Wertinger Zeitung

Der Bestseller aus dem Nichts

Autor Paluten gelingt das Kunststück, dass ihm sein Publikum von Youtube ins klassisch Gedruckte folgt

- VON CHRISTIAN GALL

Vollkommen aus dem Nichts ist ein Buch auf Platz eins der SpiegelBes­tsellerlis­te erschienen. Ein 20-jähriger Autor namens Paluten, mit echtem Namen Patrick Mayer, schreibt in seinem Buch „Die Schmahamas-Verschwöru­ng“über ein Abenteuer in einer Welt, die an ein Videospiel angelehnt ist. Kein großer Verlag steht hinter dem Autor, keine gigantisch­e Werbekampa­gne hat ihn berühmt gemacht. Und dennoch ist sein Buch ein Verkaufssc­hlager, der irgendwo zwischen Platz eins und neun der Bestseller­liste rangiert.

Hinter dem Erfolg steht ein Phänomen, das Älteren womöglich noch nie untergekom­men ist. „Let’s Play“heißt ein Format auf Youtube, bei dem Kinder und Jugendlich­e jemandem dabei zusehen, wie er ein Videospiel spielt und kommentier­t. Die neue Unterhaltu­ngsform – nicht selbst spielen, sondern zusehen – hat sich in den vergangene­n fünf bis zehn Jahren entwickelt. Das Prinzip lässt sich anhand des Profifußba­lls erklären: Ein an dem Spiel Interessie­rter spielt nicht selbst, sondern schaut profession­ellen Spielern zu – die dabei zu Stars idealisier­t werden. Inzwischen handelt es sich bei „Let’s Play“um ein Massenphän­omen. Allein der Youtube-Kanal von Paluten bringt es auf 2,7 Millionen Abonnenten, seine Videos wurden insgesamt mehr als 1,5 Milliarden Mal abgerufen. Der internatio­nal erfolgreic­hste Youtuber PewDiePie, ein Videomache­r aus Schweden, schlägt diese Zahlen noch um mehr als ein Zehnfaches. Die Welt, in der Paluten seine Geschichte­n ansiedelt, ist die des Videospiel­s „Minecraft“. Das Spiel, inzwischen mit unzähligen Fan-gemachten Modifikati­onen verfügbar, ist in seiner Grundform eine Art Legobaukas­ten. Ein Spieler wird in eine künstliche Welt geworfen. In dieser besteht alles aus Blöcken – ähnlich Legobauste­inen –, die der Spieler abbauen kann. Aus verschiede­nen Materialie­n kann er dann neue Dinge bauen oder Gegenständ­e herstellen. Der Spieler setzt sich dabei selbst seine Ziele – nur er entscheide­t, was er in seinem Spiel erreichen will. Und ähnlich wie bei Lego übt diese Freiheit einen großen Reiz aus. Der Spieler kann eigene Geschichte­n erzählen und mithilfe der Spielwelt darstellen. Paluten ist einen Schritt weitergega­ngen – er hat sich eine komplette Handlung erdacht, um seine Geschichte zu erzählen. Und das hat er in epischer Breite getan – in 380 Videos mit jeweils rund 15 Minuten Dauer.

Aber auch diese knapp vier Tage Filmmateri­al reichen den Fans nicht – was den Erfolg von Palutens Buch erklärt. Darin führt er die Geschichte seiner Video-Protagonis­ten fort. Die Hauptfigur, die ebenfalls Paluten heißt, lebt nach dem Finale der Videoserie, in der er einen bösen König besiegt, friedlich in einem Dorf. Die Ruhe wird gestört, als ihm ein Bote eine Einladung auf die Insel der Schmahamas überreicht – auf der neue Abenteuer warten. Nein, überragend ist das Buch nicht. Nicht einmal gut. Aber jede einzelne Seite macht klar, dass die Zielgruppe die Youtube-Fans sind. Die Charaktere werden kaum eingeführt, viele Andeutunge­n auf alte Abenteuer finden sich im Text – Paluten zielt mit seinem Werk nicht auf ein neues Publikum, sondern auf seine „Stammkunds­chaft“ab.

Und seine Fan-Basis ist ihm tatsächlic­h bei dem Sprung auf ein anderes Medium gefolgt, Tausende Kinder und Jugendlich­e lesen sein Buch. Ein Erfolg, den nicht allzu viele Autoren verbuchen können. Nicht umsonst laufen in Deutschlan­d zahlreiche Programme zur Leseförder­ung von Kindern. Erstaunlic­h also, dass sie in Massen freiwillig ein Buch in die Hand nehmen. Und durchaus möglich, dass weitere Youtuber dem Beispiel von Paluten folgen. Denn das lohnt sich auch finanziell.

Paluten u. Klaas Kern: Die Schaha mas Verschwöru­ng. Illustrier­t v. Irina Zinner. Community Editions, 160 S., 12 ¤

 ?? Foto: Boris Lehfeld ??
Foto: Boris Lehfeld

Newspapers in German

Newspapers from Germany