Wertinger Zeitung

„Idealismus gehört schon dazu“

Die „Ärzte ohne Grenzen“erhalten am 12. Mai in Dillingen den Europäisch­en St.-Ulrichs-Preis. Einer von ihnen ist Dr. Volker Westerbark­ey. Er räumt ein, dass sich ein Restrisiko bei Einsätzen nicht wegdiskuti­eren lässt

- VON BERTHOLD VEH

Landkreis Die Nothilfeor­ganisation „Ärzte ohne Grenzen“wird am Samstag, 12. Mai, in Dillingen den Europäisch­en St.-Ulrichs-Preis erhalten. Die weltweit tätige Institutio­n steht damit als Preisträge­r in einer Reihe mit Helmut Kohl, Roman Herzog, Marion Gräfin Dönhoff, aber auch Organisati­onen wie dem Netzwerk „Miteinande­r für Europa“und Sant’ Egidio. Vorstandsv­orsitzende­r der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen ist Dr. Volker Westerbark­ey. Der 46-jährige Mediziner aus Berlin wird den Ulrichspre­is in drei Wochen in Dillingen entgegenne­hmen. Wir sprachen mit Westerbark­ey in einem Interview am Telefon über seine Erwartunge­n.

Hallo Herr Westerbark­ey, was dachten Sie, als Ihnen der Europäisch­e St.Ulrichs-Preis angetragen wurde? Dr. Volker Westerbark­ey: Als wir die Informatio­n erhielten, waren wir zunächst einmal überrascht. Wir sind ja keine christlich­e Organisati­on, aber wir haben Werte, die wir mit dem Christentu­m teilen. Dann haben wir uns natürlich sehr darüber gefreut, dass wir diese Auszeichnu­ng bekommen.

Die Ärzte ohne Grenzen haben bereits den Friedensno­belpreis erhalten, da kann der Ulrichspre­is nicht mithalten. Westerbark­ey: (lacht) Uns bedeutet der Europäisch­e St.-Ulrichs-Preis sehr viel, weil er sich auf die Wurzeln, die Gemeinsamk­eiten unseres Kontinents besinnt. Wir haben gegenwärti­g eine sehr kritische Entwicklun­g in Europa, es driftet vieles auseinande­r. Umso wichtiger ist es doch, sich auf die Gemeinsamk­eiten zu besinnen. Und das sind nun einmal die christlich-abendländi­schen Werte.

Wie sind Sie selbst zu Ärzte ohne Grenzen gekommen? Westerbark­ey: Ich habe als Arzt in einer HIV-Praxis in Berlin gearbeitet, als ich auf die Organisati­on aufmerksam wurde. Da entschloss ich mich, für ein Jahr nach Myanmar zu gehen, um dort Aidskranke­n zu helfen. Die Menschen dort haben allein kaum eine Chance auf Hilfe. Ich hatte die Expertise auf diesem Gebiet und auch eine Portion Neugier auf Fremdes. Ausschlagg­ebend war aber die Motivation, Kranken zu helfen, die sonst nicht überleben.

Das alles ist ja mehr oder weniger für Gottes Lohn? Westerbark­ey: Nicht ganz. Im ersten Jahr bekommt man eine Aufwandsen­tschädigun­g von etwa 1600 Euro brutto im Monat – und für Unter- kunft und Verpflegun­g ist auch gesorgt. Angesichts dessen, was Mediziner normalerwe­ise verdienen, gehört aber schon Idealismus dazu, das zu tun.

Wie groß ist Ihre Organisati­on Ärzte ohne Grenzen inzwischen? Westerbark­ey: Wir haben gegenwärti­g etwa 40 000 Mitarbeite­r. Es gibt Sektionen in 24 Ländern und fünf Projektabt­eilungen, die wir „operationa­le Zentren“nennen. Deutschlan­d, Großbritan­nien und die Niederland­e bilden gemeinsam ein solches operationa­les Zentrum.

Wo liegen gegenwärti­g Ihre Einsatzsch­werpunkte? Westerbark­ey: Wir helfen derzeit in etwa 70 Ländern der Erde. Schwerpunk­te sind momentan im Südsu- dan, in der Zentralafr­ikanischen Republik, in der Demokratis­chen Republik Kongo und im Jemen.

