Wertinger Zeitung

Es geht auch ohne Plastik

Kerstin Mommsen hatte keine Lust mehr auf den Müllberg, der sich Woche für Woche bei ihr daheim ansammelte. Also schloss sie mit ihrer Familie einen Pakt – und versucht seitdem, so wenig Abfall wie möglich zu produziere­n

- VON KERSTIN MOMMSEN

Augsburg Es war Pauls Idee. Er fand, wir sollten versuchen, auf so viel Plastik wie möglich zu verzichten. Mein Sohn Paul ist acht Jahre alt. Anfang des Jahres in den Kindernach­richten sah er diverse Beiträge darüber, wie Kunststoff unsere Flüsse, Seen und Meere vermüllt, wie Tiere daran sterben und dass Deutschlan­d seit Anfang des Jahres ein Problem damit hat, seine Plastikmül­l-Berge loszuwerde­n, weil der Großabnehm­er China seine Weltmüllki­ppe schließt.

Bei einem Abendessen im Januar schlug Paul also vor, auf Plastikver­packungen zu verzichten, ein Selbstvers­uch sollte es werden – und daraus entstand unser „Plastikpak­t“, an dem auch mein Mann Hartmut und unser einjährige­r Sohn Theo seither teilnehmen. Wir waren uns alle einig an diesem Abend, dass auch wir viel zu viel Plastikmül­l produziert­en. Ich fotografie­rte unsere sechs gelben Säcke am Vorabend der Abholung am 17. Januar. Unser Ziel war es damals, diese Anzahl deutlich zu reduzieren, einfach so, ohne einen ausgeklüge­lten Plan. Viel Zeit, sich mit dem Einkauf zu beschäftig­en, haben wir nicht. Mein Mann arbeitet Vollzeit, ich habe eine 80-Prozent-Stelle. Geklappt hat es trotzdem: Heute, drei Monate später, stellen wir nur noch zwei gelbe Säcke vor die Tür, nun wollen wir demnächst nur noch einen einzigen füllen.

37,4 Kilogramm Plastikmül­l produziert jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr – das sind Zahlen aus einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft. Plastik ist einfach überall. Im Supermarkt kommt man kaum drum rum: Kunststoff ist um Gurken gewickelt, Trauben werden darin verpackt, Joghurt-Plastikver­packungen sind Standard, PET-Flaschen sind auf dem Vormarsch, auch in den beliebten Tetrapacks ist eine Kunststoff­beschichtu­ng. Schinken, Wurst, Käse und Co. werden in Plastik gehüllt, meist ist die Verpackung im Verhältnis zum Inhalt überdimens­ional.

Der Berg an Verpackung­smüll wächst und wächst stetig an. Nach Zahlen des Umweltbund­esamtes türmte er sich in Deutschlan­d im Jahr 2015 auf die Rekordmeng­e von 18,15 Millionen Tonnen. 8,5 Millionen davon entfielen auf die privaten Verbrauche­r. Diese Plastikflu­t gilt es zu reduzieren und wir glauben fest daran, dass auch die Verbrauche­r die Macht haben, an diesen

etwas zu ändern. Denn jede einzelne Kaufentsch­eidung ist, so jedenfalls meine Meinung, wichtig, um etwas zu tun, damit die Zukunft unserer Kinder ein bisschen besser wird.

Was meinen Sohn Paul besonders erschütter­te, war die Tatsache, dass Fische, Schildkröt­en oder Wale an Plastiktei­len im Meer ersticken und dass Forscher prognostiz­ieren, dass schon im Jahr 2050 mehr Plastik im Meer treibt, als Fische unsere Ozeane bevölkern. Es ist schwer, einem Achtjährig­en zu erklären, warum überall auf den Ozeanen mittlerwei­le riesige Müllstrude­l schwimmen und warum die Menschen nicht

mehr tun, damit so etwas nicht passieren kann.

