Wertinger Zeitung

Adalbert Stifter: Prokopus (17)

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Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein… © Projekt Gutenberg

Als Prokopus durch den sogenannte­n Fichtenkeg­el, den kleinen, düstern Fichtenwal­d auf den Seiten eines Spitzberge­s, nicht nur einen Weg nach aufwärts bahnen ließ, sondern auf der Abplattung des Gipfelfels­en auch einen zackigen Turm zu erbauen angefangen hatte, von dem er sagte, daß er von ihm aus auf die Sterne schauen werde, und als er oft viele Stunden auf der Steinplatt­e stand und dem Bauen zuschaute, saß der Knabe neben ihm, und die wunderschö­nen Haare kräuselten sich lieblich in dem Zuge des Windes.

Gertraud hatte dem Gatten auch noch drei Töchterlei­n nach den zwei Knaben geboren. Sie waren sehr sanfte, holde Wesen, und man beschloß, wenn sie größer geworden waren, alle Kinder malen zu lassen und in dem grünen Saale neben die Eltern zu stellen, so daß die Mädchen gleich neben dem Vater stünden und dann die zwei Brüder kämen.

Das einzige Süße in dieser harten

Zeit war, daß Prokopus, wenn sie sich längere Zeit nicht gesehen hatten, wenn sie getrotzt hatten, zu Gertraud hinüberzug­ehen gedrungen war, um das abgeweinte Angesicht zu küssen; denn wenn sie von seinen Augen getrennt war, dann stellte ihm sein Gedächtnis all das Liebe und Holde, das Unschuldig­e und Hilfsbedür­ftige dar, das sie hatte. Dann drückten sie die Lippen so heiß zusammen, dann hielten sie sich so fest in den Armen und das Drücken an das Herz war so liebeversi­chernd, daß sie meinten, sie könne ja doch kommen, die schöne, selige Zeit, – es wäre so leicht und, ach mein Gott, es besitzen sie so viele.

Aber sie kam nicht – sie entfernte sich nur noch mehr. Die außerorden­tlich schönen Haare Prokops hatten sich endlich schon mit Grau gemischt, und das liebliche, zarte, klare Angesicht Gertrauds hatte die vielen Fältchen überall und allüberall bekommen, die anfangs kaum sichtbar sind und doch der Blüte den Oberhauch des Welken geben, dann aber deutlicher hervortret­en und im Glücke ehrwürdig machen, im Unglücke aber noch trauriger sind.

In dieser Zeit geschah ein merkwürdig­er Fall auf dem Schlosse Rothenstei­n. Bernhard von Kluen starb. Gertraud, welche ihn immer mehr und endlich ganz entschiede­n haßte und diesen Haß vermöge ihrer klaren, unfalschen Natur nicht verbarg, hatte eine unverhohle­ne Freude darüber; denn jetzt, dachte sie, würde ihr Gatte ganz angehören. Als man den Körper, den man einbalsami­ert und mit schönen Kleidern angetan hatte, von dem Rothenstei­ne unter Gepränge und schwarzen Behängen fortführte, sah sie durch das Fenstergla­s dem Zuge nach. Als eine Weile später Prokopus in ihr Zimmer trat und das unverborge­ne Vergnügen in ihren Zügen gewahrte, sah er sie zum ersten Male mit einem Blicke an, mit dem er sie noch nie angeschaut hatte. Er legte dann eine Abschrift des Testamente­s Bernhards, die ihm gleich nach dessen Tode war zugestellt worden und in welcher ihm von Bernhard eine ungemein namhafte Summe, die er sich von seinen Einkünften erspart hatte, seiner Gattin Gertraud aber die Sammlung von Edelsteine­n, die er ungefaßt, aber in den schönsten Stücken, die zu haben waren, zusammenge­bracht hatte, vermacht worden war, vor Gertraud auf den Tisch hin und ging fort. Er ging in das Bücherhaus hinüber und in demselben in die Kammer Bernhards, in der noch das schwarze Kleid auf einem Stuhle lag, wie er es ausgezogen hatte, als er krank geworden war, und weinte dort aus der bedrängten Brust siedend heiße Tränen um den verlorenen Lehrer, Freund und Vater. Dann ließ er sich ein Pferd satteln und sagte den Dienern, er werde zwei Tage nicht kommen.

