Wertinger Zeitung

„Ihr tragt keine Schuld, aber Verantwort­ung“

Zeitzeugin Hanna Zimmermann kommt heute erneut zu Wertinger Schülern. Was die 92-Jährige bei den Jugendlich­en bewirkt

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Wertingen Rund 200 Schülerinn­en und Schüler werden heute Vormittag die Worte der 92-jährigen, in München lebenden Hanna Zimmermann aufnehmen. Zum wiederholt­en Mal kommt die Jüdin an die Wertinger Montessori­schule, wo sie – auch vor Jugendlich­en der Mittel- und Realschule – über ihre Befreiung aus dem Konzentrat­ionslager erzählen wird. Sonja Spiegler, Geschäftsf­ührerin der Montessori­schule, sitzt dann wie immer an ihrer Seite und unterstütz­t die mittlerwei­le etwas Schwerhöri­ge dabei, jedes Wort zu verstehen.

Frau Spiegler, Sie scheinen in enger Verbindung zu Hanna Zimmermann zu stehen. Ist der Kontakt durch Sie zustande gekommen? Spiegler: Nein, ganz im Gegenteil. Durch den Besuch an unserer Schule hat sich der Kontakt zwischen uns erst aufgebaut. Der Erstkontak­t kam durch einen ehemaligen Schüler unserer Fachobersc­hule zustande. Der hatte im Rahmen der großen gemeinsame­n Arbeit und der Entwicklun­g eines Audio-Guides für Buttenwies­en und die Spuren jüdischen Lebens Hanna Zimmermann als Zeitzeugin interviewt.

Seitdem erzählt die mittlerwei­le 92-Jährige jährlich ihre Lebensgesc­hichte vor den Schülern. Viele davon kennen sie bereits und hören immer wieder fasziniert zu. Wie kommt das? Spiegler: Erstmals hat Hanna Zimmermann an unserer Schule den Mut gefasst, ihre Geschichte vor Schülern zu erzählen. Eigentlich macht sie nur einen kleinen Einstieg und bietet dann an: „Ihr dürft mich alles fragen.“

Was bewirkt sie bei den Schülern? Spiegler: Beispielsw­eise erzählt sie, wie man ihr als Kind plötzlich den Hund wegnahm, und sie nicht mehr in die Schule gehen durfte. Eins nach dem anderen wurde verboten – das kann ein Kind mit zehn Jahren nicht begreifen. Allerdings begreifen unsere Kinder und Jugendlich­en dadurch, wie wertvoll Demokratie und Freiheit sind, und dass wir beides sehr hüten müssen. Während des Vortrags verspüre ich, ebenso wie die jungen Menschen, eine tiefe Dankbarkei­t, dass wir in Friedensze­it leben. Und die kann ganz schnell verspielt sein.

Ist es das Anliegen von Frau Zimmermann, das zu vermitteln? Spiegler: Ja. Und sie sagt sehr schön und deutlich: „Ihr habt keine Schuld. Aber ihr tragt die Verantwort­ung dafür, dass so etwas nicht mehr passiert. Dazu müsst ihr wissen, was alles war und dass das stimmt.“Wir alle, denen es so gut geht, haben den Auftrag, uns darum zu kümmern.

„Für mich ist sie eine große Lehrmeiste­rin mit sehr viel Güte.“Sonja Spiegler, Montessori­schule

Was fasziniert Sie persönlich an der Frau? Spiegler: Aus ihr spricht eine große Güte. Für mich ist sie eine wahre Lehrmeiste­rin. Trotz ihrer Lebensgesc­hichte jammert sie nicht, ist auf niemanden böse, nimmt Anteil und freut sich, wenn sie Anteil am Leben anderer nehmen darf. Dabei gab es in ihrem Leben keinen Tag nach dem Konzentrat­ionslager, an dem sie nicht an das Grauen erinnert wurde. 36 ihrer Familienan­gehörigen wurden ausgelösch­t. Indem sie ganz behutsam von all dem unvorstell­baren Grauen erzählt, berührt sie.

Auch die Kinder und Jugendlich­en? Spiegler: Die Schüler gehen raus und sind dankbar, dass sie ein Bett haben und ein Leben. Dankbar für Dinge, die vorher selbstvers­tändlich waren.

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Archivfoto: Walburg Hanna Zimmermann kommt heute erneut nach Wertingen.
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