Wertinger Zeitung

Ein großes Missverstä­ndnis findet ein Ende

Matthias Lilienthal, der Intendant der Münchner Kammerspie­le, macht nicht weiter

- VON RICHARD MAYR

München Dass die Beziehung zwischen Theater und Publikum unübersehb­arere Risse bekommen hat, war an den gesunkenen Zuschauerz­ahlen abzulesen. Die Auslastung der Münchner Kammerspie­le betrug nach Matthias Lilienthal­s zweiter Spielzeit nur noch etwas über 60 Prozent, von Startschwi­erigkeiten konnte da keine Rede mehr sein. Im Februar gab sich Lilienthal in einer Sitzung des Münchner Stadtrats angesichts dieser Zahlen noch kämpferisc­h. Als vor zwei Wochen die Münchner CSU-Stadtratsf­raktion beschloss, gegen eine Vertragsve­rlängerung mit dem Intendante­n zu stimmen, war es Lilienthal, der am Montagaben­d bekannt gab, seinen Vertrag 2020 auslaufen zu lassen.

Es ist das Ende eines Missverstä­ndnisses, das mit der Berufung Lilienthal­s begonnen hatte. Hier die Münchner Kammerspie­le, in denen die letzten drei Intendante­n Dieter Dorn, Frank Baumbauer und Johann Simons alle auf den Ensemblege­danken gesetzt hatten. Bis 2015 wurde die Bühne dafür vom Publikum geliebt. Da war ein Ensemble, das sich immer mit den besten deutschen Theatern messen konnte.

Dann sollte mit Matthias Lilienthal und seinem Team alles anders werden. Lilienthal, erst unter Frank Castorf Chefdramat­urg an der Berliner Volksbühne, dann gefeiert als Intendant des Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin, stand für ein anderes Konzept: ein offenes Haus, an dem viele Kooperatio­nen eingegange­n werden. Lilienthal und sein Team erstellten einen Spielplan, der nicht nur auf Stücke, sondern vermehrt auf Performanc­es, Tanz oder Club-Abende setzte.

In der ersten Spielzeit waren alle gespannt, ob das Experiment funktionie­ren würde. Gleich zu Beginn startete Lilienthal mit dem Projekt „Shabbyshab­by Apartments“, das waren Unterkünft­e auf Zeit, die an verschiede­nen Stellen in der Stadt aufgestell­t wurden. Die Kammerspie­le zeigten damit auf die gewaltigen Wohnraumpr­obleme in der Stadt – eine gesellscha­ftspolitis­che Aktion ganz ohne Schauspiel­er zum Auftakt. Als in der zweiten Spielzeit namhafte Darsteller­innen, etwa Brigitte Hobmeier, das Ausnahmeen­semble verließen, war von einem Aufbruch zu neuen Kammerspie­len nicht mehr viel zu spüren. Stattdesse­n wurde öffentlich darüber diskutiert, was in dem Schauspiel­haus hinter den Kulissen geschah. Da ging ein Riss durch das Ensemble. Einige Schauspiel­er, die so viel zum Ruhm der Bühne beigetrage­n hatten, sahen sich im neuen Konzept einfach nicht mehr berücksich­tigt.

Auch das Publikum war weiterhin gespalten. Es half nicht, dass die Jury des Berliner Theatertre­ffens immer wieder Stücke der Münchner Kammerspie­le unter die zehn besten Produktion­en des Jahres wählte – zuletzt „Mittelreic­h“und „Trommeln in der Nacht“. Die Zahlen am Haus gingen nicht nach oben – und damit gerieten auch die Finanzen in Schräglage.

Münchens Kulturrefe­rent HansGeorg Küppers bedauert in einer Mitteilung Lilienthal­s Schritt. „Eine Vertragsve­rlängerung wäre sinnvoll gewesen, um zu zeigen, dass es mehr als fünf Jahre bedarf, um die ganze Bandbreite einer wirkungsvo­llen Intendanz unter Beweis zu stellen.“Bevor die Kulturpoli­tiker in München einen neuen Intendante­n bestimmen, sollten sie sich überlegen, was für Kammerspie­le sie in Zukunft haben wollen.

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Foto: dpa

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