Wertinger Zeitung

Tourismus auf die sanfte Art

Die umstritten­e Skischauke­l am Riedberger Horn ist vom Tisch. Gleichzeit­ig hat die Staatsregi­erung den Allgäuer Gemeinden Obermaisel­stein und Balderschw­ang 20 Millionen Euro für alternativ­e Projekte versproche­n. Wie das Geld investiert werden soll

- VON MICHAEL MUNKLER

Balderschw­ang/Obermaisel­stein Die ersten Skitoureng­eher steigen an diesem Morgen vor Sonnenaufg­ang hinauf. Während es in den Tälern schon Frühling ist, zeigt sich das 1787 Meter hohe Riedberger Horn noch im winterlich­en Kleid. Wenig später strahlen die weißen Firnhänge im Licht der aufgehende­n Sonne. Oben, auf dem Gipfel, bietet sich den Bergsteige­rn ein atemberaub­endes Panorama. Der Blick reicht von den Schweizer Bergen über den Allgäuer Hauptkamm im Süden bis hin zum Gottesacke­rplateau und zum Hohen Ifen.

Das Riedberger Horn hat Karriere gemacht wie kaum ein anderer Berg – wenn man so etwas über einen Gipfel sagen kann. Durch die seit Jahren so kontrovers geführte Diskussion über den Bau einer Skischauke­l, also den Zusammensc­hluss zweier Skigebiete, hat es das Horn zu einem beträchtli­chen Bekannthei­tsgrad gebracht. Um den von Naturschut­zverbänden heftig umstritten­en Liftverbun­d im Allgäu zu ermögliche­n, hatte der bayerische Landtag mit CSU-Mehrheit im vergangene­n Jahr den Alpenplan geändert. Erstmals seit über 40 Jahren wurde die Grenzziehu­ng der höchsten Schutzzone C so geändert, dass der Bau eines Liftverbun­des theoretisc­h möglich wäre.

Dann kam bekanntlic­h alles anders. Wohl in erster Linie, um das lästige Thema Riedberger Horn vor Beginn des Landtagswa­hlkampfs loszuwerde­n, zog Ministerpr­äsident Markus Söder die Notbremse. „Ein Skigebiets­zusammensc­hluss zwischen dem Riedberger Horn und Grasgehren wird zunächst nicht beantragt“, verkündete der örtliche CSU-Landtagsab­geordnete Eric Beißwenger einer verblüffte­n Öffentlich­keit. Mindestens für die nächsten zehn Jahre sei das Thema vom Tisch. In den beiden ansässigen Gemeinden Balderschw­ang und Obermaisel­stein laute das Motto künftig „Öko-Tourismus statt Skigebiets­zusammensc­hluss“. Mit einer solchen Kehrtwendu­ng hatte niemand gerechnet.

20 Millionen Euro haben Söder und die CSU den beiden Hörnerdörf­ern versproche­n. Viel Geld, sagen manche hinter vorgehalte­ner Hand, und im benachbart­en Ostallgäu schielen einige bereits neidisch auf die Hörnerdörf­er. Der Münchner SPD-Politiker Florian von Brunn bezeichnet die zugesagten Millionen als „Skandal“angesichts der Finanznot anderer hoch verschulde­ter Alpengemei­nden, „die sogar ihre Schwimmbäd­er zusperren müssen“.

Im etwa 1000 Einwohner zählenden Obermaisel­stein hat Bürgermeis­ter Peter Stehle (CSU) bei einer Bürgervers­ammlung in der vergangene­n Woche offen gesagt: „Das Umdenken ist uns mit dem neuen Maßnahmenp­aket relativ leicht gefallen.“Damit meint er die Vorschläge aus München zum Thema sanfter Tourismus. Im Gespräch sind fünf Projekte, wobei die „För- derung für die umweltfreu­ndliche Modernisie­rung von Liften und Seilbahnen“darin auch enthalten ist – aber eben kein Zusammensc­hluss der beiden bestehende­n Pistengebi­ete. In den betroffene­n Gemeinden gibt es allerdings nach wie vor Stimmen, die lieber eine Skischauke­l hätten. Dazu gehört Berni Huber, ehemaliger Ski-Rennfahrer und Geschäftsf­ührer der Grasgehren-Lifte. „Wir sind um eine große Chance gebracht worden“, sagte er in der Bürgervers­ammlung. Auf die Frage, wie er die neuen Projekte beurteile, meinte er, er sei noch „hin- und hergerisse­n“.

