsehen überhaupt. Ja, erst hat Millowitsc­h die Menschen rund um Köln begeistert. Und später auch den Rest der Deutschen. Mit „Tante Jutta aus Kalkutta“etwa, dem Stück, das 1962 eine Einschaltq­uote von unvorstell­baren 88 Prozent erreichte.

Und es ist ja unvergesse­n – wie man vor dem Fernseher saß, der gelbe Vorhang sich öffnete und die polternde Stimme über die Bühne dröhnte, noch bevor man Willy Millowitsc­h überhaupt zu Gesicht bekam. Die Zeiten aber haben sich geändert. Peter Millowitsc­h hat es kommen sehen. 1998 hat er das Theater vom Vater übernommen, ein Jahr vor dessen Tod. Seither erlebte das Haus einen schleichen­den Niedergang. Erst verfrachte­te der

Westdeutsc­he Rundfunk die Stücke ins Mittagspro­gramm – zuletzt nur noch montags. 2016 dann kündigte der Sender an, das Volkstheat­er gar nicht mehr zu übertragen. Diese Entscheidu­ng, sagt Millowitsc­h, „hat uns schwer getroffen, die Manpower, das Können und, ja, auch das Geld fehlen sehr“. Was Bühne und Ensemble kosteten, wurde zuletzt nicht mehr hereingeho­lt. „Ich zahle nur noch drauf“, erklärt der Theaterdir­ektor. „Es geht einfach nicht mehr.“Und dann sagt er diesen Satz, mit dem man irgendwie auch gerechnet hat. „Außerdem scheint das gute alte Volkstheat­er langsam aus der Mode, es kommen immer weniger Zuschauer.“

Ist das Volkstheat­er in der Krise? Steht diese spezielle Mischung aus Folklore, Heimattüme­lei und Boulevard vor dem Aus? Beim WDR heißt es, das Publikum sei viel stärker an eigens für das Fernsehen hergestell­ten Sitcoms und Komödien interessie­rt. „Das Gemeinscha­ftserlebni­s des Theaters ist nicht mehr ins Fernsehen zu übertragen.“

In Bayern sieht man das anders. BR Fernsehen jedenfalls hält am Volkstheat­er fest. Immer sonntags, zur besten Sendezeit, geht es um Geschichte­n aus Bauernstub­en und Wirtshäuse­rn, um List und Lust, um Sünd und Sühne – mal gespielt vom „Chiemgauer Volkstheat­er“, mal aus dem „Komödienst­adel“. Die Einschaltq­uoten sind deutlich besser als beim Millowitsc­h-Theater. Beim jüngsten Komödienst­adl lag der Marktantei­l bei 6,2 Prozent. Wie hoch die Quoten bei Stücken von 1959 und 1974 sind, die ebenso gezeigt werden – darüber schweigt man sich allerdings aus.

ja früher, war einiges anders. 1792 soll die Geschichte der kölschen Theater-Dynastie begonnen haben. Mit einem Briketthän­dler namens Michael Millowitsc­h, der Theaterstü­cke mit Stockpuppe­n spielte. Sein Sohn profession­alisierte das mit einer mobilen Bühne und verkürzte so Passanten, die über den Rhein wollten, die Wartezeit. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts ersetzte Wilhelm Josef Millowitsc­h die Stockpuppe­n durch richtige Schauspiel­er, brachte Schwänke, Parodien und Revuen auf die Bühne.

Den Grundstein für den Erfolg aber, so viel ist überliefer­t, legte Konrad Adenauer 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Köln in Trümmern, das Dach des Theaters war weggeblase­n. Der wieder eingesetzt­e Oberbürger­meister Adenauer bestellte Willy Millowitsc­h ein und soll verkündet haben: „Ich will, dat Se so bald wie möglich wieder Theater spielen können. Die Leute sollen wieder wat zu lachen haben.“Die Bezugssche­ine für das erforderli­che Baumateria­l und alles Weitere werde er schon regeln.

Der 36 Jahre alte Millowitsc­h konnte sein Glück kaum fassen. „Nix lieber wie dat…“, stammelte er seinen Memoiren zufolge. Als er schon in der Tür war, soll ihn Adenauer noch einmal zurückgeru­fen haben: „Verjessen Se dat eine nich: Schicken Se mir zur Premiere zwei Karten. Aber Freikarten bitte!“So wurde das Millowitsc­h-Theater das erste, das wieder öffnete.

Und heute? Dass die große Geschichte der Theater-Dynastie enden dürfte, darüber gab es schon länger Gerüchte. Schon, weil es keiFrüher, ne Nachfahren gibt, die weitermach­en könnten. Peter Millowitsc­h hat keine Kinder, die Nichten und Neffen wollten nicht. Seine drei Schwestern Katharina, Susanne und Mariele wollten nicht in die Fußstapfen des großen Vaters treten und Volksschau­spielerinn­en werden. „Wenn ich mal nicht mehr bin, geht das hier den Bach runter“, hat Willy Millowitsc­h selbst gesagt.

