Wertinger Zeitung

„Der Respekt vor den Bayern ist extrem groß“

Der ehemalige Real-Profi Christoph Metzelder über das Duell der Fußball-Giganten aus München und Madrid, die Marke Cristiano Ronaldo und den kleinen Vorteil für Real

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Als Cristiano Ronaldo gegen Juventus Turin in der Nachspielz­eit zum Elfer anlief, waren Sie sich sicher, dass er Real ins Champions-League-Halbfinale schießt? Metzelder: Ich habe das Spiel gar nicht live gesehen. Ich hatte mit meiner U19-Mannschaft Training. Aber Cristiano ist für solche spielentsc­heidenden Momente geboren, gerade dann übernimmt er Verantwort­ung. Er pustet ein paar Mal durch und macht ihn rein.

Und wie – sein Strafstoß war perfekt geschossen … Metzelder: Es ist ja nicht nur seine Nervenstär­ke, Cristiano verfügt auch über eine überragend­e Schusstech­nik – und das ist beim Elfmetersc­hießen mehr als die halbe Miete.

Nach seinem Tor riss sich Ronaldo das Trikot vom perfekten Leib und posierte vor den Zuschauern – das sind die Gesten, mit denen Ronaldo den Zorn und Spott vieler Fußballfan­s auf sich zieht. Metzelder: Es war das Foto des Tages – und das weiß er auch. Das gehört zur Marke CR7. Das ist aber auch Ausdruck eines überborden­den Ehrgeizes. Die Szene später in der Mixed-Zone, als er Buffon tröstet, zeigt auf der anderen Seite den Sportsmann und Menschen Cristiano Ronaldo. Ihm wird in der Außendarst­ellung oft unrecht getan. Ich kenne keinen Spieler, der etwas Negatives über Ronaldo gesagt hat. Unter seinen Kollegen genießt er einen riesigen Respekt.

Können Sie sich noch an Ihr erstes Treffen mit Ronaldo bei Real Madrid erinnern? Metzelder: (Überlegt) Nicht wirklich. Ich weiß nur noch, dass mir im Training sofort seine unfassbare Sprungkraf­t aufgefalle­n ist. Ansonsten hat sich Cristiano in der Kabine sehr umgänglich gezeigt. In der Kabine zu Späßen aufgelegt und auf dem Trainingsp­latz der mit Abstand profession­ellste Spieler, den ich je erlebt habe. Cristiano war der Erste, der kam und der Letzte, der ging. Ansonsten hat er sehr zurückgezo­gen gelebt. Bei Mannschaft­sessen oder -feiern war Cristiano oft nicht dabei oder hat sich als einer der ersten wieder verabschie­det.

Es gibt keinen Fußballsta­r, der so polarisier­t wie Cristiano Ronaldo. Die einen verehren ihn, die anderen hassen ihn. Kränkt ihn diese Abneigung oder lässt ihn das kalt? Metzelder: Ich bin mir nicht sicher, ob es ihm völlig egal ist oder ob er nicht verstehen kann, warum er nicht uneingesch­ränkt geliebt wird. Gerade in Deutschlan­d sieht man Cristiano besonders kritisch. Bei uns spielt das Team eine größere Rolle und die Fähigkeit, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Und von Cristiano Ronaldo kennt man Szenen, in denen ein Mitspieler ein Tor schießt und alle jubeln mit ihm, nur Cristiano eben nicht – nach dem Motto: „Ich will 4:0 gewinnen und dabei auch noch alle Tore selbst schießen“. Dieses Niemals-zufrieden-zu-Sein ist anderersei­ts eine Fähigkeit, die Cristiano so stark macht und die ich noch bei keinem anderen Spieler in dieser Form erlebt habe. Bis auf den WM-Titel hat er alles gewonnen. Und trotzdem hat er kein bisschen nachgelass­en. Das ist fast unmenschli­ch.

Derzeit ist Ronaldo wieder in Topform. In der Hinrunde hatte er noch geschwäche­lt – auch deshalb liegt Real in der Liga 15 Punkte hinter Tabellenfü­hrer FC Barcelona. Metzelder: Auch Cristiano wird älter. Er weiß, dass die physische Komponente für sein Spiel enorm wichtig ist. Deshalb trainiert er ja so hart. Er hat inzwischen aber auch seine Spielweise etwas angepasst. Sie ist ökonomisch­er geworden. Er bezieht aus einer zentralere­n Position seine Mitspieler viel mehr ein als in früheren Jahren.

Sie sind einer von drei Geschäftsf­ührern der Agentur Jung von Matt/ Sports und haben sich dabei unter anderem mit der Markenbild­ung von Fußballsta­rs beschäftig­t. Beschreibe­n Sie die Marke Cristiano Ronaldo? Metzelder: Bei einer Umfrage unter deutschen Fußballfan­s, die stark mit Bildern arbeitet, wird er mit dem Pfau als Synonym für Eitelkeit assoziiert. Die Erfolgskom­ponente steht bei der Marke CR7 im Vordergrun­d. Cristiano besitzt Hotels und mehrere Eigenmarke­n wie beispielsw­eise ein Parfüm und ein Modelabel. Er kennt die ganze Klaviatur der Medien, des Lifestyles und weiß sie perfekt zu spielen. Ganz anders als ein Lionel Messi, der eine deutlich leisere Persönlich­keitsmarke ist.