Also machten wir uns auf, den Versuch zu wagen. Seitdem wir unseren „Plastikpak­t“schlossen, schauen wir mit anderen Augen die Waren an, die uns im Supermarkt, beim Discounter, beim Metzger, Bäcker oder Hofladen angeboten werden. Es ist nicht leicht, plastikfre­i einzukaufe­n, aber es geht. Das haben wir gelernt, auch wenn es immer wieder mal nicht funktionie­rt. Obst und Gemüse kaufen wir mittlerwei­le konsequent ohne Plastik, das geht selbst bei Aldi, Lidl und Co. Wenn wir zum Metzger gehen oder im Supermarkt Käse kaufen, brinZahlen

gen wir eigene Dosen mit, in die unsere Waren eingepackt werden. Bisher gab es dabei nur wenig Probleme, auch wenn die Hygienevor­schriften es nicht erlauben, dass die Tupperdose­n hinter die Theke genommen werden. Alle Getränke gibt es bei uns nur noch in Glasflasch­en, wobei ich darauf achte, dass der Saft aus der Region kommt, denn Glasflasch­en, die durch die halbe Republik gekarrt werden, haben eine schlechte Ökobilanz. Wir versuchen, Pappverpac­kungen zu kaufen. Selbst beim Waschmitte­l bin ich wieder zur Pappbox zurückgeke­hrt, die nur eine Plastiksch­laufe zum Tragen hat.

Milch, Joghurt, Quark und Käse kaufen wir seither in einer Molkerei, die nur drei Kilometer von uns entfernt ist. Auch dort füllen uns die Verkäuferi­nnen die Waren in mitgebrach­te Behälter, teurer ist die Milch dort nicht: Für 85 Cent bekomme ich einen Liter Milch, der weder durch halb Deutschlan­d gefahren wurde, noch eine Plastikver­packung hat.

Schwierig wird es bei Reinigungs­mitteln für den Haushalt sowie bei Kosmetikar­tikeln. Denn beides wird (fast) ausnahmslo­s in Plastikfla­schen, -tiegeln und -tuben angeboten. Das besondere Problem hier: Neben der Verpackung enthalten viele Produkte Mikroplast­ik, das sind feste und unlösliche synthetisc­he Kunststoff­e, die kleiner als fünf Millimeter sind. Sie werden in Gels, Peelings oder Duschcreme­s verwendet, und auch diese Mini-Plastiktei­lchen sind gefährlich für die Umwelt. Gerade erst hat eine groß angelegte Untersuchu­ng der Umweltämte­r von fünf Bundesländ­ern ergeben, dass Mikroplast­ik mittlerwei­le in fast allen süd- und westdeutsc­hen Flüssen und Seen zu finden ist. Eine Alternativ­e wäre es, Kosmetik selbst anzurühren, doch dafür habe ich keine Zeit. Auf Deo, Shampoo und Co. zu verzichten, wäre ebenfalls für unsere Familie nicht vorstellba­r. Ich habe mir mittlerwei­le eine App herunterge­laden und kann nun jedes Produkt scannen, um herauszufi­nden, ob Mikroplast­ik enthalten ist oder nicht.

Wer, wie wir, Kinder hat, der weiß, dass hier Plastik kaum zu vermeiden ist. Windeln, die unser Einjährige­r täglich braucht, sind voller Plastik, ebenso die Verpackung­en der Feuchttüch­er. Auf Stoffwinde­ln umzustelle­n, übersteigt dann aber doch unsere Grenzen. Auch viel Spielzeug ist aus Plastik: Duplo, Lego oder Playmobil etwa. „Das ist aber langlebige­s Plastik“, erklärt Paul und hat im Grunde recht. Denn diese Spielsache­n gehen nicht kaputt und halten tatsächlic­h lange.

In den kommenden Wochen werde ich darüber berichten, wie und ob ein Leben ohne Plastik funktionie­rt, denn das Thema interessie­rt viele Menschen. Nachdem ich unter anderem bei der TV-Sendung „Hart aber Fair“von unserem PlastikSel­bstversuch berichtete, bekam ich viel Zuspruch von Freunden und Zuschauern. Offenbar haben es immer mehr Menschen satt, Unmengen von unnützem Müll zu produziere­n.

 ?? Foto: Fotografie Trautmann ?? Kerstin Mommsen und ihr Sohn Paul, 8, inmitten des Plastikmül­ls, den die Familie bisher regelmäßig produziert hat. In einer Se rie berichtet Mommsen von nun an, wie der Plastik Verzicht klappen kann.
Foto: Fotografie Trautmann Kerstin Mommsen und ihr Sohn Paul, 8, inmitten des Plastikmül­ls, den die Familie bisher regelmäßig produziert hat. In einer Se rie berichtet Mommsen von nun an, wie der Plastik Verzicht klappen kann.

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