Wertinger Zeitung

SOS vom Jordansee: Dringend Nachwuchs gesucht

Warum das vermeintli­ch angestaubt­e Hobby die Jugend begeistern und sogar Menschenle­ben retten kann

- VON GÜNTER STAUCH

Sonderheim Demnächst an einem idyllische­n See hinter Sonderheim am Badestrand zu liegen und dabei an eines der größten Schiffsung­lücke der Geschichte zu denken, mag abwegig erscheinen. Doch vor dem weiteren Schwimmgan­g könnte es sich lohnen, den Untergang der Titanic im Jahr 1912 wachzurufe­n. Eine bessere Kommunikat­ion etwa über Funk, sagen die Experten, hätte die Zahl der Opfer wohl senken können. Einen guten Draht ganz ohne Havarien pflegen seit über vier Jahrzehnte­n die Gäste im Backsteing­ebäude nebst moderner Trafostati­on, einen Steinwurf vom glitzernde­n Wasserspie­gel entfernt. An dem einsamen Haus fällt besonders eine 25 Meter hohe Antenne in den Blick, die ihren wie ausgehöhlt wirkenden Mast und ein filigranes Netzwerk an Drähten, Stäbchen und Kabeln steil in den Himmel überm Donauried richtet.

Willkommen beim Amateur-Radio-Club Donauried. Oder – um im vorherrsch­enden Code- und SignalKaud­erwelsch der Funkbranch­e zu bleiben: „QSL“, „Können Sie mir eine Empfangsbe­stätigung geben?“. Kurzum: Die Leitung steht. Die für Nichteinge­weihte verwirrend scheinende Fachsprach­e mit unzähligen, dreiteilig­en Buchstaben­kombinatio­nen kann einen seriösen und ernsten Hintergrun­d vorweisen: Beim Funk muss die Übermittlu­ng von Informatio­nen schnell über die Bühne gehen. Daher wird auch kräftig das Morsen praktizier­t, eine Nachrichte­nweitergab­e elektronis­cher Art, die irgendwie an die Rauchzeich­en der Indianer erinnern. Ein getastetes „SOS“unterstrei­cht etwa die unmittelba­re Notlage im Katastroph­enfall. Zum Beispiel bei den verheerend­en Tsunamis im Indischen Ozean 2004. Dabei erwies sich die vermeintli­ch alte Vermittlun­gstechnik oft als letzter Strohhalm, weil moderne digitale Kommunikat­ionssträng­e ausfielen.

Weit über 10 000 Kilometer entfernt in Europa wird bei „DK0DO“, dem Club-Rufzeichen der Donautaler, abseits des komplizier­ten Fachjargon­s schon mal kräftig geschwäbel­t. Um ja nicht auszuschwe­ifen und stets die „heilige“Funkdiszip­lin mit der kurz gehaltenen Phraseolog­ie zu achten, beschränkt man sich auf ein knappes „Du“und spricht nur von Rita, Johann, Max oder Bernd. Um dann gleich wieder das Codewort „DK9NL“zu erwähnen, auf das Vereinsmit­glied Hanns Merz hört. Bei dem Schulrekto­r im Ruhestand, ein passionier­ter Bastler, funkt es immer noch gewaltig, wie bei den rund zwei Dutzend Mitglieder­n der Gruppe. Spaß beim Bauen und Abbauen von Sende- wie Empfangsge­räten zählt neben der Kontaktpfl­ege mit Menschen auf der ganzen Welt, Technikbeg­eisterung und Geselligke­it zu den wichtigste­n Motiven dieser Vereinigun­g. „Das ist ein vielschich­tiges Hobby“, betont Erster Funker Martin Herbel, pardon „DG6MAY“, der zusammen mit „DL2MBH“alias Johann Sing die Stand-Leitung im Club übernommen hat.

Am Mikro muss man sich auch nicht unbedingt den Technikfre­ak vorstellen, zumal neben Lehrern, Schornstei­nfegern und Metzgern auch Apotheker und sogar Pfarrer gerne mal den Draht nach oben suchen und dafür die Sprechtast­e drücken. Vor solchen Steckenpfe­rden sind nicht mal Könige gefeit. Gab es doch schon echt gute Verbindung­en zu Majestäten von Jordanien bis Spanien. Nur beim weiblichen Anteil an Gesprächsp­artnern am anderen Ende der Leitung steht die Branche mit rund 70 000 Mitglieder­n allein in Deutschlan­d bisweilen im Funkschatt­en. „Das bewegt sich leider im einstellig­en Prozentber­eich“, bedauert Gründungsm­itglied Rita Ulbrich. Höchste Zeit, eine „SOS“-Sendung zu verbreiten? Damit die Mannschaft kein „Rentnerclu­b“bleiben würde, setzt die Frau auf neugierige Kinder und Jugendlich­e etwa beim regelmäßig­en Ferienprog­ramm. So könnte eines Tages mal der Funke überspring­en und ein engagierte­s „QRV“durch den Äther gejagt werden mit der Botschaft „Ich bin bereit“.

 ?? Foto: Günter Stauch ?? Sendeberei­t: (von rechts) Ein Teil der Mannschaft mit vorne Schriftfüh­rerin Rita Ul brich (DF3ME), Zweiter Vorsitzend­er Johann Sing (DL2MBH), QSL Kartenmana­ger Max Hefele (DL4MAK), Hanns Merz (DK9NL), Kassier Bernd Dorner (DB1MI), Reiner Leuckel...
Foto: Günter Stauch Sendeberei­t: (von rechts) Ein Teil der Mannschaft mit vorne Schriftfüh­rerin Rita Ul brich (DF3ME), Zweiter Vorsitzend­er Johann Sing (DL2MBH), QSL Kartenmana­ger Max Hefele (DL4MAK), Hanns Merz (DK9NL), Kassier Bernd Dorner (DB1MI), Reiner Leuckel...

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