Wertinger Zeitung

„Es wird schwerer, eine Immobilie zu kaufen“

Bayerns Sparkassen-Chef Ulrich Netzer sieht die steigenden Preise für Wohnraum in den Ballungsrä­umen mit Sorge. Er fordert mehr staatliche Hilfe zum Vermögensa­ufbau und erklärt, wieso die Zahl an Geldautoma­ten und Filialen sinkt

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Herr Netzer, wie steht es um Ihre Jägermenta­lität? Der neue Chef der Deutschen Bank fordert dies für sein Institut. Müssen da die Sparkassen nachlegen? Ulrich Netzer: Nein, es kann nicht um Jagd gehen, nicht um möglichst hohe Renditen und die Jagd nach dem Risiko. Jägermenta­lität ist für Banken der falsche Weg, das gilt vor allem für uns Sparkassen. Wir wollen den Blick für die Kundenbedü­rfnisse behalten. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir bei zwölf Millionen Einwohnern in Bayern rund 7,6 Millionen Girokonten betreuen.

Trotzdem leiden die Banken unter der Niedrigzin­s-Situation. Wie laufen die Geschäfte der Sparkassen in Bayern? Netzer: Das Geschäft mit den Kunden wächst, wir haben zum Beispiel nochmals mehr Kredite vergeben. Der Kreditbest­and der bayerische­n Sparkassen beträgt inzwischen rund 130 Milliarden Euro und ist seit neun Jahren kontinuier­lich gestiegen. Wir decken zwei Drittel des Kreditvolu­mens im Handwerk ab. Auch bei den Immobilien­krediten sehen wir ein Wachstum, vor allem bei den Bauträgern. Die Darlehensz­usagen für neue private Immobilien­kredite ging 2017 allerdings um vier Prozent zurück.

Trauen sich Privatleut­e nicht mehr zu bauen? Das passt gar nicht in das Bild des Baubooms. Netzer: Wir spüren, dass es gerade in den Ballungsrä­umen angesichts der hohen Preise schwerer wird, überhaupt über eine eigene Immobilie nachzudenk­en.

Was muss sich ändern, damit eine Familie wieder eine Chance hat, ein Haus zu finanziere­n? Netzer: Die Regierung muss wieder stärkere Anreize für den Vermögensa­ufbau schaffen! Die Ansätze im Koalitions­vertrag von Union und SPD sind gut – zum Beispiel das Baukinderg­eld. Unserer Meinung nach könnte man noch etwas weiter gehen.

Wo denn? Netzer: In der Vergangenh­eit waren steuerlich­e Anreize zum Bauen sehr erfolgreic­h.

Werden Baukredite bald wieder teurer? Häufig ist ja derzeit unter Fachleuten von der Zinswende die Rede. Netzer: In den letzten Monaten ist der Zinssatz bei den langfristi­gen Darlehen bereits ein Stück weit gestiegen. Wenn bald die Anleihekäu­fe der Europäisch­en Zentralban­k auslaufen, dürfte sich dies auch erhöhend auf den langfristi­gen Zins auswirken. Deshalb merken wir auch in den letzten drei Monaten ein deutliches Plus von 15 Prozent bei Bausparver­trägen. Wer vorhat, in fünf bis zehn Jahren eine Immobilie zu erwerben, sichert sich so das derzeit niedrige Zinsniveau.

Wann kommt die Zinswende bei den Sparern an? Netzer: Ihren Leitzins wird die EZB so schnell wohl nicht ändern. Ich denke deshalb nicht, dass sich in den nächsten Monaten auf Fest- oder Termingeld­konten Wesentlich­es bewegt. Immer mehr unserer Kunden entscheide­n sich deshalb dafür, sich mit 100 oder 200 Euro im Monat in einem Mischfonds zu engagieren, um so längerfris­tig und risikoarm Vermögen aufzubauen. Unser Wertpapier-Spargeschä­ft hat um 50 Prozent zugelegt.

Das Wertpapier­geschäft bringt Ihnen auch gute Provisione­n, oder? Netzer: Die Provisions­überschüss­e sind inzwischen ein wichtiger Teil der Einnahmen der Sparkassen. Angesichts geringerer Zinseinnah­men ist das sehr wichtig. Fast alle Institute – ob Genossensc­haftsbanke­n oder Sparkassen – haben in den letzten Jahren angesichts der niedrigen Zinsen die Preise erhöht, zum Beispiel die Entgelte auf das Girokonto. Auch wenn wir Sparkassen einen Versorgung­sauftrag haben, müssen wir die Kosten für unsere Dienstleis­tungen hereinhole­n.

Bilanz In Bayern gab es Ende 2017 66 Sparkassen Institute, das sind drei weniger als Ende 2016. Die Insti tute verwaltete­n Kundeneinl­agen von 159,9 Milliarden Euro, leicht mehr als im Vorjahr mit 156,6 Milliarden Euro. Die Summe der Kundenkred­ite betrug 130,6 Milliarden Euro, eben falls mehr als Ende 2016 mit 125,9 Milliarden Euro.

Filialnetz Die Zahl personenbe­setz ter Geschäftss­tellen sank von 2453 Ende 2016 auf 2349 Ende 2017. Die Dreht sich die Gebührensc­hraube weiter oder haben Sie ein festes Niveau gefunden? Netzer: Wir sind in der Breite jetzt sicherlich auf einem marktgerec­hten Level.

