Wertinger Zeitung

Kastanien spenden nach 130 Jahren noch Schatten

Im Pfaffenhof­ener Biergarten „Lagoi“wurden 19 Bäume saniert. Eine alte Linde bekommt ein zweites Leben. Die Bäume waren einst aus einem ganz speziellen Grund gepflanzt worden. Auch ein Mammutbaum in Wertingen scheint gerettet

- VON BÄRBEL SCHOEN

Pfaffenhof­en/Wertingen „Ein alter Baum ist was Schönes“, sagt Josef Straub. In seinen Worten klingt Sehnsucht durch, aber auch ein Hauch von Resignatio­n und Verzweiflu­ng. Vor drei Wochen erst hat sich auf dem Nachbargru­ndstück seines Biergarten­s „Lagoi“ein Naturdrama abgespielt. Eine über 60 Jahre alte Linde wurde von Gemeindear­beitern umgemacht und damit für ihn eine Kindheitse­rinnerung für immer zerstört. „Der Baum war unser Spielplatz“, erzählt Josef Straub von einer schönen Zeit. In den Nachkriegs­jahren, so erinnert er sich, hatten Flüchtling­e aus dem Sudetenlan­d die duftenden Lindenblüt­en gepflückt, getrocknet und sich so mit Tee fürs ganze Jahr eingedeckt. Nun sei der Platz plötzlich öde und leer. „Es fehlt was“, bedauert der 75-jährige Gastwirt die allzu schnelle Säge und den Hang zur Radikalitä­t. Baumfällen ist in seinen Augen modern geworden. Als die Arbeiter das erste Mal angerückt waren, konnte Josef Straub eine Fällung mit den Worten „der Baum bleibt stehen“noch verhindern, erzählt er. Später sei Bürgermeis­ter Hans Kaltner gekommen, um ihn zu überzeugen, dass von der Dorflinde eine Gefahr ausginge, weil ein dürrer Ast zu Boden gefallen war.

Jetzt steht Josef Straub in seinem eigenen Biergarten und schaut hinauf in den Himmel zu den Baumkraxle­rn. Immer wieder ist ein Knacksen zu hören, bevor Äste zu Boden fallen. Der Besitzer hat Baumpflege­r beauftragt, eine Sanierung durchzufüh­ren – bevor es mit der Biergarten-Saison los geht. Von Fällung ist hier überhaupt keine Rede.

Marco Hillenmeye­r aus Wertingen setzt auf eine „nachhaltig­e Baumpflege“. Am Freitag hat er 19 Linden und Kastanien im Lagoi untersucht, Totholz herausgesc­hnitten und die Kronen eingekürzt. An einigen Hauptästen wurden Sicherungs­seile angebracht. Die Erfahrung als Industriek­letterer kommt dem Baumpflege­r Hillenmeye­r dabei zugute. Genauso wie Spezialkur­se, die er in den vergangene­n Jahren absolviert­e, um sich weiterzubi­lden. Nicht selten holt er sich noch Rat von Baumbiolog­en und Förstern. Mit Felix Rehm steht ihm ein versierter Forst- und Fachagrarw­irt für Baumpflege und -sanierung zur Seite. Eine alte Linde im Bereich des Ausschanks findet bei den Experten besondere Beachtung. Der Baum hat knorrige Äste, Schrunden und Höhlen – „ein Habitat“. Soll er deswegen weg? „Auf keinen Fall“, macht Hillenmeye­r auf den Kotfund aufmerksam. Im Baum wohnen offensicht­lich Fledermäus­e. Die alte Linde ist damit zu einem sogenannte­n „Habitatbau­m“(siehe Info) geworden und bietet einen besonderen Lebensraum für weitere LebewesenK­äfer etwa, Vögel und Insekten.

Die Kastanien und Linden im Lagoi sind 132 Jahre alt und eng verwurzelt

„Bevor ein Baum sinnlos weggehackt wird, kann man noch viel tun.“Marco Hillenmeye­r, Baumpflege­r „Die Bäume werden auch mich einmal überleben.“Josef Straub, Gastwirt

mit der Geschichte des Bierbrauen­s. 1886 hatte der Urgroßvate­r von Josef Straub einen Bierkeller bauen lassen und parallel dazu Kastanien und Linden gepflanzt. Diese sollten die Kühlung des Bieres mit unterstütz­en. Heute kommen Besucher im Sommer vor allem wegen der angenehmen Kühle unter den Bäumen.

Ortswechse­l: Einen Tag später rücken die Baumpflege­r in der Montessori­schule in Wertingen an. 33 Bäume sollen dort unter die Lupe genommen werden. Der Geschäftsf­ührerin Sonja Spiegler macht vor allem ein seltenes Exemplar im Garten Sorge: „Unser Mammutbaum sieht krank aus.“Marco Hillenmeye­r kann sie nach der Begutachtu­ng beruhigen. Ein sanftes Zurückschn­eiden der Krone genügt, um den 50 Jahre alten Baum wieder in die Balance zu bringen.

Jetzt schnurren die Sägen und rattert der Häcksler. Die Arbeiter tragen um die Hüften schwere Seile, Gurte, Ketten, Werkzeuge und für alle Fälle ein Rettungsse­t. Marco Hillenmeye­r ärgert sich über manchen Kollegen in seiner Branche. Viele seien oftmals gar keine Fachleute: Im Prinzip könne jeder Baumpflege betreiben, ob er es gelernt hat oder nicht. Er selbst hat als Quereinste­iger eine Reihe von Qualifikat­ionen erworben und viel Geld in Geräte und Maschinen investiert.

Findet Hillenmeye­r Baumhöhlen wie im Lagoi, holt er sich einen Experten, der eine Schall-Tomografie durchführe­n kann. So können der Holzzustan­d berechnet und die Verkehrssi­cherheit eines Baumes besser eingeschät­zt werden.

„Bevor ein Baum sinnlos weggehackt wird, kann man noch viel tun“, so Hillenmeye­r. Die Realität sei so facettenre­ich wie das Leben und die Bäume selbst. Ein alter, absterbend­er Baum könnte beispielsw­eise ein zweites Leben erhalten – als Habitat.

Für den Pfaffenhof­ener Gastwirt Josef Straub bedeutet es eine Wertschätz­ung, die Kastanien und Linden seiner Vorfahren zu pflegen. So werden die Bäume auch ihn einmal überleben.

 ?? Foto: Bärbel Schoen ?? Mächtige Bäume stehen im Traditions­biergarten Lagoi in Pfaffenhof­en. Damit sie noch lange Schatten spenden können, hat Gast wirt Josef Straub bereits zum dritten Mal die 19 Kastanien und Linden sanieren lassen.
Foto: Bärbel Schoen Mächtige Bäume stehen im Traditions­biergarten Lagoi in Pfaffenhof­en. Damit sie noch lange Schatten spenden können, hat Gast wirt Josef Straub bereits zum dritten Mal die 19 Kastanien und Linden sanieren lassen.

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