Schrankenlose Gesellschaft?
Festivals sind nicht nur Orte des zügellosen Konsums und zahlreicher Exzesse. Während der einbis fünftägigen Konzerte entstehen die Bande eines innigen Gemeinschaftsgefühls – viel näher kann man Utopien nicht kommen. Festival-Fans erinnern sich nicht an verstopfte Toiletten oder knöchelhohen Schlamm nach drei Tagen Dauerregen. Was hängen bleibt, sind die Begegnungen, die man mit den unterschiedlichsten Menschen aus allen Ecken der Welt hat. Gemeinsam wird getanzt, gelacht und auch geliebt. Wer vor einem steht, spielt keine Rolle – das Interesse an der Musik und die gemeinsam erlebte Freiheit helfen über Grenzen hinweg.
Leider bleiben Alkohol- und sonstige Drogenexzesse manchmal nicht aus. In den vergangenen Jahren gerieten bayerische und schwedische Festivals mit den negativen Folgen so in den Fokus der Öffentlichkeit. Und dennoch: Wenn es bei dreißig-, fünfzig- oder gar mehr als hunderttausend Menschen auf engstem Raum – aufgeheizt durch die Musik, durch den ständigen Kontakt mit anderen und den Konsum verschiedenster Substanzen – zu vereinzelten Straftaten kommt, hat das eine gewisse Aussagekraft. Die da nicht lautet, junge und jung gebliebene Menschen wüssten sich nicht zu benehmen und geben sich besinnungslos dem Hedonismus hin. Im Gegenteil, die Festival-Gesellschaft ist kosmopolitisch, universal und liberal. Sie empfängt jeden mit offenen Armen.
Sicher sind die meisten Festivals heutzutage in Deutschland in erster Linie Kommerzveranstaltungen, bei denen für die Macher ein satter Gewinn herausspringen soll. Das ändert aber nichts an den Ideen, die in einem solchen Rahmen entstehen können – und an dem Spaß, den ein Festival seinen Besuchern bereitet.
Festivals sind in ihrer Komplexität keine Gradmesser für eine Gesellschaft wie die unsrige. Sie sind auch keine Schule für angehende Politiker. Aber neben ihrer Hauptfunktion als Event können sie auch zum Träumen und Nachdenken anregen. Dafür sind Utopien schließlich doch gedacht.