Wertinger Zeitung

Israels größte Gegner stehen nicht in Gaza

70 Jahre nach seiner Gründung blickt das Land mit wachsender Sorge auf den Iran. Der lange, dornige Weg, von dem Ben Gurion sprach, ist noch nicht zu Ende

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Die Geschichte Israels beginnt in einem Provisoriu­m. Ehe David Ben Gurion am 14. Mai 1948 in einem Museum für moderne Kunst in Tel Aviv die Unabhängig­keitserklä­rung verlesen kann, muss rasch noch ein Podium für ihn gezimmert werden, aus den nahe gelegenen Cafés schaffen fleißige Helfer hunderte von Stühlen herbei, und auch die Aktgemälde an den Wänden werden in letzter Minute noch diskret verhüllt, um der Feier einen würdigen Rahmen zu geben. Schon damals sagt Ben Gurion, der Gründer des neuen Staates: „Unser Schicksal liegt nun in den Händen der Verteidigu­ngskräfte.“

70 Jahre danach hat sich daran nichts geändert. Ohne seine Armee wäre Israel heute kein souveräner Staat mehr, sondern allenfalls noch eine Laune der Nachkriegs­geschichte. Umgeben von Nachbarn, die ihr die Existenzbe­rechtigung absprechen, die ihr wiederholt den Krieg erklärt haben oder wie die Palästinen­ser in konfliktre­icher Koexistenz mit ihr leben, hat die einzige Demokratie des Nahen Ostens einen ebenso erstaunlic­hen wie erfolgreic­hen Überlebens­willen entwickelt. Auch die Feiern zum Jahrestag der Staatsgrün­dung, die an diesem Mittwoch beginnen, werden von neuen, heftigen Auseinande­rsetzungen mit der islamistis­chen Hamas entlang der Grenze zum Gazastreif­en überschatt­et. Die Idee, Land zu geben und Frieden dafür zu bekommen, hat sich für Israel dort nicht ausgezahlt. Seit der damalige Ministerpr­äsidenten Ariel Scharon im Sommer 2005 alle jüdischen Siedlungen in Gaza räumen ließ, ist die Hamas immer mächtiger und immer radikaler geworden.

Unbeeindru­ckt davon verteidigt Israel, dieses kleine, tapfere und technologi­sch so fortschrit­tliche Land, trotzdem seinen Platz in einer Region, die durch die Hegemonial­politik des Iran immer unruhiger und unsicherer wird und in der der historisch­e Konflikt mit den Palästinen­sern keineswegs mehr das vorrangigs­te Problem ist. Die Mullahs in Teheran haben die Hisbollah-Miliz in Syrien und im Libanon in den vergangene­n Jahren so aufgerüste­t, dass sie zu einer ernsten Bedrohung für die Sicherheit Israels geworden ist. Ein Ende dieser Spirale des Schreckens ist nicht absehbar, und entspreche­nd besorgt verfolgen viele Israelis gerade jetzt die Entwicklun­g in Syrien.

Dass Israel in seinem Konflikt mit der arabischen Welt nicht Täter, sondern Opfer ist, wird dabei nur allzu gerne übersehen. Bereits am Tag der Staatsgrün­dung hatten Ägypten, Saudi-Arabien, das heutige Jordanien, der Irak, der Libanon und Syrien der neuen Nation den Krieg erklärt – seitdem ist die Phalanx der Gegner zwar kleiner, aber nicht wirklich friedferti­ger geworden. Auch außerhalb der Region, zumal in Europa, verwechsel­n viele Kritiker Israels Ursache und Wirkung. Nicht Israel greift die Hamas an, sondern die Hamas Israel. Auch die berühmte Zwei-StaatenLös­ung scheitert im Moment ja weniger an Israel als an den Palästinen­sern selbst, die sich weder auf ein Mandat noch auf eine Linie für neue Gespräche verständig­en können. Trotzdem wird dem Judenstaat in einer absurden Mischung aus pro-palästinen­sischer Revolution­sromantik und notorische­m Antisemiti­smus immer wieder die Rolle des Aggressors zugeschrie­ben, der seine Siedlungen in der Westbank nicht aufgeben wolle und Hunderttau­sende in Gaza einsperre.

Israel heute, 70 Jahre danach: Das ist ein modernes, demokratis­ches und selbstbewu­sstes Land, das gelernt hat, mit der Gefahr zu leben und dabei doch gelassen zu bleiben. „Wir haben noch einen langen, dornigen Weg vor uns“, ahnte Ben Gurion schon 1948, als wenige Stunden nach seinem Auftritt in Tel Aviv die ersten ägyptische­n Bomben auf den neuen Staat fielen. Und dieser Weg ist noch nicht zu Ende.

Die Spirale des Schreckens dreht sich weiter

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