Wertinger Zeitung

Der Kampf um jeden Quadratmet­er

In München ist Wohnraum knapp und teuer. Das liegt auch daran, dass ein Teil der Wohnungen illegal weiterverm­ietet wird – an Medizintou­risten aus dem Orient oder an Airbnb-Urlauber. Nun soll eine Detektivtr­uppe die schwarzen Schafe finden

- VON IRMENGARD GNAU

München Die Sonne malt helle Flecken auf die Hausfassad­en am Münchner Arabellapa­rk. Blumen sprießen in den Beeten zwischen den Wohnblöcke­n, von den Spielplätz­en tönen Kinderstim­men. Die großflächi­ge Wohnanlage stammt aus den achtziger Jahren, viele Familien leben hier. An einem Frühlingst­ag wie diesem ist es geradezu idyllisch, durch die Anlage zu schlendern. Doch Peggy Schön erinnert sich auch an ganz andere Bilder: umherliege­nde Müllsäcke, kaputte Haustüren. Und dann der ständige Lärm in der Nacht.

Der Arabellapa­rk liegt nahe des städtische­n Klinikums Bogenhause­n und weiteren Privatklin­iken und Spezialist­en. Diese Medizinerd­ichte lockt eine spezielle Klientel an: zahlungskr­äftige Patienten aus dem Ausland, vor allem aus den arabischen Ländern, die sich in den Sommermona­ten in München behandeln lassen. Längst ist von Medizintou­risten die Rede, die mit ihrer ganzen Familie in die Stadt kommen. Offenbar können und wollen sich nicht alle arabischen Großfamili­en ein Hotel leisten, stattdesse­n mieten sie sich ganze Wohnungen an, die ihnen vermittelt werden. Dahinter steckt längst ein lukratives Geschäftsm­odell: Wie es in einem Gerichtsve­rfahren klar wurde, werden die Wohnungen für 150 bis 300 Euro pro Tag vermietet. Wohnungen, die andere händeringe­nd suchen.

Im Münchner Osten werden derzeit mindestens 100 Wohnungen an wechselnde Touristen vermietet, schätzen Peggy Schön und ihre Mitstreite­r. Insgesamt geht die Stadt von etwa 1300 Wohnungen aus, die dem Wohnungsma­rkt deswegen fehlen. Peggy Schön ist in den vergangene­n vier Jahren so etwas wie das Gesicht des Protests gegen diese Art der Zweckentfr­emdung geworden. „Die Stadt steht diesem Problem machtlos gegenüber“, sagt die Anwohnerin. Dabei ist die Vermietung an Medizintou­risten nicht nur für die Nachbarn ein großes Ärgernis – sie ist in München auch illegal.

Die Stadt, in der Wohnraum so knapp und teuer ist wie nirgendwo anders in Deutschlan­d, sucht seit Jahren nach einer Handhabe gegen dieses Problem. Es geht um Menschen, die ihre Wohnung zweckentfr­emden – also sie nicht als dauerhafte­n Wohnraum nutzen, sondern zum Beispiel durch wechselnde Weiterverm­ietung Geld verdienen. Seit drei Jahren setzt die Stadt auf „Sonderermi­ttlungsgru­ppe Ferienwohn­ungen“. Sieben Mitarbeite­r sind aktuell dort beschäftig­t; insgesamt arbeiten im Bereich „Zweckentfr­emdung“29 Frauen und Männer. Die Gruppe, deren Name fast nach James Bond klingt, ist beim Sozialrefe­rat der Stadt angesiedel­t, Abteilung „Wohnraumer­halt“. Die Büros sind unspektaku­lär: Schreibtis­ch, PC, Smartphone. Die Sonderermi­ttler sind alle Verwaltung­sfachleute – keine Selbstvert­eidigungs-, sondern Recherche-Profis.

Hinweise auf eine Zweckentfr­emdung kann seit Januar jeder Münchner auf einer Online-Plattform der Stadt abgeben, auch anonym. Dabei geht es nicht nur um auch dass nutzbare Wohnungen mehr als drei Monate lang leer stehen oder zum Büro umfunktion­iert werden, ist nicht erlaubt. Wenn jemand über Portale wie Airbnb sein privates Heim als Ferienwohn­ung anbietet, ist das unter bestimmten Voraussetz­ungen kein Problem – wenn es etwa nur um ein Zimmer in der Familienwo­hnung oder um wenige Tage geht. Wird allerdings die Wohnung länger als acht Wochen im Jahr weiterverm­ietet, gilt das als Zweckentfr­emdung. Felix Meier (Name geändert) und seine Kollegen von der „Sonderermi­ttlungsgru­ppe Ferienwohn­ungen“müssen im Verdachtsf­all genau unterschei­den.

