Wertinger Zeitung

Beate Zschäpes letzte Chance

Der Anwalt der 43-Jährigen zeichnet das Bild einer Frau, die nichts gewusst haben will

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München Jetzt also. Jetzt geht es für Beate Zschäpe um alles. Und für die beiden Anwälte ihres Vertrauens, Hermann Borchert und Mathias Grasel. Viele, viele Verzögerun­gen hatte es zuletzt gegeben, immer neue Befangenhe­itsanträge. Noch am Dienstagvo­rmittag gibt es neue Querelen, sogar die Abtrennung des Verfahrens gegen einen der Mitangekla­gten steht im Raum. Doch um Punkt 12.58 Uhr, nach fast fünf Jahren NSU-Prozess, bekommen tatsächlic­h die Verteidige­r der mutmaßlich­en Rechtsterr­oristin das Wort für ihr Plädoyer.

Borchert beginnt. Zschäpe liest, so sieht es von der Besuchertr­ibüne aus, das Manuskript mit. Ihre dunklen Haare trägt sie offen, sie wirken wie ein Schutzvorh­ang. Zschäpes Anwälte wissen, dass dies wohl ihre letzte Chance ist, ihre Sicht der Dinge darzulegen auf die Verbrechen­sserie des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“, die die Republik erschütter­t hat. Ihre Sicht auf die Taten, die die Anklage Zschäpe vorwirft. Und die Bundesanwa­ltschaft hat keine Zweifel aufkommen lassen. Nach ihrer Überzeugun­g ist Zschäpe Mittäterin an allen Verbrechen des NSU: den neun Morden an türkischun­d griechisch­stämmigen Gewerbe- treibenden, dem Mord an einer Polizistin, zwei Bombenansc­hlägen mit vielen Verletzten sowie 15 Raubüberfä­llen. Die Anklage fordert die Höchststra­fe für die 43-Jährige: lebenslang­e Haft und anschließe­nde Sicherungs­verwahrung.

Diese Vorwürfe müssen Zschäpes Anwälte nun kontern. Schon zu Beginn kritisiert Borchert deshalb die Beweiswürd­igung der Bundesanwa­ltschaft als mangelhaft und ein- seitig. Die Beweismitt­el reichten „weder im Einzelnen noch in der Gesamtscha­u“aus, um die Voraussetz­ungen für eine gleichbere­chtigte Mittätersc­haft zu erfüllen. Zschäpe, so der Anwalt, habe über die Motive ihrer beiden mutmaßlich­en Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nichts gewusst. „Meine Mandantin bestreitet vehement, sowohl diesen Mord als auch die späteren Morde und Bombenansc­hläge gewollt und unterstütz­t zu haben“, sagt Borchert mit Blick auf den ersten NSU-Mord im September 2000.

Das ist eine zentrale Frage dieses ganzen Prozesses: War Zschäpe im juristisch­en Sinne Mittäterin? Dann könnte sie verurteilt werden, als hätte sie selbst den Abzug der „Ceska“gedrückt, der Waffe, mit der der NSU mordend durch die Republik zog, Frauen den Ehemann, Kindern den Vater, Eltern den Sohn nahm. Nämlich als Mörderin. Borchert und Grasel aber wollen ein anderes Bild ihrer Mandantin zeichnen, ein Bild, das Zschäpe in ihren schriftlic­hen Einlassung­en vor Gericht auch selbst vermitteln wollte: dass sie keine kaltblütig­e Mörderin sei; dass sie die Morde und Anschläge ihrer Freunde nicht mitgeplant und unterstütz­t habe – die beiden hatten sich nach einem fehlgeschl­agenen Banküberfa­ll selbst erschossen; dass sie davon immer erst später erfahren habe. Richtig sei zwar, argumentie­ren sie, dass Zschäpe bei der Tarnung des Untergrund­lebens geholfen habe, mit Legenden über die falschen Identitäte­n oder dem Beschaffen falscher Papiere. Nicht richtig sei aber, dass Zschäpe damit beabsichti­gt habe, Mord- und Bombenansc­hläge ihrer Freunde zu tarnen. Der vom Gericht beauftragt­e Psychiater täusche sich überdies, wenn er meine, Zschäpes Einlassung­en ließen keine Empfindung­en über Taten und Opfer erkennen.

Welche Strafe sie für ihre Mandantin für angemessen halten würden, werden Grasel und Borchert erst am Ende ihres Plädoyers sagen. Anschließe­nd sollen, nach einer gewissen Pause, Zschäpes Altverteid­iger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm an die Reihe kommen. Sie hatten den gesamten Prozess von Anfang an mitgemacht – anders als Grasel und Borchert, die erst später hinzukamen. Danach sollen die Anwälte der vier Mitangekla­gten drankommen. Und dann, ja, dann könnte nach mehr als fünf Jahren Prozessdau­er irgendwann das Urteil fallen. (dpa)

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Foto: dpa Seit mehr als fünf Jahren läuft der Pro zess gegen Beate Zschäpe.

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