Immer weniger Menschen zahlen bar, sondern zum Beispiel elektronis­ch mit EC-Karte. Wie wird die Digitalisi­erung des Bankwesens die Sparkassen verändern? Netzer: Wie sich der Zahlungsve­rkehr ändert und wie wir unsere Prozesse durch die Digitalisi­erung verändern, das werden grundlegen­de, fast disruptive Vorgänge sein. Es gibt Leute, die sagen, dass man in fünf Jahren keine Kreditkart­e mehr hat, weil dann per Smartphone gezahlt wird. Unsere App „Kwitt“zeigt das schon: Im Freundeskr­eis zahlt einer im Restaurant die Gesamtrech­nung, die anderen überweisen ihm mit zwei, drei Klicks ihren Anteil binnen Sekunden.

Braucht man da den klassische­n Sparkassen-Geldautoma­ten noch? Deren Zahl ist in Bayern zuletzt bereits leicht gesunken. Netzer: In Deutschlan­d wird es noch lange Bargeld geben, aber auch hier verändert sich die Technik. Wir werden als Sparkasse in der Breite Geldautoma­ten vorhalten, die Zahl geht aber zurück. In Bayern haben die Sparkassen stattdesse­n Verträge mit 2500 Cash Points: Man kann sich zum Beispiel an der Supermarkt­kasse Geld auszahlen lassen.

Geht auch der Schwund an Filialen weiter? Netzer: Für alle, die nicht die neuen digitalen Finanzgesc­häfte nutzen wollen, sind wir entspreche­nd unserem Versorgung­sauftrag auch vor Ort präsent. Diese Kunden wollen wir selbstvers­tändlich weiter bedienen! Insgesamt gibt es in Bayern noch immer insgesamt 2878 Geschäftss­tellen und Selbstbedi­enungs-Center.

Das ist aber weniger als 2016. Netzer: Es geht runter, ja. Wir reagieren entspreche­nd der Kundenfre- quenz. Wenn Kunden nicht mehr in eine Geschäftss­telle gehen, muss man sich über Alternativ­en Gedanken machen. Verlagern wir aber eine Sparkassen-Filiale auf dem Land, stellen wir fest, dass wir nicht die Ersten sind. Bäcker oder Metzger sind längst schon weg. Wenn man dies ändern will, muss man in der Politik die Frage stellen, wie man auf dem flachen Land die Infrastruk­tur verbessert.

Lassen Sie uns einen Sprung machen – zur europäisch­en Politik. Um die Währungsun­ion fit gegen neue Krisen zu machen, diskutiert die Politik mehrere Reformen. Warum wehren Sie sich gegen eine europäisch­e Einlagensi­cherung? Würde diese nicht auch den deutschen Sparer schützen, wenn hierzuland­e einmal Banken wanken? Netzer: Genau das Gegenteil ist der Fall. Erstens haben wir seit Juli 2015 bereits eine harmonisie­rte und funktionie­rende europäisch­e Einlagensi­cherung mit dezentrale­n Töpfen in den einzelnen Ländern, die das Sparguthab­en absichern. Und zwar mindestens 100000 Euro pro Sparer und Bank. Zweitens gibt es das Problem, dass wir sehr unterschie­dliche Risikolage­n in den einzelnen Ländern durch „faule Kredite“haben, sogenannte „non-performing loans“. Europaweit gibt es über 900 Milliarden solcher Kredite, in Deutschlan­d sind es 55 Milliarden, in Italien zum Beispiel aber 196 Milliarden. Mit einer zentralisi­erten Einlagensi­cherung hätte kein Land einen Anreiz, faule Kredite abzubauen. Damit bliebe das Risiko nach wie vor hoch – und die Haftung trügen die anderen. Eine zentrale Einlagensi­cherung kann nicht im Sinne des Sparers hierzuland­e sein. Ein zentraler Sicherungs­topf ist der falsche Ansatz.

Die Bundesregi­erung schließt die zentrale Einlagensi­cherung aber nicht für immer aus. Sollten die Bilanzen einmal bereinigt sein, wäre diese für Finanzmini­ster Olaf Scholz akzeptabel. Können Sie damit leben? Netzer: Sollten die faulen Kredite wirklich abgebaut werden, ist nach unserer Meinung erst recht keine zentrale Einlagensi­cherung nötig. Denn wenn die Risiken abgebaut sind, sinkt die Wahrschein­lichkeit, dass die nationalen Töpfe nicht ausreichen, extrem.

Sollten die Sparkassen angesichts der soliden Ertragssit­uation nicht mehr Geld an die Kommunen ausschütte­n? Netzer: Dafür sehen wir zurzeit nicht den richtigen Zeitpunkt. Die Sparkassen in Bayern verfügen derzeit im Schnitt über 16,6 Prozent Eigenkapit­al. Die Finanzaufs­icht verlangt aber bereits jetzt – Tendenz steigend – durchschni­ttlich ein Eigenkapit­al von 14 bis 14,5 Prozent. Doch Sparkassen brauchen genug freie Mittel, um wachsen zu können. Deshalb halten wir es für besser, mehr Eigenkapit­al aufzubauen, statt dieses auszuschüt­ten.

Die bayerische­n Sparkassen

Interview: Michael Kerler

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Foto: Klaus Rainer Krieger „In den Ballungsrä­umen wird es angesichts hoher Preise schwerer, überhaupt über eine eigene Immobilie nachzudenk­en“, sagt Bayerns Sparkassen­chef Ulrich Netzer. Er fordert stärkere Anreize zum Vermögensa­ufbau.

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