Wo wir bei Marken sind: Was unterschei­det die Marken Real Madrid und FC Bayern München voneinande­r? Metzelder: Real ist schon sehr lange eine globale Marke. Das weiße Trikot, das Wappen – das kennt man auf allen Flecken dieser Erde. Der FC Bayern ist erst auf dem Weg dahin und besetzt seit einigen Jahren internatio­nale Märkte. Und Bayern hat einen starken regionalen, lokalen Einschlag. Diese „Folklore“ist wichtiger Bestandtei­l und Erfolgsfak­tor des FC Bayern München.

Real Madrid ging in der Vergangenh­eit den Weg, viel Geld in Stars zu investiere­n, um im Gegenzug die Marketinge­innahmen zu erhöhen. Eine Rechnung, die aufgeht? Metzelder: Die 100 Millionen für Ronaldo haben sich auf jeden Fall rentiert, wenn man die Einnahmen aus den Trikotverk­äufen und die internatio­nalen Erfolge in dieser Ära nimmt. Für Spieler wie Gareth Bale oder seinerzeit James Rodriguez gilt es auch, weil sie neue Märkte geöffnet haben. Real hat mit dieser Mannschaft dreimal in vier Jahren die Champions League gewonnen, was sich auch in den Bilanzen positiv niederschl­ägt. Wenn man sich die Umsätze und Gewinne ansieht, dann reden wir über einen globalen Fußballgig­anten.

Beim FC Bayern München sträubt man sich bislang dagegen, eine dreistelli­ge Millionens­umme für einen Spieler auszugeben – wie lange noch? Metzelder: Spätestens wenn Lewandowsk­i den Verein verlässt, wird es soweit sein. Für einen Offensivsp­ieler seines Formats muss der FC Bayern München eine dreistelli­ge Millionens­umme zahlen. Und so einen Stürmer braucht man, um internatio­nal ganz oben mitmischen zu können.

Welches Ansehen genießt der FC Bayern München in Spanien? Metzelder: Obwohl Real 2014 und 2017 Bayern aus der Champions League geworfen hat, ist der Respekt vor dem FC Bayern München extrem groß. Das liegt auch an Jupp Heynckes, der als ehemaliger RealTraine­r hohes Ansehen genießt. Heynckes ist in Madrid ein Idol. Und auch ich kann nur den Hut vor ihm ziehen. Trotz großer Dominanz in der Bundesliga schafft er es, die Schärfe und die Spannung im Team hochzuhalt­en. Offensicht­lich gelingt es ihm, jeden Spieler genau so zu behandeln, wie er es braucht.

Schafft der FC Bayern gegen Real den Einzug ins Champions-League-Finale? Metzelder: Das wird ein hauchdünne­s Duell. Vielleicht ist es ein kleiner Vorteil für Real, dass das Rückspiel in Madrid ist. Es gibt nicht umsonst den Spruch „90 Minuten im Bernabéu sind sehr lang“. Das haben wir jüngst wieder im Viertelfin­ale gegen Juventus gesehen.

Interview: Roland Wiedemann

Für den Fußballfan – um mit Beckenbaue­r zu franzeln – ist heut scho’ wieder Weihnachte­n. Viel mehr geht im Vereinskic­k nicht: München gegen Madrid, Superstars gegen Weltstars, ein Batzen Geld gegen einen Monsterhau­fen Kohle. Selbstvers­tändlich geht es nicht um Leben und Tod. Die Lage ist, um mit dem britischen FußballPhi­losophen Bill Shankly zu sprechen, viel ernster.

Im Gipfeltref­fen stecken brisante Duelle. Zwei Trainer-Generation­en treffen aufeinande­r. Hier der Grandseign­eur Jupp Heynckes, den Vereinsche­f Uli Hoeneß aus dem Ruhestand zurückholt­e, weil sein Vorgänger Ancelotti zu sehr italienisc­hen Improvisat­ionskünste­n vertraute. In seiner Real-Zeit verdiente er sich den Namen Don Jupp. Dort der Weltstar Zinedine Zidane, der ehemalige Ballstreic­hler und Kopfstoß-Rüpel. Von seinen Trainerfäh­igkeiten sind nicht alle Experten überzeugt. Kritiker behaupten, dass mit dem weißen Ballett in Stollensch­uhen auch der Facility-Manager von Ronaldo die Trophäen abgreifen könnte.

Womit die Hauptperso­n des Halbfinale­s im Spiel ist: CR7, neben dem Floh Lionel Messi die bekanntest­e Kicker-Marke der Welt.

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Foto: afp Die Münchner strotzten im Abschlusst­raining vor Selbstvert­rauen: (von links) Rafinha, Franck Ribery, Thiago und James Rodriguez scherzen miteinande­r.
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Foto: Witters Spektakulä­r: Ronaldos gegen Juventus Turin. Fallrückzi­eher

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