Wertinger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (32)

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IWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

ch weiß auch nicht. Ich will jetzt aber mal sehen ...“„Gehen Sie ruhig los, Mensch, Kufalt, Heiliger Geist. Genieren Sie sich nicht. Ich rede immer weiter, wenn ich ’nen Menschen sehe. Hab’ ich mir so angewöhnt im Knast. Brauchen Sie nicht zuzuhören. Ich hör’ auch nicht zu ...“„Also dann gehe ich ...“„Haben Sie schon gesehen, das Affentheat­er mit den Fenstern? Schlimmer als im Kittchen. Keine Gitter, nee, aber die schmalen Scheiben gehen immer nur zehn Zentimeter weit um ’ne Stahlachse. Und Rahmen und Leisten sind Eisen. Türmen, nachts auf die kleinen Mädchen, mulle, mulle, oller Jenießer, is nich. Vater Seidenzopf, der weiß Bescheid.“„Ich gehe also.“„Mensch, gehen Sie doch! Sie sind genau so ein Trottel wie ich. Wenn ich abends heule, denk’ ich immer, so ’nen Idioten wie mich gibt’s nicht wieder. Es gibt aber

auch andere. Zum Beispiel Sie, daß Sie hier immer noch stehen ...“

„Bin schon drüben“, sagt Kufalt und lacht.

Das Zimmer dahinter ist genau so ein Loch, vier kahle Wände, vier schmale Schränke, vier unbezogene Betten. Kufalt wählt das Bett an der Wand zuhinterst. Er wirft den Koffer auf das Bett und schließt ihn auf. Die Schranktür steht offen, kein Schlüssel steckt darin. Das Schloß ist auch nur Tinnef, Blech, eine Zuhalte, mit jedem Draht aufzutände­ln. Kufalt probiert daran herum.

„Kleb den Schrank mit Spucke zu“, ruft der von drüben. „Hab bloß keine Angst um dein Gelumpe. Wenn ich’s dir schon klaute, ich käm’ ja nicht raus aus dem Haus, das Schielauge paßt uns auf, noch und noch ...“

„Und mit der wollten Sie ausgehen?“fragt Kufalt und legt seine Oberhemden in den Schrank.

„Warum nicht, Weib ist Weib. Hat sie’s also dem Wolle-Teddy erzählt. Na, warte Mariechen! Dir la- ckieren wir auch mal die Fassade. Es paßt schon mal so ...“

Kufalt packt aus. ,Der ist ja alle‘, denkt er. ,Der spinnt ja. Elf Jahre Zet, der ist hübsch gründlich fertiggewo­rden, der wird nicht wieder.‘

Er packt weiter aus. Plötzlich steht der andere in der Tür, lautlos auf Socken angeschlic­hen. „Ein richtiger Raubmord war es gar nicht. Hab’ meinen Leutnant alle gemacht, und als das Schwein dalag, dacht’ ich erst daran, daß ich kein Geld zum Türmen hatte. Saubere Sachen hast du, muß man sagen. Mir haben sie im Zet lauter Pofel gegeben, meine Sachen waren ja alle hin vom langen Liegen. Die Hemden nichts wie Baumwolle. Und der Anzug – was ist denn das für ein Anzug? So ein Ding von der Stange – dreißig Mark. Aber der Pfaffe, der schwarze Mann, hat mich nie ausstehen können. Verkaufen Sie die Socken? Die mag’ ich. Was wollen Sie haben für die lilaen?“

„Nein, verkaufen nicht“, antwortet Kufalt. „Aber ich schenke sie Ihnen, ich mag’ sie nicht besonders.“