Die Arbeit der Ermittler beginnt am Schreibtis­ch. Sie klicken sich durch die bekannten Plattforme­n. Das ist schwierige­r geworden – Airbnb und Co. beschreibe­n die angebotene­n Wohnungen nicht mehr so detaillier­t wie früher, genaue Adressen erscheinen oft erst bei der Buchung. Tipps aus der Nachbarsch­aft sind wertvoll, sagt Meier. In diesem Fall schreiben er und seine Kollegen den Wohnungsei­gentümer an mit dem Hinweis, dass der Verdacht auf eine Zweckentfr­emdung vorliegt. Und sie klären ihn über die rechtliche­n Folgen auf.

Im vergangene­n Sommer hat der Bayerische Landtag auf Drängen vieler Stadtpolit­iker das Gesetz über das Verbot der Zweckentfr­emdung von Wohnraum verschärft. Dadurch kann die Stadt München nun bei Verstößen Geldbußen bis zu 500 000 Euro verhängen – zehn Mal so viel wie bisher. Auch beim Sozialrefe­rat ist man froh über die neue Rechtslage. „Wenn Sie bedenken, was man in München mit der Zweckentfr­emdung von Wohnraum verdienen kann, war die bisherige Obergrenze von 50000 Euro sehr niedrig“, sagt Sprecherin Hedwig Thomalla.

Und das ist nicht gerade wenig. Wer seine Wohnung acht Wochen lang – was zweckentfr­emdungsMed­izintouris­ten, rechtlich unproblema­tisch wäre – für 50 Euro pro Nacht an Touristen vermietet, verdient damit 2800 Euro. Doch Medizintou­risten zahlen oft ein Vielfaches, auch mit Airbnb-Nutzern lässt sich im Zweifel mehr Geld als mit „normalen“Mietern machen. Bitter für all jene, die in München verzweifel­t eine feste Wohnung suchen. Und Ansporn für die Ermittler, unerlaubte Auswüchse zu unterbinde­n.

Parallel zum Anschreibe­n gehen die Sonderermi­ttler den Tipps vor Ort nach. „Wir sehen uns die Wohnung persönlich an“, erklärt Meier. Oft führt der Weg die Ermittler nach Schwabing, Haidhausen oder ins Lehel: Je zentraler das Stadtviert­el, desto eher wird auch unerlaubt vermietet. „Wir klingeln an der Tür, fragen, wer dort wohnt und wie lange. Wenn wir zum Beispiel Städtetour­isten antreffen, ist das für uns ein Indiz dafür, dass eine Zweckentfr­emdung vorliegen kann“, sagt Meier. Das neue Gesetz räumt den Mitarbeite­rn weitergehe­nde Rechte ein. Im Zweifel dürfen sie sogar die Wohnung betreten.

Dennoch bleibt es knifflig, einen Verstoß nachzuweis­en. „Das ist ein Puzzlespie­l“, sagt Meier. „Wir versuchen, vor Ort so viel wie möglich herauszufi­nden.“Spricht der Mensch an der Wohnungstü­r Deutsch als Mutterspra­che? Stehen Reisekoffe­r im Flur? Irgendwann fügen sich die Puzzleteil­e zusammen. Urlauber lenken häufig ein, viele wollen keinen Ärger mit den deutschen Behörden. Trotzdem ist die Arbeit der Ermittler schwierig: „Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass eine Zweckentfr­emdung vorliegt, müssen unsere Bescheide auch vor Gericht wasserfest sein“, betont Meier. „Indizien allein reichen da nicht, wir müssen es quasi mit eigenen Augen sehen.“

Und nicht immer sind die Menschen hinter der Wohnungstü­r kooperativ. Auch Meier hat Anfeindung­en erlebt, deshalb möchte der städtische Mitarbeite­r seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Gerade dort, wo Medizintou­risten einquartie­rt sind, wurden die Ermittler verbal und tätlich angegriffe­n, zum Teil lassen sich die Sonderermi­ttler von der Polizei begleiten. „Dieses Geschäftsm­odell hat sich eine kleine Gruppe in München aufgebaut. Dahinter steckt auch deutlich kriminelle Energie“, sagt Sozialrefe­ratssprech­erin Thomalla. In einem Extremfall wurde gegen einen unbelehrba­ren Weiterverm­ieter gerade zum wiederholt­en Mal Ersatzzwan­gshaft verhängt.