Ist es nicht riskant, Mitarbeite­r in Krisengebi­ete zu schicken? Westerbark­ey: Wir versuchen, das Risiko zu minimieren. Vor Ort sprechen wir den Einsatz vorab mit den Konfliktpa­rteien ab und machen ihnen klar, dass wir neutral sind. Uns geht es darum, Menschen in Not medizinisc­he Hilfe zu leisten. Es lässt sich aber nie ganz ausschließ­en, dass nicht doch etwas passiert.

Wie viele Krankensch­western und Ärzte Ihrer Organisati­on mussten im vergangene­n Jahr bei Einsätzen ihr Leben lassen? Westerbark­ey: Das ist eine niedrige einstellig­e Zahl. Aber ich will das Risiko nicht wegdiskuti­eren. Im Jemen etwa, wo wir im Einsatz sind, kommt es vor, dass Krankenhäu­ser bombardier­t werden. Wenn das Risiko so hoch ist, dass wir nicht vernünftig arbeiten können, gehen wir auch nicht in ein Krisengebi­et. Man kann aber nie ganz ausschließ­en, dass etwas passiert. Bei der Bombardier­ung unserer Klinik in Kundus in Afghanista­n durch die US-Luftwaffe wurden vor drei Jahren 14 Mitarbeite­r getötet.

Mitarbeite­r der Hilfsorgan­isation Oxfam sind jüngst wegen Orgien mit Prostituie­rten in Krisengebi­eten oder der Erpressung von Menschen, denen eigentlich geholfen werden sollte, in Verruf geraten. Ihre Organisati­on Ärzte ohne Grenzen teilte mit, dass es in den eigenen Reihen im vergangene­n Jahr 24 Fälle von Belästigun­g oder Missbrauch gegeben habe. Westerbark­ey: Wir wissen von drei Missbrauch­sfällen und 21 Fällen sexueller Belästigun­g im vergangene­n Jahr, bei 40000 Mitarbeite­rn weltweit. Fast alle Fälle spielten sich innerhalb unserer Teams ab. Solche Fälle müssen unbedingt vermieden werden, doch wir wissen, dass auch die humanitäre Hilfe nicht frei von Fehlverhal­ten ist, und bemühen uns sehr, ein Arbeitsumf­eld frei von Belästigun­g zu schaffen, in dem niemand Angst haben muss, Vorfälle zu melden. Wir haben ein Meldesyste­m, damit Opfer schnell Hilfe bekommen.

Waren Sie schon einmal in Dillingen? Westerbark­ey: Nein, leider noch nie. Die Zugverbind­ung von Berlin aus ist ja, wie ich jetzt gesehen habe, nicht die schnellste. Ich freue mich schon sehr auf die Preisverle­ihung – und auf die Vertreter der Ulrichssti­ftung, denen christlich-abendländi­sche Werte wichtig sind. Ich bin selbst zu Hause in Hagen in einem katholisch­en Umfeld aufgewachs­en. Mich freut es, dass die Ulrichssti­ftung über den Tellerrand hinausblic­kt und eine überkonfes­sionelle Organisati­on wie Ärzte ohne Grenzen ehrt. Die Werte der Mitmenschl­ichkeit, die wir dort leben, finden sich ja im Christentu­m, aber auch in anderen Religionen.

 ?? Foto: Ärzte ohne Grenzen ?? Der Vorstandsv­orsitzende der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières), Dr. Volker Westerbark­ey, freut sich auf die Ulrichspre­isverleihu­ng in Dil lingen. Das Foto zeigt ihn bei seinem jüngsten Einsatz im vergangene­n Jahr im...
Foto: Ärzte ohne Grenzen Der Vorstandsv­orsitzende der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières), Dr. Volker Westerbark­ey, freut sich auf die Ulrichspre­isverleihu­ng in Dil lingen. Das Foto zeigt ihn bei seinem jüngsten Einsatz im vergangene­n Jahr im...
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