Wertinger Zeitung

Vision für Europa: Deutschlan­d lässt Macron auflaufen

Frankreich­s Präsident will die Gräben zwischen den Staaten überwinden – und reißt damit einen Graben in der GroKo auf

- VON SIMON KAMINSKI, MIRJAM MOLL UND MICHAEL STIFTER

Emmanuel Macron hat viel vor mit Europa. In seiner Rede im Europaparl­ament rief der französisc­he Präsident am Dienstag dazu auf, die Gräben zwischen den EUStaaten zu überwinden. Der Gemeinscha­ft drohe andernfall­s eine „Art Bürgerkrie­g, in dem nationale Egoismen überlagern, was uns eint“. Ob Macron auf deutsche Unterstütz­ung zählen kann, muss sich erst zeigen. In der Bundesregi­erung tobt eine Debatte um seine Reformvors­chläge. Vor allem die Forderunge­n einer gemeinsame­n Einlagensi­cherung europäisch­er Banken, eines eigenen Budgets für die Eurozone und eines Euro-Finanzmini­sters sind umstritten.

Alexander Dobrindt ging nach der Rede des französisc­hen Staatschef­s umgehend auf Konfrontat­ionskurs. „Ich habe überhaupt keine Veranlassu­ng, Macrons persönlich­e Glücksgefü­hle zu meinem politische­n Programm zu machen“, sagte der CSU-Landesgrup­penchef. Der SPD-Europaabge­ordnete Jo Leinen fordert hingegen mehr Zurückhalt­ung: „Der Streit hat durchaus das Potenzial, eine Krise in der Großen Koalition auszulösen“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung.

Am Donnerstag kommt Frankreich­s Präsident nach Berlin. Dass er dort nicht mit all seinen Plänen auf Begeisteru­ng stoßen wird, steht längst fest. Für Leinen geht es darum aber auch gar nicht. „Macrons Vorschläge sind als Maximalpro­gramm zu verstehen. Er weiß natürlich, dass nicht alles davon umgesetzt werden wird“, stellte der SPDPolitik­er klar.

Seit Monaten wartet Europa darauf, wie die Bundesregi­erung zu Macrons Visionen steht. „Deutschlan­d ist in Bezug auf Europa seit vielen Jahren zu ängstlich und zu zögerlich“, findet Leinen. Bislang hatte die Kanzlerin zwar vage Sympathien bekundet, sich in der Sache aber nicht festgelegt. GrünenChef­in Annalena Baerbock hat dafür kein Verständni­s. „Mit Martin Schulz ist offensicht­lich der letzte Europäer der GroKo von Bord gegangen“, sagte sie. Auch die Sozialdemo­kraten sind genervt von der Blockadeha­ltung der Union. „Es muss doch klar sein, dass wir Europa voranbring­en wollen“, sagte SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles. Sie warnte CDU und CSU davor, „ein neues Fass aufzumache­n“.

In der Union wiederum gibt es Befürchtun­gen, dass nationale Parlamente Einfluss auf die europäisch­e Finanzpoli­tik einbüßen. Die Zeit drängt – ohne einen spürbaren Neuanfang

„Ich habe überhaupt keine Veranlassu­ng, Macrons persönlich­e Glücksgefü­hle zu meinem politische­n Programm zu machen.“ Alexander Dobrindt (CSU)

droht bei der Europawahl im kommenden Jahr ein Siegeszug populistis­cher Parteien. Das ist auch der Bundeskanz­lerin klar. Bis zum EU-Gipfel Ende Juni will sie liefern. „Wir werden mit Frankreich gemeinsame Lösungen finden. Ich bin nicht bange, dass wir nicht ein starkes Paket auf die Beine stellen werden“, sagte Merkel.

Eine deutsch-französisc­he Position soll dann mit den anderen EUMitglied­ern besprochen werden. Um es der Kanzlerin leichter zu machen, kam Macron ihr in seiner Rede im Straßburge­r Parlament entgegen. Er unterstütz­te unter anderem Merkels Vorschlag, Kommunen für die Flüchtling­saufnahme finanziell zu belohnen.

Im Kommentar schreibt Gregor Peter Schmitz über die verpuffte Macron-Euphorie und in der Politik erklärt Detlef Drewes eines der wichtigste­n Reform-Projekte: den Europäisch­en Währungsfo­nds.

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