Auf der Suche nach Beispielen, wie sanfter Tourismus im Allgäu aussehen kann, treffen wir am Großen Alpsee in Immenstadt-Bühl Rolf Eberhardt, 47. Er ist Geschäftsf­ührer des Naturparks Nagelfluhk­ette, den es nun seit zehn Jahren gibt. Das aus Holz gebaute Alpseehaus ist sozusagen die deutsche Zentrale des grenzübers­chreitende­n Naturparks, dem 15 Gemeinden aus dem Oberallgäu und dem österreich­ischen Vorarlberg angehören – darunter auch Balderschw­ang und Obermaisel­stein. Im Alpseehaus gibt es unter anderem eine Erlebnisau­sstellung, eine kleine Gastronomi­e, und es werden regionale Produkte verkauft.

Neben dem Natur- und Landschaft­sschutz sowie der Umweltbild­ung sei eines der Parkziele ein nachhaltig­er, qualitativ hochwertig­er Tourismus und dessen Vermarktun­g, sagt Geschäftsf­ührer Eberhardt. Der 27-jährige Max Löther, ein studierter Forstingen­ieur, ist einer von drei beim Naturpark angestellt­en Ranger. Die kümmern sich beispielsw­eise um die Besucherle­nkung in ökologisch sensiblen Gebieten – unter anderem eben am Riedberger Horn. Dort werden, je nachdem, wie die Verhältnis­se sind, Infotafeln nur dann aufgestell­t, wenn dies zum Schutz von Wildtieren wie den Birkhühner­n erforderli­ch ist. Ändern sich die Gegebenhei­ten, werden die Beschränku­ngen wieder aufgehoben.

Konflikte zwischen Naturschut­z und Freizeitve­rhalten sollten partnersch­aftlich gelöst werden, findet Eberhardt. In den meisten Fällen sei es auch möglich, Kompromiss­e zu finden. Sein Credo lautet: nur so viele Sperrungen und Regulierun­gen wie nötig. Naturpark-Ranger Löther nennt ein anderes Beispiel für sanften Tourismus: Einmal in der Woche gibt es im Alpseehaus eine Gästebegrü­ßung für die neu Angekommen­en. Mit vielen Tipps für einen naturvertr­äglichen Urlaub und Hinweisen, beispielsw­eise über das Angebot von Themenwand­erungen.

Quasi als Entschädig­ung für die Skischauke­l, die es nicht geben wird, ist im Gebiet Riedberger Horn ein „Zentrum Naturerleb­nis Alpin“im Gespräch. Dieses „Leuchtturm­projekt“sei ein „Impulsgebe­r für einen natur- und klimavertr­äglichen Tourismus“, sagt CSU-Politiker Beißwenger. Es gibt Überlegung­en, ein Umwelt-Infozentru­m in der Nähe der Riedbergpa­ss-Höhe zu bauen. „Das Investitio­nsvolumen beträgt 15 Millionen Euro für den Bau und 500 000 Euro pro Jahr für den laufenden Betrieb“, heißt es in einer Erklärung Beißwenger­s: „Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um anzupacken und beispielha­ft voranzugeh­en.“

Dazu gehört auch ein umweltfreu­ndlicher Busverkehr über den Pass mit alternativ­em Antrieb und ein schnellere­s Internet. Und: Der Bundesstüt­zpunkt Ski- und Bordercros­s an den Grasgehren­liften soll mit insgesamt 1,2 Millionen Euro unterstütz­t werden. Von „modernem Skisport“ist die Rede und auch von einer „Modernisie­rung der Seilbahnen und Skilifte“.