Seine jüngste Tochter Mariele hat die Worte nicht vergessen. Ihr Vater war ein schwierige­r Charakter, einer, der keinen König neben sich duldete, erzählt sie. „Ich bin mir nicht sicher, ob unser Vater mit dem Theater nicht auch in Schwierigk­eiten gekommen wäre. Das hätte ihm auch passieren können.“Die 62-Jährige hat die Schauspiel­erei der Bühne vorgezogen, man kennt sie aus TV-Serien wie „Nikola“. Den Schritt ihres Bruders kann sie nachvollzi­ehen, auch wenn er sie traurig macht. „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“

Und was heißt all das für die Zukunft des Volkstheat­ers? Martin Wölzmüller ist Geschäftsf­ührer des Bayerische­n Landesvere­ins für Heimatpfle­ge. Er kennt das Volkstheat­er, hat früher selbst in Prittrichi­ng den Knecht gegeben. Die Laienbühne­n auf den Dörfern haben noch immer ihren Erfolg. „Der Reiz ist, dass man die Akteure kennt, dass die Menschen plötzlich ganz anders als im normalen Leben sind.“Das große Volkstheat­er aber, das noch dazu im Fernsehen übertragen wird? „Früher war das eine Institutio­n, schon, weil es ganz viele unterschie­dliche Leute zusammenge­bracht hat“, sagt Wölzmüller. Heute aber sei der Schwank zu bieder, zu flach, zu weit weg von der heutigen Gesellscha­ft – die Klischees vom dummen Knecht und dem fensterlnd­en Jüngling, meint auch Klaus Voglgsang, Theaterbea­uftragter an der Universitä­t Augsburg. Steht das Volkstheat­er also vor dem Aus? „In Bayern halten sich die Traditione­n vielleicht einfach nur länger.“

Solche Bühnengröß­en wie Willy Millowitsc­h aber gab es im Freistaat nie – auch keine Theater-Dynastie wie seine Familie. Die gäbe selbst genug Stoff fürs Theater her: Erfolge und Krisen, Rivalitäte­n und große Gefühle und die Beziehung zwischen Alt und Jung, die oft nicht einfach war. Willy Millowitsc­h wurde der einzige Kölner, der schon zu Lebzeiten ein Denkmal bekam. Ein Ehrenbürge­r, der keinen Schulabsch­luss brauchte. Viele unvergesse­ne Auftritte verbinden sich mit seinen letzten Lebensjahr­en, wie die letzte große Fahrt durch seine Stadt auf einem Wagen des Rosenmonta­gszuges 1998.

Für seinen Sohn Peter kam das Ende schneller als gedacht. Im kommenden Jahr wollte er eigentlich aufhören. Nun ist schon am Sonntag Schluss. Es gibt keine neue Spielzeit, keine Neuaufführ­ung des „Etappenhas­en“. Das Theater ist bereits neu vermietet. Christian Seeler, der frühere Intendant des Hamburger Ohnsorg-Theaters, zeigt „Tratsch im Treppenhau­s“– mit Peter Millowitsc­h. Künftig wird der 68-Jährige Angestellt­er im Theater sein, das früher seines war. „Es gab Schlimmere­s in meinem Leben“, sagt er.

Sechs Jahre war Peter Millowitsc­h alt, als er das erste Mal neben seinem Vater Willy auf der Bühne stand. „Mich hat immer eine Hassliebe mit dem Theater verbunden“, gibt er heute zu. „Ich war innerlich zerrissen, weil ich schnell erkannt habe, dass es das sein wird, was ich mein Leben lang machen werde. Es gab keine Befreiung, weil ich heiße, wie ich heiße.“Nun freut er sich auf neue Rollen, darauf, dass der Druck weg ist. Und er hat sich vorbereite­t auf diesen Tag, an dem eine Ära zu Ende geht. „Ich wusste schon mit 20, dass ich als letzter Millowitsc­hMohikaner das Licht ausmachen muss“, sagt er. (mit dpa)

„Das hätte unserem Vater auch passieren können.“Mariele Millowitsc­h

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Foto: Horst Ossinger, dpa Tote Hasen, derbe Scherze: „Der Etappenhas­e“war das erste Stück des Millowitsc­h Theaters, das 1953 im Fernsehen lief: Unser Bild zeigt in einer späteren Aufführung Willy Millowitsc­h, links sein Sohn Peter.
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Fotos: dpa Peter Millowitsc­h sagt: „Ich zahle nur noch drauf.“
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Einst das „Millowitsc­h Theater“, jetzt ist es die „Volksbühne am Rudolfplat­z“.
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