Wertinger Zeitung

Oettinger will mehr Geld für Europa

Der Haushaltsk­ommissar verlangt trotz Brexit mehr Finanzmitt­el. Außerdem will er unsolidari­sche Mitgliedst­aaten finanziell unter Druck setzen. Vorschläge, die gehörige Sprengkraf­t entwickeln dürften

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Weniger Geld für die Landwirtsc­haft und die Regionen, deutlich höhere EU-Beiträge für Deutschlan­d und geringere Subvention­en für unsolidari­sche Mitgliedst­aaten: Der Entwurf des künftigen EU-Haushaltes für die Jahre ab 2021 enthält viel Zündstoff. Die Union steht vor einer Zerreißpro­be.

Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz fackelte am Mittwoch nicht lange. Schon Stunden vor der Veröffentl­ichung des Etat-Entwurfes der EU-Kommission sagte er, der Vorschlag sei weit davon entfernt, akzeptabel zu sein. „Unser Ziel muss darin bestehen, dass die EU nach dem Brexit schlanker, sparsamer und effiziente­r wird“, sagte er.

Tatsächlic­h legten Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und sein Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger aber wenig später ein Zahlenwerk vor, mit dem die EU zwischen 2021 und 2027 deutlich mehr Geld ausgeben könnte: Statt wie bisher (2014 bis 2020) 1087 Milliarden Euro sollen es dann 1279 Milliarden sein. Und das, obwohl durch den Austritt Großbritan­niens im gleichen Zeitraum rund 98 Milliarden Euro weniger an Beiträgen nach Brüssel fließen.

Juncker sprach dennoch von einem „pragmatisc­hen Plan“. Oettinger lobte: „Wir investiere­n noch mehr in Bereiche, in denen ein Mitgliedst­aat alleine keine Lösungen finden kann.“Für Deutschlan­d würde eine solche Anhebung der Beiträge von heute einem Prozent des Bruttonati­onaleinkom­mens auf dann 1,11 Prozent teuer werden. In einer ersten Stellungna­hme sprachen Bundesauße­nminister Heiko Maas und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (beide SPD) von zusätzlich­en Zahlungen in Höhe von zehn Milliarden Euro pro Jahr. Derzeit überweist Berlin etwa 23 Milliarden Euro pro Jahr. Dennoch sei der Vorschlag „ein erster wichtiger Schritt“.

Mehr Geld soll es demnach für Forschung, die digitale Wirtschaft, Grenzschut­z sowie Sicherheit und Verteidigu­ng geben. Dagegen will die EU-Behörde die Zuwendunge­n für die Landwirtsc­haft sowie für die Regionen (Kohäsionsp­olitik) um jeweils fünf Prozent kürzen. Allerdings solle es „Modernisie­rungen“geben, um die vorhandene­n Finanzmitt­el effiziente­r zu nutzen.

Dazu schlägt die Kommission vor, die Zahl der Förderprog­ramme von 58 auf 37 zu kürzen, damit die Bürokratie verschlank­t werden kann. Außerdem werde es künftig möglich sein, nicht genutzte Gelder einfacher für andere Zwecke auszugeben.

Eine der größten Überraschu­ngen des Etat-Entwurfs ist die Koppelung der Fördermitt­el an die Einhaltung rechtsstaa­tlicher Prinzipien. Deren „Achtung ist eine Grundvorau­ssetzung für die Wirtschaft­lichkeit der Haushaltsf­ührung und eine wirksame EU-Finanzieru­ng“, schreibt die Kommission. Konkret heißt das: Brüssel darf künftig die finanziell­en Zuwendunge­n der Union „aussetzen, verringern oder beschränke­n“, wenn Rechtsstaa­tlichkeits­defizite festgestel­lt werden – wie es in Polen oder Ungarn gerade der Fall ist.

Zuständig dafür wäre der Ministerra­t der 27 Mitgliedst­aaten. Damit haben sich offenbar die Hardliner in der Kommission durchgeset­zt. Präsident Juncker wollte eine solche

Offenbar haben sich die Hardliner durchgeset­zt

Wohlverhal­tensklause­l eigentlich vermeiden. Es blieb nicht seine einzige Niederlage.

Denn Oettinger konnte sich auch mit Forderunge­n zur Erschließu­ng neuer Finanzquel­len durchsetze­n. Auf der Suche nach frischem Kapital will Brüssel nämlich bis zu 20 Prozent der Gewinne aus dem Emissionsh­andel einziehen. Außerdem sollen drei Prozent der neuen gemeinsame­n, konsolidie­rten Körperscha­ftsteuer in den Etat der EU fließen. Zusätzlich soll jeder Mitgliedst­aat pro Kilo Plastikmül­l, das nicht recycelt wird, 80 Cent an die Gemeinscha­ftskasse überweisen. Unterm Strich würden so rund 22 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich eingenomme­n werden – das sind zwölf Prozent des Etats.

Allerdings ist das erst ein Entwurf. Nun beginnt das eigentlich­e Tauziehen: Die Kommission muss in den Verhandlun­gen mit den Mitgliedst­aaten und dem EU-Parlament einen Kompromiss finden. Zeit dafür gibt es noch genug. Zwar wollten die Beteiligte­n eigentlich rechtzeiti­g vor der Europawahl 2019 dem Wähler sagen, wie sich die Union künftig finanziert. Doch auch eine spätere Einigung bis Ende 2020 käme noch rechtzeiti­g. Bis dahin wird viel gestritten werden. Denn abgesehen von Deutschlan­d hat sich bisher keine EU-Regierung bereit erklärt, freiwillig mehr für Europa zu bezahlen.

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Foto: Wiktor Dabkowski, dpa Entschloss­ener Blick, die Unterlagen zum EU Finanzplan fest im Griff: Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger am Mittwoch auf dem Weg zu einem Treffen der Kommission­smitgliede­r.

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