Wertinger Zeitung

Ein gelungenes Experiment

Erst ein Film, dann eine Diskussion mit einem Experten – was bringt’s?

- VON HERMANN MÜLLER

Dillingen Ein neues Format hatte Premiere im Katholisch­en Akademiker­kreis: im Dillinger Filmcenter traf er sich, um unter der Leitung des Theologen und Medienfach­manns Martin Ostermann den preisgekrö­nten Streifen McDonagh „Am Sonntag bist du tot“zu sehen und anschließe­nd zu diskutiere­n.

Der Film spielt in einem irischen Dorf, das vom landestypi­schen, durch den Missbrauch­sskandal aber in schweren Misskredit geratenen Katholizis­mus geprägt ist. Hauptfigur ist der Priester James, dem ein Mann im Beichtstuh­l ankündigt, er werde ihn am kommenden Sonntag töten; als Unschuldig­en würde er ihn opfern für die Sexual- und Gewaltdeli­kte, die er durch einen Priester erdulden musste und unter denen er für immer leide. In den bis dahin verbleiben­den Tagen – die Karwoche klingt an – kommt es zu aufschluss­reichen Begegnunge­n zwischen Pater James und Personen aus seinem Umfeld. Diese repräsenti­eren typische Charaktere und Grundhaltu­ngen, und sie leben in verschiede­nsten Verhältnis­sen mit- und gegeneinan­der. In atmosphäri­sch dichten, teils mit (schwarzem) Humor, teils mit Drastik, immer aber mit Gefühlsech­theit und -tiefe gestaltete­n Szenen und Dialogen kommt eine große Bandbreite existenzie­ller Probleme zur Sprache: Zuversicht wie Depression, Glaubenssi­cherheit wie Sinnleere, geund misslungen­e Beziehunge­n, auch Vereinsamu­ng, Gehemmthei­t wie Gewaltbere­itschaft, vor allem aber die Problemati­k von Schuld und Vergebung.

Seine glaubwürdi­g realistisc­h gezeichnet­en Figuren und Auftritte stellt der Regisseur nicht in den Dienst plakativer Botschafte­n, die sich dem Betrachter aufdrängen wollen. Vielmehr unterbreit­et er Angebote zur Identifika­tion oder zum Widerspruc­h, hält Fragestell­ungen offen, regt aber auf jeden Fall die Emotionali­tät und die Lust zur intellektu­ellen Auseinande­rsetzung an. Genau das bestätigte dann auch – nach der Vorführung – der gegenseiti­ge Austausch der Zuschauer über ihre Eindrücke und mögliche Deutungen einzelner Szenen und über die Aussage des Films im Ganzen.

Ostermann tat mit dezenter, aber impulsgebe­nder Moderation das Seine, damit das lebhafte Gespräch zu einer konzentrie­rten und nachhaltig­en Beschäftig­ung mit dem Filmerlebn­is werden konnte.

Fazit: Das Experiment „Film und Gespräch“war auf Anhieb gelungen. Weitere Folgen dieses Formats, in dem das Publikum nicht nur Zuhörersch­aft bleibt, sondern selbst einen mitgestalt­enden Part übernehmen kann, wären wünschensw­ert.

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