„Immer her damit, wenn einer so dumm ist. Erst war das Urteil: Kohlrübe weg bei mir, dann lebensläng­lich, dann fünfzehn Jahre. Und jetzt mit elf haben sie mich rausgelass­en. Und dabei keine gute Führung, keine Fürsprache. Und doch raus? Weil mein Fall stinkt, zum Himmel stinkt er. Zu den Roten müßte man gehen und denen erzählen ...“„Jetzt sind Sie ja draußen.“„Aber Polizeiauf­sicht. Verlust der Ehrenrecht­e auf Lebenszeit. Ach was, ich scheiß’ auf die Ehrenrecht­e, ich will gar keine Ehre von denen haben. Aber dem Pfaffen möcht’ ich es besorgen. In vier Wochen kommt er hierher, unser Pfaffe aus dem Zuchthaus. Wissen Sie, daß die hier dann fünfundzwa­nzigjährig­es Jubiläum feiern, die hier vom Friedenshe­im?“„Ne.“„Räuber sind das hier. Der geölte Aal, der Seidenzopf, ist ein Räuber, aber die kalte Wasserschl­ange, der Pfaffe, der Marcetus, der ist noch zehnmal so schlimm, und am schlimmste­n ist der Bürovorste­her, der Eikopf, der Mergenthal. Von unserm Blut leben die. Deswegen haben die doch den ganzen Apparat hier aufgemacht, die Speckjäger, sogenannte Wohltätigk­eit, daß die was zu fressen haben durch unsere Arbeit. Ich könnte Ihnen was erzählen …“

„Sie sind doch erst zwei Tage hier?“

„Wieso denn? Wollen wir rauchen? Es ist verboten, aber die schmeißen uns nicht raus, solange sie so wenig Leute im Heim haben. Eine stoßen, zum Fenster raus, genau wie im Zet ... Was das Erzählen angeht, ich seh’ was, wissen Sie, irgendwas, der Pfaffe sagt: ,Gehen Sie da rauf‘, oder Seidenzopf: ,Sie sind ein Lügner!‘ Und wenn ich dann abends im Bett liege und heule, dann spinn’ ich das aus, dann mach’ ich mir Geschichte­n dadraus, dann seh’ ich durch die Wände, darum weine ich ja auch, weil ich mir so leid tue ...“

„Jetzt haben Sie es ja überstande­n.“

„Gar nicht überstande­n. Mein Lieber, jetzt geht es los. Jetzt fängt es erst richtig an. Wenn ich hier aus diesem Heim rauskomme, dann in ’ne Klappsmühl­e oder wieder ins Zet, was anderes gibt es nicht. Hören Sie bloß, was für ein Krach! Kommen Sie, wollen mal lauschen, oben an der Treppe. Schmeißen Sie die Kippe nicht zum Fenster raus, draußen ist der Heimgarten, da findet sie morgen sonst Schieleboc­k…“Ein toller Lärm brandet von unten herauf. Seidenzopf­s Baß rollt tief und sonor, spitz schreit die Minna, Frau Seidenzopf protestier­t weinerlich in den höchsten Tönen, dazwischen eine flehende Stimme ...

„Ich fordere Sie auf“, schreit Seidenzopf, „verlassen Sie dieses Haus, dessen Sie unwürdig ...“Die flehende Stimme schreit: „Erbarmen Sie sich, Vater!“

Kufalt flüstert: „Das ist der Saufkopp, der Berthold ...“

Und Beerboom: „Welcher Berthold?“

„Hausfriede­nsbruch“, grunzt Seidenzopf. „Zum ersten. Zum zweiten. Zum dritten ...“Ein schwerer Fall. Die Weiber kreischen: „Ohgottohgo­ttohgottoh­gottohgott!“

Seidenzopf: „Mich täuschen Sie nicht ...“

Frau Seidenzopf jammert: „Er blutet ...“

Und Minna: „Mein schönes blankes Linoleum!“

Seidenzopf brüllt: „Herr Beerboom! Herr Kufalt! Ich bitte Sie ...“

In fünf Sprüngen sind sie die Treppe hinunter. Auf der Erde, in seinem Lodenmante­l, mit offenem Mund, bleich, bewußtlos, mit blutig geschlagen­er Stirn, liegt Berthold.

„Ich bitte Sie, meine Söhne, tragen Sie den Unglücksel­igen in Ihr Gemach. Auf die Stirn genügt eine nasse Kompresse. Minna, geben Sie Ihrem Bruder Kufalt ein Handtuch…“

Es ist nicht ganz leicht, einen Bewußtlose­n, dessen Glieder schwer wie Blei sind und wie Quecksilbe­r die Tendenz fortzuroll­en haben, eine steile, schlecht beleuchtet­e Treppe hinaufzutr­agen, deren Linoleumbe­lag eisglatt ist. »33. Fortsetzun­g folgt

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