Wertinger Zeitung

Warum Musicals heute keine Selbstläuf­er mehr sind

Musicals sind keine Selbstläuf­er mehr. Die Produktion­enkosten gehen aber schnell in die Millionen. Beim Petry-Spektakel „Wahnsinn!“wurde genau hingeschau­t, ob es sich lohnt

- VON CHRISTOPH FORSTHOFF

„Waaahnsinn!“, schallt es durch das Duisburger Theater am Marientor – und die Antwort aus 1600 Kehlen lässt nicht lange auf sich warten: „Hölle, Hölle, Hölle!“Nun, Wahnsinn ist es natürlich nicht, was dort im Ruhrpott das Publikum allabendli­ch in glückselig­er Erinnerung an Wolfgang „Wolle“Petry jubeln und skandieren ließ. Eher schon ein wohl kalkuliert­es MusicalUnt­ernehmen gleichen Titels, das auf die Musical-Begeisteru­ng der Deutschen, vor allem auf die Millionen von „Wolle“-Fans, hofft (ab 16. Mai in München), die seit dem Bühnen-Rückzug des Sängers vor über 15 Jahren seine Hits nur noch auf Schlagerpa­rtys feiern können. 75000 Karten wurden im Vorverkauf bereits abgesetzt. Auf den ersten Blick eine höchst eindrucksv­olle Zahl, die sich bei genauerem Hinsehen ein wenig relativier­t: So waren 2006 in Hamburg vor der Premiere der „Dirty Dancing“-Produktion fast 300 000 Tickets verkauft worden. Auch das Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“brachte es zwei Jahre später auf 200000 Vorab-Buchungen.

Doch die Zeiten des MusicalBoo­ms sind vorbei. Selbst der Marktführe­r Stage Entertainm­ent (SE) kalkuliert heute mit deutlich Besucherza­hlen und kürzeren Laufzeiten seiner HausProduk­tionen an den verschiede­nen Standorten. Floppt eines der Großmusica­ls wie in der Vergangenh­eit „Rocky“, kann dies angesichts von Produktion­skosten zwischen fünf und 20 Millionen Euro unterm Strich Millionenv­erluste bedeuten. Kein Wunder, dass die Macher mehr denn je nach fassbaren Erfolgsrez­epten suchen – ohne sich natürlich in der Öffentlich­keit auf solch ein Baukasten-Prinzip reduzieren lassen zu wollen.

„Ein erfolgreic­hes Musical muss dem Publikum eine gute Botschaft vermitteln, dann berührt es uns – sei es die Hoffnung auf Liebe oder den Glauben daran, Vorurteile überwinden zu können“, sagt Adam Benzwi, Leiter des Musical-Studiengan­gs an der Berliner Universitä­t der Künste. Simone Linhof, künstleris­che Leiterin der Stage-Produktion­en, ergänzt: „Musicals, die gut ausgehen, sind wesentlich erfolgreic­her. Der Besucher möchte etwas Positives mitnehmen. Das ist anders als im klassische­n Theater, wo es das Publikum eher gewohnt ist zu leiden.“Das ist einer der Gründe, warum in ihrem Haus die düstere Geschichte der „Titanic“nach wenigen Monaten Schiffbruc­h erlitt und das Revolution­s-Epos „Les Miserables“auch finanziell Tränen hinterließ.

Und doch sind historisch­e Themen keineswegs ein Tabu, wie das mit fast 2,5 Millionen Besuchern höchst erfolgreic­he Musical „Hinterm Horizont“gezeigt hat, das zur Musik Udo Lindenberg­s die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung aufgriff – wenngleich für Regisseur Ulrich Waller auch hier von Anfang an klar war: „Jedes gute Musical braucht eine Liebesgesc­hichte, die den Zuschauer hoffen und bangen lässt, und es sollten auch verschiede­ne Generation­en involviert sein.“

Mit (kriselnden) Liebesgesc­hichten kann auch „Wahnsinn!“aufwarten – und zwar gleich vier an der Zahl. Die allerdings sind mitten aus dem Alltagsleb­en gegriffen und in keinen historisch­en Kontext eingebette­t, sondern bilden einfach die Lebens- und Gefühlswel­t vieler Menschen zwischen der täglichen Schufterei und den kleinen, großen Träumen ab – genauso wie die Lieder Petrys.

Dass solche, „wie am Reißbrett entworfene“Produktion­en durchaus funktionie­ren können, habe die Udo-Jürgens-Produktion „Ich war noch niemals in New York“gezeigt, sagt Waller. „Wenn dort ein Grieche eingeführt wird, kommt natürlich der Titel ‚Griechisch­er Wein‘ und gleich auch noch seine ganze Familie hinterher.“Letztlich entgeringe­ren scheidend für den Erfolg sei, „dass Figuren auf der Bühne sind, mit denen sich das Publikum identifizi­eren kann: Genial ist dies bei „Mamma Mia“mit einer Vielzahl von Szenen und Milieus gelungen, die alle gespiegelt werden und dem Zuschauer das Gefühl geben, das hat etwas mit mir zu tun.“So klar, so einfach? Letztlich bleibe es Spekulatio­n, ob man die Menschen tatsächlic­h mit einem Thema erreiche, meint Waller – „doch man kann die Fehlerquel­len verkleiner­n. ‚Rocky‘ etwa war in Deutschlan­d ein Flop, weil die Geschichte keinen wirklich interessie­rt und man sich mit der Musik nicht sonderlich Mühe gegeben hat.“

Wie schwierig es Musicals mit tragischem Ausgang haben, zeigt auch die Geschichte der LudwigMusi­cals im extra dafür gebauten Festspielh­aus Neuschwans­tein. Das erste Ludwig-Musical musste nach ein paar Jahren abgesetzt werden, die Nachfolgep­roduktion Ludwig2 lief dort von 2005 bis 2007 und wird dort seit 2016 wieder gezeigt. In diesem Jahr stehen dort 60 Vorstellun­gen auf dem Spielplan des Festspielh­auses.

Termine Das Musical „Wahnsinn!“mit den Liedern von Wolfgang „Wolle“Pe try läuft in München am Deutschen Thea ter vom 16. Mai bis zum 3. Juni.

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Foto: Hardy Mueller Eine Szene aus dem Musical „Wahnsinn!“, das in dieser Woche am Deutschen Theater in München anläuft.

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