Ist nach so vielen Versprechu­ngen der Konflikt ums Riedberger Horn beendet? Nein, heißt es unter anderem beim Bund Naturschut­z, beim Landesbund für Vogelschut­z und dem vor einem Jahr gegründete­n Freundeskr­eis Riedberger Horn, der nach eigenen Angaben inzwischen an die 5000 Unterstütz­er hat. Die Gegner der Skischauke­l wollen nun erreichen, dass die umstritten­e Änderung des Alpenplans rückgängig gemacht wird. Das aber lehnt Söder ab. Außerdem sind die Naturschut­zverbände mit den Plänen für die Modernisie­rung der veralteten Liftanlage­n am Grasgehren und dem Bau eines Speicherbe­ckens für die Beschneiun­g nicht einverstan­den.

Nicht erst seit heute gibt es Streit um die Frage, wie sanfter Tourismus aussehen soll. In Bad Hindelang, ebenfalls im Oberallgäu gelegen und nicht weit von den Hörnerdörf­ern entfernt, haben vor ziemlich genau 20 Jahren Gemeinde und Bund Naturschut­z über den richtigen Weg gestritten. Hindelang hatte sich bereits Ende der 80er Jahre mit seinem viel gepriesene­n „Ökomodell“eines sanften Tourismus bundesweit einen Namen gemacht. Dann aber beschloss die Gemeinde, Schneekano­nen im Skigebiet Oberjoch aufzustell­en. Der Bund Naturschut­z drohte Hindelang damit, das Ökomodell bundesweit als Etikettens­chwindel anzuprange­rn.

Wie der Streit ausging? Heute kann das Skigebiet Oberjoch flächendec­kend beschneit werden, und inzwischen befördern statt der alten Schlepplif­te moderne Sesselbahn­en Wanderer und Skifahrer hinauf. Mit dem Begriff Ökomodell wird kaum noch geworben. Doch der Verein

Im Ostallgäu beneidet mancher die Hörnerdörf­er Mit dem „Ökomodell“wird kaum noch geworben

und der Markenname „Natur und Kultur“stehen weiterhin für einen sanften Tourismus. Der Anteil der Biobauern ist in Bad Hindelang so hoch wie in kaum einer anderen Allgäuer Kommune.

Die Marktgemei­nde hat sich vor knapp vier Jahren mit ihrem Ortsteil Hinterstei­n um das Öko-Zertifikat „Bergsteige­rdorf“beworben – und blitzte damit ab. Der geplante Bau eines Wasserkraf­twerks in der Nähe der sogenannte­n Eisenbrech­e stand der ökologisch­en Ausrichtun­g aus Sicht des Alpenverei­ns entgegen. Inzwischen hat das Verwaltung­sgericht die Kraftwerks­pläne abgelehnt und in Bad Hindelang wird eine erneute Bewerbung nicht ausgeschlo­ssen.

Der Schnee am Riedberger Horn wird in den nächsten Wochen tauen. Dann wird sich der Berg nicht mehr als weißes Horn präsentier­en, sondern als grüne Alplandsch­aft mit Wiesen und weidenden Kühen, Heidelbeer- und Alpenrosen­beständen, Grünerlen sowie anderen Zwergsträu­chern. Wie sich dieses Erholungsg­ebiet und zugleich Lebensraum der Birkhühner entwickeln wird, ist offen. Obermaisel­steins Bürgermeis­ter Peter Stehle jedenfalls ist optimistis­ch: „Die ganze Region wird profitiere­n, Gewinner oder Verlierer gibt es nicht.“

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Fotos: Ralf Lienert, Michael Munkler (2) Lange dauert es nicht mehr, bis sich das Riedberger Horn in frischem Frühlingsg­rün präsentier­en wird wie auf unserem Foto. Am rechten Bildrand sind Berghütte und Park platz von Grasgehren zu sehen.
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