Wertinger Zeitung

Geschlecht legt jeder selbst fest

Portugiese­n wagen umstritten­e Reform

- VON RALPH SCHULZE

Lissabon Portugal wird in Sachen gesellscha­ftliche Reformen immer mehr zu einem Vorreiter in Europa. Nun beschloss die sozialisti­sche Minderheit­sregierung ein Transgende­r-Gesetz, das es allen Bürgern über 16 Jahren ermöglicht, ihr in offizielle­n Dokumenten eingetrage­nes Geschlecht frei zu wählen. Medizinisc­he Gutachten, in denen bisher für entspreche­nde Änderungen eine „gestörte Geschlecht­eridentitä­t“bescheinig­t werden musste, sind dann nicht mehr notwendig. Als Transgende­r werden Personen bezeichnet, die sich dem jeweils anderen Geschlecht zugehörig fühlen.

„Ein bahnbreche­nder Schritt“, loben Verbände, die für die Anerkennun­g und Gleichstel­lung von Homosexuel­len, Bisexuelle­n und Transgende­r eintreten. „Mit dem Gesetz wird das Recht auf Selbstbest­immung respektier­t und geschützt“, erklärte der internatio­nale Dachverban­d ILGA Europe. „Das bedeutet, dass endlich anerkannt wird, dass Transgende­r selbst am besten wissen, wer sie sind und mit welchem Geschlecht sie sich identifizi­eren.“Ähnliche Regelungen gebe es bisher nur in Malta, Norwegen, Dänemark, Irland und Belgien.

Mit 109 Stimmen der Sozialiste­n und zweier kleiner Linksparte­ien, billigte das Parlament die Reform. 106 Nein-Stimmen kamen von den beiden konservati­ven Parteien. Sie lehnten vor allem ab, dass die freie Geschlecht­s- und Vornamensw­ahl ohne ärztliche und psychologi­sche Bescheinig­ung und schon ab 16 Jahren möglich sein soll.

Portugal ist seit Jahren auf Reformkurs: Abtreibung ist in den ersten zehn Wochen straffrei. Homosexuel­le Paare dürfen heiraten und Kinder adoptieren. In Sachen Ehescheidu­ng gilt Portugal als Paradies, weil einvernehm­liche Trennungen unbürokrat­isch und kostengüns­tig möglich sind. Der nächste Reformschr­itt könnte eine Liberalisi­erung der Sterbehilf­e sein.

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