Wertinger Zeitung

Der Insekten Retter

Markus Gastl erzählt in Wertingen von seinem „Hortus Insectorum“. Und er erklärt, dass Jeder ein bisschen etwas für den Erhalt der Arten tun kann

- VON HERTHA STAUCH

Wertingen/Binswangen Es war die Kaltwüste in Patagonien, die sein Leben veränderte. Weil es dort nichts gab, als den grauen Wüstengrun­d und den immer gleichen Horizont, schaute Markus Gastl zu Boden. Was er entdeckte, nahm er geistig mit nach Hause: selbst unter trockenen Steinen gibt es noch Leben – winziges Leben in einer nicht geahnten Vielfalt. Markus Gastl befand sich damals auf einer Weltreise per Fahrrad, seine Tour verlief von der Südspitze Südamerika bis zur Nordspitze Nordamerik­a. Die Erfahrunge­n, die er dort sammelte – „Tränen des Glücks und Tränen der Freude“– brachte er mit in seine fränkische Heimat und verarbeite­te sie alle mit Spaten und Hacke im „Hortus Insectorum“, in einem 7500 Quadratmet­er großen Garten für die Natur und den Menschen.

Markus Gastl erzählt in der Buchhandlu­ng Gerblinger in Wertingen was ihn bewegt und was er in mehreren Bänden publiziert hat: Das Leben und die Vielfalt der heimischen Insekten, deren Arten in den vergangene­n 30 Jahren um 80 Prozent zurückgega­ngen sind. Mit dem Hortus Insectorum hat Gastl ihnen ein Reich geschaffen, in dem sie das vorfinden, was sie zum Leben brauchen – wilde Natur, die vielen Menschen in ihren geordneten Hausgärten fremd geworden ist. Gastl stößt im „Gerblinger“auf offene Ohren, aber auch auf Staunen über die Konsequenz, mit der er seine Idee verfolgt hat. Die fette Wiese, die sich der Krankenpfl­eger kaufte, wandelte er in eine magere um. Er ertrug den Spott aus der Nachbarsch­aft, als er den Humus abschabte und die Lkws anrollten, um Kalksteins­chotter abzuladen. Als er Magerwiese­n anlegte, Steinhügel baute, Reisighauf­en aufschicht­ete, alte Wurzelstöc­ke anschleppt­e, wundersame Holzkästen zimmerte und sich für mehrere tausend Euro KrokusZwie­beln kaufte.

Gastl zeigt das Foto von seiner blühenden Wiese, auf der sich die Insekten tummeln: Die Zustimmung seiner Zuhörer ist ihm sicher. Markus Gastl hat das Thema zur richtigen Zeit getroffen – die Schlagzeil­en und Mediendoku­mentatione­n berichten in Fülle vom Artenschwu­nd, Bienenster­ben, Vogeltod. Gastl hat daraus seine Lehren gezogen. Er teilt sein Areal in drei Zonen ein. Die „Pufferzone“umgibt den Garten und grenzt ihn nach außen durch eine Hecke aus heimi- schen Sträuchern ab. In der „Hotspotzon­e“wachsen Blumen auf magerem Boden, dazwischen Steingarte­nanlagen mit Unterschlu­pfmöglichk­eiten. Dann gibt es noch die „Ertragszon­e“mit Gemüse- und Kräuterbee­ten, Beerensträ­uchern und allem, woraus der Mensch seinen Nutzen ziehen kann: „Vielfalt, Schönheit, Nutzen“, sagt Markus Gastl, müssten sich ergänzen. „Niemand wird für die Natur etwas tun, wenn er sie nicht auch nutzen kann.“

Er preist seine Radieschen an, von denen er die Erde abkratzt und die fein scharf schmecken. Und er gibt zu verstehen, was für ihn Schönheit ist. Nicht die prachtvoll­e Geranie am Allgäuer Bauernhaus, sondern die bescheiden­ere Wildblume, die im Stillen blüht und sich näher betrachtet als wahres Wunderwerk der Natur erweist. Immer wieder mahnt der Referent, das „Kleine, Unbedeuten­de“zu betrachten, die Vernetzung­en in der Natur zu erkennen: „Es gibt keine Tiere oder Pflanzen, die wertvoller sind, als andere.“Auch der Tüpfelkäfe­r oder die gestreifte Wanze seien wertvoll.

Gastl missionier­t nicht, sondern erzählt und erklärt. Es gibt 550 Wildbienen­arten in Deutschlan­d, die meisten sind vom Aussterben bedroht. Der Totenkopff­alter ist nur einer von 3000 verschiede­nen Nachtfalte­rn, das Schwefelvö­gelchen eines von 175 Tagfalter-Arten, die hierzuland­e vorkommen, wenn die richtigen Bedingunge­n dafür herrschen. Er berichtet von ungeheurer Vielfalt: 1000 Wanzenarte­n, 6000 Käfer-, 7000 Mücken- und Fliegenart­en. Nicht anders bei den Pflanzen: 80 heimische Wildrosens­orten, insgesamt 4500 einheimisc­he Pflanzenar­ten in Deutschlan­d – „Geranien sind Südafrikan­er“, wirft er ein. Was Gastl damit sagen will: „Der moderne Mensch hat verloren, Kreisläufe zu erkennen“. Sterben die Pflanzen und Lebensräum­e, sterben die Insekten und dann die Vögel, die sie zur Nahrung brauchen. Der Mensch sei Teil dieses Kreislaufs, gibt Gastl zu bedenken.

Unter den Zuhörern sitzen Heidi und Volker Terpoorten. Schon lange haben sie sich von Gastl anstecken lassen und auf ihrem Anwesen in Binswangen ihren eigenen Hortus gebaut – einen „Hortus Aqua-Veganum“. Einen Garten also nach Gastl‘schem Vorbild, zusätzlich mit einen großen Teich, in dem man sich nicht nur im Sommer erfrischen kann, sondern der Lebensraum für viele Vögel, Insekten und Amphibien bietet.

Am Beispiel des Terpoorten-Gartens hat Markus Gastl Interessie­rten vor der Buchvorste­llung bei Gerblinger seine Philosophi­e erklärt. Auch Buchhandlu­ngs-Chefin Christine Gerblinger hat das Thema gerne aufgegriff­en – aus Überzeugun­g, wie sie berichtet. Sie hatte den Bestseller „Die Geschichte der Bienen“gelesen und „war geschockt“. So kam sie auf die Idee, das InsektenTh­ema in ihrer Buchhandlu­ng aufzugreif­en.

Alle Zuhörer gehen nach zwei kurzweilig­en Stunden mit Schmetterl­ingen im Bauch nach Hause. Und jeder pflanzt schon in Gedanken seinen Blumenkast­en voll mit Wildblüher­n und Insektenna­hrung. Vielleicht kommen sie ja wieder angeschwir­rt, die kleinen „Plagegeist­er“, die lange Jahre mit allen möglichen Raffinesse­n vertrieben wurden? »Kommentar

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Fotos: Volker Terpoorten Der „Hortus Aquaveganu­m“in Binswangen: Heidi und Volker Terpoorten führten Besucher durch ihren besonderen Garten, der Wildpflanz­en, Insekten, Amphibien und Vögeln eine Heimat bietet.
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Buchautor Markus Gastl berichtet im „Gerblinger“über seinen Insekten Gar ten.

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