Klassentreffen der ehemaligen Landesväter
Zehn frühere Ministerpräsidenten sprechen in Scheidegg über den Zustand Deutschlands
Scheidegg Sie sind Teil der jüngeren deutschen Geschichte. Haben als Landesväter nicht nur Bundesländern ihren Stempel aufgedrückt, sondern Deutschland mitgeprägt. In ihrer aktiven Zeit standen sie oft in Konkurrenz – und zugleich in ständig engem Austausch. Zehn ehemalige Ministerpräsidenten trafen sich am Wochenende in Scheidegg, von wo aus sie die Besonderheiten des Westallgäus zwischen Baumwipfeln und Bodensee erkundeten und sich dabei – teils nach vielen Jahren – als politische, inzwischen aber auch private Menschen wieder begegneten.
Angestoßen hat das Treffen der Ex-Ministerpräsident Manfred Przybylski, ein rühriger Rheinländer, der sich vor zehn Jahren in Scheidegg niedergelassen hat. Der zeitlebens in der CDU engagierte Unternehmer ist bestens vernetzt. Przybylski etablierte etwa den „Scheidegger Friedenspreis“, den schon neunmal Persönlichkeiten für besondere Verdienste um die Wiedervereinigung erhielten.
Ob auch das Ex-Ministerpräsidententreffen regelmäßig stattfinden und überregionale Aufmerksamkeit auf Scheidegg lenken wird, ist offen. Die Teilnehmer der ersten Zusammenkunft dieser Art – nach eigenem Bekunden waren viele mit Skepsis angereist – baten jedenfalls um Wiederholung. Mit Abstand und ohne Amt lasse sich entspannter und offener reden, stellten sie fest. Parteigrenzen sind bedeutungslos. So unterhielt sich Günther Beckstein angeregt und freundschaftlich mit seinem Tischnachbarn Michael Vesper (Grüne), während sie laut Beckstein früher „trefflich gestritten“hätten.
Die Gespräche kreisten meist um aktuelle Themen. Der für eine „Dinner Speech“eingeladene frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert stellte Überlegungen zum Zustand des deutschen Parlaments und der deutschen Gesellschaft an. Er bekannte, für noch bedauerlicher als das Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche halte er die verpasste Chance einer schwarz-grünen Regierung. Diese Konstellation, mit der SPD in der Opposition, hätte in seinen Augen das Erstarken populistischer Bewegungen in Deutschland weniger befördert als die Große Koalition. Für bedenklich hält er die Ausgangslage der jetzigen, vierten Großen Koalition, die nur eine schmale Mehrheit von 54 Prozent der Parlamentarier hinter sich wisse. Lammert verglich: „Die erste Große Koalition 1966 konnte sich auf 90 Prozent der Mandate stützen.“Dass dem Bundestag inzwischen eine populistische Partei angehört, habe ihm den Abschied erleichtert, sagte der 69-Jährige. Bernhard Vogel, mit 86 Jahren Ältester in der Runde, reagierte auf Lammerts voller Selbstironie und Tiefgründigkeit formulierter Rede mit dem Bedauern: „Wie schade, dass du nicht Bundespräsident geworden bist.“