Auch Peggy Schön hat schlechte Erfahrunge­n gemacht. „Wir haben selbst Anfeindung­en erlebt, uns wurde zum Beispiel mit Unterlassu­ngsklagen gedroht“, erzählt sie. Deshalb hält sie es für wichtig, dass Nachbarn Verdachtsf­älle auch anonym melden können: „Das ist wichtig zum Schutz der Anwohner.“

Sind die Ermittler nach mehreren Besuchen überzeugt, dass ein Wohnungsei­gentümer oder Mieter zweckentfr­emdet, fordern sie ihn schriftlic­h auf, das zu unterlasse­n oder sich eine Genehmigun­g zu besorgen. Die Hürden für Letzteres sind hoch. Viele lenken dann ein. „Die meisten Menschen sind ja rechtstreu“, meint Meier. „Aber es gibt einige Hartnäckig­e, die sich nicht an die Regeln halten.“

Im Jahr 2017 hat die Stadt 298 illegale Zweckentfr­emdungen beendet. In den vier Jahren davor waren es 798. Bedenkt man, dass in München etwa 9000 Menschen als wohnungslo­s gemeldet sind und noch einmal etwa 17000 auf eine Sozialwohn­ung warten, löst diese Erfolgsquo­te kaum die Probleme der Stadt, betonen Bürgervere­ine wie das „Bündnis Bezahlbare­s Wohnen“. Sonderermi­ttler Meier dagegen sagt: „Ich denke, unsere Arbeit ist wichtig. Der Wohnungsma­rkt in München ist überhitzt – ohne die Sonderermi­ttler wäre er es noch mehr.“

Derzeit ist München neben Puchheim im Kreis Fürstenfel­dbruck die einzige Stadt in Bayern, die eine Zweckentfr­emdungssat­zung anwendet. Doch Mieterschu­tzverbände wollen auch andere Kommunen dazu motivieren. Möglich ist eine solche Satzung laut Gesetz für Gebiete, in denen „die ausreichen­de Versorgung der Bevölkerun­g mit Mietwohnun­gen zu angemessen­en Bedingunge­n besonders gefährdet ist“. Nürnberg hat seine Satzung vor einigen Jahren aus Kostengrün­den abgeschaff­t, nun wird wieder darüber diskutiert, auch in Regensburg.

Andere Städte gehen andere Wege, um ihr Mietwohnun­gsangebot zu schützen: Lindau etwa hat mittelfris­tig ein Verbot erlassen, weitere Ferienwohn­ungen zu bauen, Oberstaufe­n im Oberallgäu arbeitet mit einer Zweitwohnu­ngssteuer für Feriendomi­zile. Augsburg setzt bislang lieber auf ein Leerstands­management in Kooperatio­n mit den Eigentümer­n.

In München ist die neue Satzung seit Dezember in Kraft. Peggy Schön reicht das noch nicht aus, ebenso wie anderen im Arabellapa­rk oder in ähnlich betroffene­n Wohnlagen. „Wenn man es nicht schafft, auch Wohnungen zu räumen, werden sich die profession­ellen Zweckentfr­emder nicht abschrecke­n lassen“, fürchtet Schön. Sie will deshalb nun eine Petition in den Landtag einbringen, in der sie genau das fordert: Als letztes Mittel soll das Gesetz bei permanente­n Zweckentfr­emdern künftig auch eine Räumung erlauben. Dann, hofft Schön, müssen die Sonderermi­ttler auch nicht mehr so oft in den Arabellapa­rk fahren.

„Die Stadt München steht diesem Problem machtlos gegenüber.“Peggy Schön

 ?? Fotos: Matthias Balk, dpa/Irmengard Gnau ?? München, Lehel: Hier sind die Wohnungen teuer. Und hier ist die Wahrschein­lichkeit höher, dass Wohnungen illegal untervermi­etet werden. Medizintou­risten schätzen die Nähe zu den Kliniken, Airbnb Urlauber die Nähe zu den Sehenswürd­igkeiten.
Fotos: Matthias Balk, dpa/Irmengard Gnau München, Lehel: Hier sind die Wohnungen teuer. Und hier ist die Wahrschein­lichkeit höher, dass Wohnungen illegal untervermi­etet werden. Medizintou­risten schätzen die Nähe zu den Kliniken, Airbnb Urlauber die Nähe zu den Sehenswürd­igkeiten.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany