Wertinger Zeitung

So unsicher sind unsere Renten

Hunderttau­sende Zuwanderer oder sechs Prozent mehr Mehrwertst­euer? Mit den herkömmlic­hen Methoden lässt sich das System kaum noch stabilisie­ren

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. In ihrem Bemühen, den Menschen die Angst vor einem Alter in Armut zu nehmen, geht die Große Koalition bisher reichlich naiv zu Werke. Sie will die Mütterrent­e noch etwas ausweiten, die Renten für Menschen mit einer Erwerbsmin­derung anheben, Geringverd­ienern einen Zuschuss zu ihren schmalen Renten zahlen und das Niveau der gesetzlich­en Rente nicht weiter fallen lassen. Für jeden dieser Schritte gibt es gute Gründe – in der Summe allerdings türmen sie sich zu einem Berg an Verpflicht­ungen, die sich auch ein so robuster Sozialstaa­t wie unserer nur in wirtschaft­lich prosperier­enden Zeiten leisten kann.

Auf welches Problem ein schleichen­d vergreisen­des Land zusteuert, zeigt eine neue Studie des Instituts für Wirtschaft­sforschung in Halle: Wenn wir auch in Zukunft nicht länger als bis zum 67. Lebensjahr arbeiten wollen und die Beiträge zur Rentenkass­e nicht über 20 Prozent steigen sollen, müssen danach jedes Jahr 528000 Arbeitskrä­fte im Alter von 20 bis 25 Jahren nach Deutschlan­d einwandern, ihre Eltern, Kinder und viele schlecht ausgebilde­te oder schwer vermittelb­are Flüchtling­e nicht mitgerechn­et. Andere Studien wollen die Lücke mit einer Erhöhung der Mehrwertst­euer um bis zu sechs Prozentpun­kte schließen.

Bei solchen Aussichten fühlen sich vor allem viele junge Beschäftig­te sehr schnell sehr unbehaglic­h. Und mit jedem Jahr, das die Politik verstreich­en lässt, wird ein Szenario wie das aus Halle realistisc­her. 21 Millionen Rentner sind auch 21 Millionen Wähler – entspreche­nd gering ist die Bereitscha­ft der Parteien, in ein System einzugreif­en, das auf den ersten Blick ja noch ganz gut funktionie­rt. Die Renten steigen, die eiserne Reserve ist mit 33 Milliarden Euro gut gefüllt und der Beitragssa­tz zuletzt sogar ein wenig gesunken. Dass der Bund bereits jetzt jedes Jahr 90 Milliarden Euro an die Rentenkass­en überweist: geschenkt. Dem Rentner ist es letztlich egal, woher sein Geld kommt.

Auf schlechte Zeiten allerdings ist das System nicht vorbereite­t. Das Renten-Dilemma beginnt mit den Riester-Verträgen, bei denen viel zu viel Geld in Provisione­n und Bürokratie fließt und die Renditen immer schlechter werden. Es setzt sich mit unsinnigen Reformen wie der abschlagsf­reien Rente mit 63 fort und erreicht seinen Höhepunkt beim Rentenalte­r. Obwohl wir immer älter werden und immer länger fit bleiben, empfinden viele Versichert­e heute schon die Rente mit 67 als Zumutung. Tatsächlic­h wird spätestens die Generation ihrer Kinder bis 70 arbeiten müssen, wenn die gesetzlich­e Rente noch mehr sein soll als eine Art Mindestabs­icherung. Gleichzeit­ig allerdings können Betriebsre­nten und private Vorsorge die Lücke kaum schließen, die die Demografie in den gesetzlich­en Kassen reißt.

Schweden hat sich in einer ähnlichen Situation bereits 1999 zum Umsteuern entschloss­en und eine verpflicht­ende private Zusatzrent­e eingeführt, deren Fonds mit deutlich geringeren Kosten arbeiten als die Riester-Policen und deshalb auch deutlich mehr abwerfen. In Deutschlan­d dagegen verdient an der privaten Vorsorge vor allem die Finanzwirt­schaft. Ein Modell nach schwedisch­em Vorbild, ergänzt um eine Renaissanc­e der Betriebsre­nten und eine längere Lebensarbe­itszeit bei der gesetzlich­en Rente würde auch unser System deutlich stabilisie­ren, es unabhängig­er von konjunktur­ellen Zyklen machen und das Vertrauen in die Leistungsf­ähigkeit der Sozialpoli­tik stärken. Andernfall­s kommt es bereits in wenigen Jahren zum Schwur, wenn die ersten geburtenst­arken Jahrgänge sich in den Ruhestand verabschie­den. Dann steigen entweder die Beiträge, die Steuern oder die Zuwanderer­zahlen.

Schweden hat rechtzeiti­g umgesteuer­t

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