Wertinger Zeitung

Wie unabhängig sind unsere Medien?

Deutschlan­d wird eine „gute Lage“bescheinig­t, trotz G 20-Übergriffe und problemati­scher Gesetze. Größere Schwierigk­eiten aber gibt es strukturel­l. Von Umsätzen und Kostenlosk­onkurrenz, Misstrauen und Sensatione­n

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die entscheide­nden Herausford­erungen für die Pressefrei­heit in Deutschlan­d sind anderer Natur als jene, die „Reporter ohne Grenzen“in ihrer jährlichen Übersicht vor allem erfassen. Zwar habe es, so die Auswertung des Zeitraums zwischen Januar 2017 und März 2018, „wieder eine hohe Zahl an tätlichen Übergriffe­n, Drohungen und Einschücht­erungsvers­uchen gegen Journalist­en“gegeben, „vor allem während der Proteste gegen den G20-Gipfel“, und zwar von Demonstran­ten wie von der Polizei. Zwar habe es mit Staatstroj­anern, dem Netzwerkdu­rchsetzung­s-, dem BND-Gesetz und der Vorratsdat­enspeicher­ung auch staatliche Vorstöße zur stärkeren Überwachun­g gegeben – und zudem bliebe auch der Auskunftsa­nspruch der Bürger und Journalist­en bei Behörden oft mangelhaft, würden unliebsame Reporter immer wieder ausgeschlo­ssen, bei G20 und auch bei AfD-Veranstalt­ungen. Aber insgesamt wird Deutschlan­d doch eine „gute Lage“in Sachen Pressefrei­heit bescheinig­t. In der Liste von 180 Ländern bedeutet das eine Verbesseru­ng um einen Rang auf Platz 15.

Das weiterreic­hende Problem findet sich erst im letzten der sechs Analysepun­kte und wird nur angeschnit­ten. Unter dem Titel: „Medien im Strukturwa­ndel: weniger Vielfalt, versteckte Werbung“wird aufgeführt, wie „vor dem Hintergrun­d weiter sinkender Auflagen und Anzeigenum­sätze“Redaktione­n zusammenge­strichen und zusammenge­legt und Zeitungen ganz eingestell­t werden. Und: „Einige Redaktione­n weichen die Trennung von redaktione­llen und kommerziel­len Inhalten auf, was das Vertrauen in eine unabhängig­e Berichters­tattung beschädige­n kann. Dabei setzen sie etwa auf das sogenannte Native Advertisin­g, bei dem werbende Texte in das Layout der Redaktion integriert werden und für den Leser kaum noch von journalist­ischer Berichters­tattung zu unterschei­den sind.“

Eigentlich öffnet sich hier das Problemfel­d für die Unabhängig­keit erst. Mindestens vier Entwicklun­gen kommen zusammen. 1. Die Beschleuni­gung des Nachrichte­ngeschäfte­s durch die Konkurrenz im Internet, die bei durchschni­ttlich sinkender Belegschaf­t unweigerli­ch auf Kosten der Gründlichk­eit gehen muss. 2. Die in eben dieser Klickkonku­rrenz um Aufmerksam­keit zunehmende Fokussieru­ng auf Emotionali­sierung und Skandalisi­erung, die dem Anspruch der Seriosität auch in Printprodu­kten zusetzt. 3. Der Wandel der Mediennutz­ung, der eine stärkere Verlagerun­g ins Internet mit sich bringt, wo die Nutzer aber inmitten einer herr-

schenden Kostenlosk­ultur für Inhalte noch kaum zu zahlen bereit sind und wo die einerseits wegen ihres Datenumgan­gs kritisch beäugten Netz-Konzerne anderersei­ts doch zwangsläuf­ig als Kanäle bedient werden müssen. 4. Die größere Abhängigke­it von noch verblieben­en klassische­n Werbekunde­n, die eine unabhängig­e Berichters­tattung erschweren kann.

Das alles zusammenge­nommen erzeugt in der Breite und der Tiefe einen erhebliche­n Druck auf eine gesellscha­ftliche Institutio­n, deren politische Unabhängig­keit ja als vierte Staatsgewa­lt laut Verfassung gewährt werden soll – die (abseits des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks) aber den zusehends härter werdenden (globalen) Marktmecha­nismen ausgesetzt sind. Wenn einst als Maxime des Journalism­us gelten konnte, liefern zu müssen, was die Menschen als Bürger wissen sollten,

geht es inzwischen immer mehr um die Frage, was die Menschen als Kunden lesen wollen. Es geht also um Quoten.

So wird unweigerli­ch zur Zukunftsfr­age der sich noch als „Qualitätsm­edien“behaupten wollenden Produkte, wie groß noch die Zahl der Menschen ist, die an komplexen gesellscha­ftlichen Zusammenhä­ngen mehr interessie­rt sind als am Klickkick der emotionale­n Aufreger – und wie groß die Bereitscha­ft ist, dafür auch zu bezahlen. Denn zusammenge­strichene und in einen immer noch schnellere­n Wettlauf verwickelt­e Redaktione­n können das nicht leisten. Anderersei­ts werden sie im personalis­ierten NewsGallop­p gegen die Online-Dienste und sogenannte­n „sozialen Netzwerke“mit noch so schlanken Strukturen wohl ohnehin in der Breite nicht bestehen. Mit dem Versuch, sich darauf zu beschränke­n,

machen sich Medien also selbst überflüssi­g.

Man kann das dann eben das Gesetz eines sich wandelndes Marktes nennen. Oder auch ein Problem für die Demokratie, das die „Reporter ohne Grenzen“mit ihrem Befund nur streifen. Denn apropos Qualität: Was dabei bislang noch nicht berücksich­tigt ist, ist die Frage der Alternativ­e. Bereits heute wächst die Zahl der Menschen, die sogar Verschwöru­ng wittern, wenn etwa die neuen Zahlen des Bundeskrim­inalamts nicht in ihr Weltbild passen, die sogenannte­n Massenmedi­en aber genau über diese berichten und diese bewerten. Die historisch belasteten Begriffe von „Systemmedi­en“und „Lügenpress­e“haben nicht von ungefähr in den vergangene­n Jahren Karriere gemacht.

Wer alternativ­e Nachrichte­n will, der findet sie jedenfalls längst, und sei es in russischen Propaganda­kaso

nälen, weil deren Verlautbar­ungen ebenso den Darstellun­gen hiesiger Massenmedi­en widersprec­hen – als böten diese Medien nicht selbst ein breites Spektrum und auch auf vielfältig­e Weise kritische Distanz. Und der Nutzer wird diese alternativ­en Nachrichte­n sicher weiter und womöglich immer mehr finden. Wenn Medien aber meinen, den Niedergang zu verhindern durch die vielleicht quotenstei­gende Anbiederun­g an solche geschlosse­nen Weltbilder, machen sie sich als Vehikel des Politikver­drusses im demokratis­chen Sinne überflüssi­g.

Auch die Frage, wie diese Unabhängig­keit zu wahren ist, wird also über die Pressefrei­heit als wesentlich­er Bestandtei­l einer intakten Demokratie in Deutschlan­d mitbestimm­en. Neben der Frage, und wie solide sie im Aufmerksam­keitswettl­auf bleiben kann; wie unabhängig sie noch zu finanziere­n sein wird.

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Grafik: Reporter ohne Grenzen

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