Schwätz’ mer Hochdeutsch
Kurse zum Dialekt-Abgewöhnen sind im Kommen. Einer davon findet im Allgäu statt. Warum Mundart-Sprecher daran teilnehmen und welche Tücken das Süddeutsche hat
Bolsterlang Auf dem Spitzenplatz der unbeliebtesten Dialekte landet regelmäßig das Sächsische, das haben in der Vergangenheit mehrfach Umfragen ergeben. Das Bayerische und der norddeutsche Zungenschlag rangieren hingegen auf der Hitliste der sympathischsten Dialekte meist weit oben. Auch das Allgäuerische sei sehr beliebt, sagt Ariane Willikonsky – und trotzdem bringt sie in Bolsterlang bei Oberstdorf Einheimischen Hochdeutsch bei. Denn: Beliebtheit hin oder her, viele Menschen würden statt ihres Dialektes lieber Hochdeutsch sprechen. „Viele verbinden mit Allgäuerisch Urlaub“, sagt die Sprachtrainerin. Aber: „Im Beruf kann die Wirkung ganz anders sein.“Denn je hochdeutscher jemand spreche, desto mehr Kompetenz werde ihm zugetraut.
Willikonsky ist Logopädin und kennt die Tücken der süddeutschen Mundart: „Die Allgäuer öffnen ihren Kiefer zu wenig, das ,R’ ist ihnen nach vorn gerutscht, es mangelt an Klang und Deutlichkeit. So wirken sie schwerer zugänglich und abgewandt, obwohl sie das nicht sind.“Auch wenn sie Englisch oder Französisch sprechen, höre man den Dialekt durch und damit ein ländli- Image. „Eigentlich bräuchte man keine Hochdeutsch-Kurse“, sagt sie. „Aber immer mehr Menschen sind beruflich überregional tätig und wollen verstanden werden. Es ist erleichternd, wenn sie sich im Gespräch oder Vortrag nicht auf die Sprache konzentrieren müssen.“
Einer, der aus beruflichen Gründen sein Hochdeutsch ausbauen möchte, ist Markus Zieris. Daher hat der Allgäuer Mediengestalter einen Kurs in Bolsterlang absolviert. „Ich habe Kunden im Allgäu und in Hamburg zum Beispiel. Da wird sofort gefragt, wo ich herkomme und ob da alle so sprechen.“Der 49-Jährige glaubt zwar, dass sein Dialekt – auf den er stolz ist – oft ein netter Gesprächseinstieg ist. Aber manchmal findet er: „Es lenkt von der Sache ab.“
Laut Sprachexpertin Willikonsky kann jeder Dialektsprecher Hochdeutsch lernen. Erst einmal gehe es darum, welche Wörter man austauschen muss. „Grüß Gott“wirke im Norden fromm, und dann gibt’s noch die „Viertel vor, Viertel nach und Dreiviertel“-Missverständnisse wenn es um die Uhrzeit geht. Willikonsky übt mit ihren Schülern außerdem Zungenbrecher und Vokale. „Das ,A’ wird im Hochdeutschen offener gesprochen, im Allgäu ist es eher ein ,O’.“
Die Trainerin will ihren Schülern die Dialekte nicht austreiben. „Das geht auch nicht, es ist wie Radfahren“, sagt sie. Zwar spreche jemand, der eine Zeit lang nicht in der Heimat war, weniger Dialekt. Aber kaum ruft jemand von dort an, werde umgeschaltet. „Wir haben immer das Bedürfnis uns anzupassen“, sagt sie.
Die meisten Menschen haben heute nur noch eine dialektale Färbung. Vor allem in Städten sprechen die Kinder Hochdeutsch. Über ein mögliches Schulfach „Mundart“wird daher immer wieder diskutiert. Wissenschaftlicher Konsens ist dabei, dass Dialektkinder, die auch Hochdeutsch beherrschen, sprachlich vergleichbar sind mit mehrsprachig aufwachsenden Kindern. Ein weiterer Vorteil: In der Mundart gibt es auch einen größeren Wortschatz. Längst existieren spezielle Unterrichtsmaterialien für die Dialektförderung, doch nach Angaben des Bayerischen Lehrer- und Lehreches rinnenverbandes ist es noch ein weiter Weg: Dialekt genieße zwar eine breite Akzeptanz, werde jedoch an nur wenigen Schulen aktiv gefördert.
Obwohl die Akzeptanz für die Mundart vielerorts also da ist – nicht zuletzt weil sie sympathisch wirkt –, gibt es zahlreiche Einrichtungen, die das Hochdeutsche forcieren wollen. Und so ist die Allgäuer Sprachschule beileibe kein Unikum. In vielen Städten gibt es Kurse, bei denen sich Schwaben, Württemberger oder Rheinländer ihren Dialekt abtrainieren können. Ein Düsseldorfer Sprachinstitut etwa bietet ebenfalls unter dem Motto „So werden Sie Ihren Dialekt los und sprechen akzentfrei“Seminare an. Die Rheinländer betonen: „Dabei geht es nicht darum, die eigene Herkunft und Heimat zu verleugnen. Regionale sprachliche Besonderheiten sind schützenswert und tragen zur Sprachvielfalt bei.“Im Job sei es aber von Vorteil „dialektfreies Hochdeutsch tadellos zu beherrschen“. Doch der Weg dahin ist nicht leicht: „Einen unliebsamen und hinderlichen Dialekt loszuwerden und akzentfrei zu sprechen ist nicht so einfach, wie es sich anhört.“Isabella Hafner, dpa
Als Politiker hat man es nicht leicht, als Minister schon gar nicht. Erst recht, wenn man neu im Amt ist. Schon erstaunlich, zu welchen Themen man sich da plötzlich äußern, zu was man eine Meinung haben und welche Fragen man beantworten muss. So stand jüngst auch Bernd Sibler vor einer kniffligen Aufgabe. Als neuer bayerischer Kultusminister hatte der CSU-Politiker die Ehre, den Abiturprüflingen im Freistaat ein paar wegweisende Worte mitzugeben.
Was sagt man also einem finalpubertierenden Nervenbündel kurz vor der größten Hürde des schulischen Lebens? Möglichkeiten gibt es mehrere. Der Purist wünscht viel Erfolg. Der Traditionalist spricht von einem Schritt auf dem Weg zum Ernst des Lebens, zitiert Philosophen und hat einen passenden Vers von Goethe auf den Lippen. Und der Verständnisvolle rät: „Immer cremig bleiben! Chillt einfach mal!“Minister Sibler wählte die pragmatische Variante. Er kramte tief in der Schublade mit Prüfungstipps und empfahl den Schülern: ausschlafen und gut frühstücken.
Ob er damit prüfungsgeplagten Jugendlichen wirklich helfen konnte, bleibt dahin gestellt. Am Mittwoch zeigte sich aber, dass der ministeriale Rat zumindest kein schlechter war. Weil in Niedersachsen Unbekannte auf die vorabiturielle Nachtruhe pfiffen und in ein Gymnasium einstiegen, brach in einigen Bundesländern – auch in Bayern – Hektik aus. Aus Angst, dass die in der Schule gelagerten Abiturprüfungen kopiert wurden, mussten am frühen Morgen für zigtausende Schüler sämtliche Mathe-Aufgaben ausgetauscht werden. Wohl dem, der bei all dem Stress gut gefrühstückt hatte. Und Pech für die Einbrecher – wenn es denn Abiturienten waren: Da hätten sie mal lieber ausgeschlafen.
Wer Mundart spricht, hat einen größeren Wortschatz