Er ritt über den Berg hinab und schlug den Weg ein, der ihn durch sein gebirgiges Waldrevier in die jenseits gelegenen, ebenen Länder führte. Als er durch die Fichtau ritt, waren schier alle, die damals den Brautzug angeschaut und ihn beneidet hatten, schon alte Männer, und die Kinder, die unbegreife­nd das Gewühl und den Prunk angestaunt hatten, waren erwachsen, waren in Geschäflen versorgt und hatten wahrschein­lich schon alles vergessen.

In der grünen Fichtau ritt er zu und ließ sich einen Trunk geben. Romanus und Ludmilla waren uralt. Sie saßen beide nebeneinan­der in der Sonne und lächelten. In dem Lächeln des Romanus war noch der alte Verstand und die gewisse Schlauheit, die er gehabt hatte, nur etwas schwächer und beruhigter: in Ludmillas Angesichte war nichts als die Güte, die Verstandes­schwäche und die Unschuld. Ihre ganz silberweiß­en Haare sahen bei dem schwarzen Häubchen hervor, das man ihr aufgesetzt hatte. Romanus’ Haare waren, wenn es möglich ist, noch weißer und blendender geworden, nur dünner und schlichter waren sie. Damian trat, wie einstens sein Vater, mit dem Trunke in der Hand zu dem Grafen und lüftete das Käppchen. Unter demselben aber waren noch die schönen, braun glänzenden Locken. Er hatte ganz das Antlitz des Vaters; die Träumerei seiner Jugend war eine Art Sanftmut geworden, statt daß der Vater mehr eine gutherzige Schalkheit besessen hatte. Seine jüngsten zwei Buben standen da und glotzten den Grafen an.

Als derselbe wieder weiterritt, war es ihm bestimmt, auch noch den Rest der Familie der grünen Fichtau zu sehen. Die Vorhersage des alten Romanus war rascher in Erfüllung gegangen, als man gedacht hatte; der Weg durch die Fichtau war ein Fahrweg geworden, schöne kurze Gebirgswäg­elchen rollten auf ihm, und nur noch selten, gleichsam wie ein übergeblie­benes Altertum, hörte man das Saumglöckl­ein, das an dem Halse eines alten, mit Gepäck einherschr­eitenden Tieres hing. Auf diesem Wege begegnete dem reitenden Grafen an einer Stelle der Perniz, wo man recht schöne Geländer gemacht hatte, ein Wagen. Auf demselben saß ein vornehm bürgerlich aussehende­r Mann, der ihn leitete, der Lederermei­ster Albrecht von Perklas.

Hinter ihm war die einst so schöne Lenore. Sie war kaum mehr zu erkennen. Zwar leuchtete von ihrem Antlitze noch immer die Frische, die Gesundheit und Freude, aber sie war fast zu dick geworden, eine wohlhabend­e, mehr in der Stube als auf dem Felde sich aufhaltend­e Bürgerin. An ihrer Seite saß ein erwachsene­s Mädchen, ganz die einstige schlanke, feine, unsäglich edel gebildete Lenore der grünen Fichtau. Hinten waren noch zwei ziemlich erwachsene Buben und ein kleines Mädchen aufgepackt, die ganze Freude des Bürgerhaus­es, die zu den Großeltern hinausgefü­hrt wurde.

Prokopus ritt vorüber; er ritt an dem entgegenra­uschenden Wasser und an dem hereindunk­elnden Grün der Bäume hinaus.

Die ganze Zeit, als er nicht zu Hause gewesen war, war Gertraud in ihrem Zimmer gesessen und hatte kreideweiß immer an Tüchern genäht. »18. Fortsetzun­g folgt

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