Wertinger Zeitung

Das italienisc­he Dilemma

Zwei Monate nach der Wahl ringt das Land mit der Regierungs­bildung. Die Zeit drängt

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Sie nennen ihn „il muto“, den Stummen. Aber so viel wie in den vergangene­n Wochen dürfte der italienisc­he Staatspräs­ident Sergio Mattarella selten diskutiert und beraten haben. Nicht in der Öffentlich­keit, sondern im Quirinalsp­alast in Rom, dem Sitz des italienisc­hen Staatsober­haupts. Zwei Monate nach den Parlaments­wahlen hat Italien immer noch keine Regierung.

Mattarella hat sich als Regisseur der Regierungs­bildung bemüht, vier Sondierung­srunden verliefen ergebnislo­s. Drei untereinan­der zerstritte­ne Partei-Blöcke – das MitteRecht­s-Lager mit der rechtspopu­listischen Lega sowie Silvio Berlusconi, die Fünf-Sterne-Bewegung und die Sozialdemo­kraten – gingen aus der Abstimmung vom 4. März hervor. Zunächst war ein Bündnis zwischen der systemkrit­ischen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtspopu­listischen Lega an der Frage gescheiter­t, ob der mit der Lega verbündete Silvio Berlusconi mit in einer gemeinsame­n Regierung sitzen könne oder nicht.

Die zuletzt diskutiert­e Option betraf ein Bündnis zwischen der FünfSterne-Bewegung und der gemäßigt linken Demokratis­chen Partei PD. Ex-Premier und Ex-Parteichef Matteo Renzi torpediert­e die Annäherung­sversuche bei einem Fernsehauf­tritt.

Die Wähler hätten die Sozialdemo­kraten in die Opposition geschickt, behauptete Renzi. An den politische­n Vorstellun­gen der FünfSterne-Bewegung – wie der Einführung eines Bürgergeha­lts – ließ Renzi kein gutes Haar und listete die Beschimpfu­ngen auf, die er und seine Partei im Wahlkampf von den „Grillini“hatten hinnehmen müssen. An diesem Donnerstag soll die Partei über die Aufnahme von Sondierung­sgespräche­n mit der FünfSterne-Bewegung entscheide­n. Da Renzi, der infolge des schlechten Wahlergebn­isses der PD zurückgetr­eten war, noch viele Parlamenta­rier hinter sich weiß, ist die Option de facto vom Tisch.

Staatspräs­ident Mattarella muss dieser Tage eine Entscheidu­ng treffen, wie es in Rom weitergehe­n soll. Dabei werden seine Optionen immer weniger – und der Druck auf ihn immer höher. Im Wesentlich­en steigt mit fortdauern­der politische­r Bewegungsl­osigkeit das Risiko, dass die internatio­nalen Ratingagen­turen die Kreditwürd­igkeit Italiens weiter abstufen und damit in letzter Konsequenz die rund 2300 Milliarden Euro schwere Staatsschu­ldenlast nicht mehr tragbar würde. Bislang hielten das Wirtschaft­swachstum von zuletzt 1,5 Prozent, Reformen sowie die expansive Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k die Ratingagen­turen von diesem Schritt ab. Mit zunehmende­r Dauer des Stillstand­s in Rom könnte dieses Vertrauen schwinden.

In den Überlegung­en des Staatspräs­identen spielt nun auch die Zeit eine entscheide­nde Rolle. Wie lange kann sich Italien den politische­n Stillstand noch Leisten? Bis Ende 2018 muss der Staatshaus­halt von einer amtierende­n Regierung verabschie­det sein, sonst könnte ein Angriff der Spekulante­n drohen. Im Zuge dieser Überlegung­en soll Mattarella die Bildung einer Technokrat­en-Regierung in Erwägung ziehen, wie sie etwa ab 2011 vom ehemaligen EU-Kommission­spräsident­en Mario Monti geführt wurde. Aber auch diese Exekutive bräuchte eine Legitimati­on durch das Parlament und damit durch die Parteien.

Bislang verschließ­t sich die FünfSterne-Bewegung dieser Option und fordert Neuwahlen. Diese könnten erst im Herbst stattfinde­n und hätten ein unkalkulie­rbares Szenario zur Folge. Weder wäre dann sichergest­ellt, dass eine Regierungs­bildung unkomplizi­erter wäre. Zum anderen ist die Zeit für die Verabschie­dung des Staatshaus­halts dann äußerst knapp, das Risiko einer Schuldenkr­ise würde steigen. Staatspräs­ident Mattarella steckt in einem Dilemma und mit ihm die Italienisc­he Republik. im Ernstfall überlebens­wichtige Funktion vom Ausfall bedroht ist. Ein flächendec­kender Austausch des Kühlsystem­s scheitert – wie der Spiegel berichtet – daran, dass ein Ersatzteil zum Abdichten des Kühlsystem­s derzeit nicht lieferbar ist.

Reguläre Übungsflüg­e in Deutschlan­d oder im Ausland sind nach wie vor möglich. Der Umstand jedoch, dass aktuell nur wenige Jets aufgrund dieser technische­n Probleme für Auslandsei­nsätze zur Verfügung stehen, ist auch außenpolit­isch heikel: Schließlic­h hat die Bundeswehr sich gegenüber den NatoPartne­rn verpflicht­et, 82 Eurofighte­r im Falle etwaiger KrisenEins­ätze bereitzuha­lten.

Der Zustand der Bundeswehr löst bei den täglich Betroffene­n wachsende Verbitteru­ng und Wut aus. Der Vorsitzend­e des Bundeswehr­verbandes, André Wüstner, liefert im Verbandsma­gazin Die Bundeswehr eine sachliche, aber schonungsl­ose Zustandsbe­schreibung: „Unsere Sicherheit­sorgane und vor allem die Bundeswehr sind den heutigen Herausford­erungen ebenso wenig gewachsen wie den zukünftige­n.“

Der Bundeswehr­verband hat mit der Kampagne „Schlagkräf­tige Bundeswehr 2025“, in der eine Trendwende bei der Gewinnung von Personal, der Verbesseru­ng der Ausrüstung und einer Intensivie­rung der europäisch­en Kooperatio­n gefordert wird, reagiert. Von der Bundesregi­erung wird verlangt, mehr Geld für schlagkräf­tige Streitkräf­te zur Verfügung zu stellen.

Das will auch Ministerin Ursula von der Leyen. Sie hat am Mittwoch deutlich höhere Finanzmitt­el für die Bundeswehr verlangt, als derzeit im Finanzplan des Bundes bis 2022 vorgesehen sind.

Die Fünf Sterne Bewegung fordert Neuwahlen

 ?? Archivfoto: Tiziana Fabi Pool, dpa ?? Sergio Mattarella (rechts) und Matteo Renzi haben noch keine Lösung für die Regie rungsbildu­ng in Italien gefunden.
Archivfoto: Tiziana Fabi Pool, dpa Sergio Mattarella (rechts) und Matteo Renzi haben noch keine Lösung für die Regie rungsbildu­ng in Italien gefunden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany