Wertinger Zeitung

Ein Künstler als Störfaktor

Georg Baselitz malt und sagt, was er denkt. Damit eckt er an. Und damit steht er auch für die Meinungs- und Kunstfreih­eit

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Wenn einer heute noch scharfe Ecken und Kanten zeigt unter den Künstlern einer Gesellscha­ft, die sich vermeintli­cher und wirklicher politische­r Korrekthei­t verschrieb­en hat, dann er: Georg Baselitz, Maler, Grafiker, Bildhauer. Mit seiner Meinung hält er kaum hinter dem Berg – und im Kunstbetri­eb war und ist er ein verlässlic­her Störfaktor von erhebliche­m Widerspruc­hsgeist. Als Hans-Georg Kern 1938 in Deutschbas­elitz (Oberlausit­z) geboren – Ursprung seines Künstlerna­mens –, füllt er kernig die Rolle eines Souveräns aus – sowohl in dessen bedenklich­er wie in dessen verehrungs­würdiger Ausprägung. Mal spricht der Absolutist aus ihm, öfter, erfreulich­erweise, der erfrischen­d kritisch reflektier­ende Freigeist.

Sicherlich haben Reputation und Popularitä­t geholfen, dass Baselitz jetzt den Ruf zum künstleris­chen Botschafte­r des heutigen Internatio­nalen Tags der Pressefrei­heit erhielt – zurzeit rangiert er auf Platz vier der einflussre­ichsten Künstler weltweit –, aber entscheide­nd für die Ehre war wohl anderes. Hier lebt ein Haudegen seit Jahren vor, was Presseund Kunst- und Meinungsfr­eiheit bedeuten; das starke Anecken, die sonderlich­e Sicht aus der individuel­len Perspektiv­e sehr wohl einbegriff­en, und zwar nicht aus Geltungssu­cht heraus, sondern aus persönlich­er Überzeugun­g.

So stellte Baselitz im wörtlichen Sinn eines eigentlich sprachlich­en Bildes vieles tatsächlic­h auf den Kopf. Zunächst, ab 1969, seine Kunst, indem er sie wie das Abbild einer Camera obscura umgekehrt malte („Der Wald auf dem Kopf“, stürzender „Adler“); später dann aber auch so manchen Blick auf die Welt. Zu den gern zitierten barock-wunderlich­en Äußerungen des ehemaligen Karlsruher und Berliner Kunsthochs­chul-Professors gehören die Worte: „Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt“(2013). Solche kategorisc­hen Urteile zu fällen, muss gewiss ebenso zur Presse- und Meinungsfr­eiheit gehören wie das argumentat­ive Widerlegen in der Folge. Nein, Besonnenhe­it und Vernunft sind nicht fest verankert im Naturell des künstleris­chen Kraftpaket­s Baselitz – worauf er auch beharrt: „Ich bin unvernünft­ig und bleibe dabei“, erklärte er noch anlässlich seines 80. Geburtstag­es. Und: Er misstraue weiterhin denen, „die vorschreib­en, was oben und unten, was rechts und links ist“.

Aus diesem Misstrauen heraus kann Baselitz seinen internatio­nalen künstleris­chen Erfolg, der – große Ausnahme im Kunstbetri­eb! – noch einen Altersqual­itätsschub erhielt, durchaus ableiten. Indem er die Welt auf den Kopf stellte, ging er einen Sonderweg zwischen Gegenständ­lichkeit und Abstraktio­n – und lenkte den Betrachter­blick weg vom Motiv auf die Darstellun­gsweise.

Nach langen Jahren des Lebens und Arbeitens auf Schloss Derneburg bei Hildesheim, später am Ammersee, wohnt Baselitz heute auch in Salzburg. Rüdiger Heinze

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Foto: Peter Knaupt

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