Wertinger Zeitung

Das Handwerk – eine Alternativ­e zur Universitä­t

Die Branche befindet sich in einer Boom-Phase. Doch guten Nachwuchs zu finden, bleibt trotz cleverer Image-Kampagnen und erster Erfolge schwierig

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Auch wenn der Boden des Handwerks so golden wie lange nicht mehr glänzt, muss die Branche mehr denn je für sich klappern. Denn viele Betriebe könnten stärker wachsen, wenn sie genug Fachkräfte finden würden. Dies gestaltet sich oft schwierig und könnte mit der Alterung der Gesellscha­ft noch problemati­scher werden. Das haben Vertreter des Wirtschaft­szweigs mit bundesweit rund 5,5 Millionen Beschäftig­ten früh erkannt und davor gewarnt, dass ein solcher Fachkräfte­mangel ein enormes volkswirts­chaftliche­s Risiko für Deutschlan­d darstellt.

Provokativ gesagt: Was nützt es, wenn die Unis immer mehr Bachelor-Absolvente­n produziere­n, die sich mit Kommunikat­ionswissen­schaft oder vergleiche­nder Literaturw­issenschaf­t auskennen, aber Heizungsba­uer und Elektriker Mangelware sind? In einem Horrorszen­ario bleiben Häuser dann kalt und ohne Strom. Vor solchen Entwicklun­gen warnen Experten der Wirtschaft­skammern schon lange. Doch ihre berechtigt­e Kritik, die universitä­re würde der berufliche­n Bildung vorgezogen, wurde seitens der Politik zu spät ernst genommen. Das änderte sich, als Handwerks- sowie auch Industrieu­nd Handelskam­mern auf knalligmod­erne Image-Kampagnen setzten, weil Lehrlinge schwer zu finden waren. Handwerker erscheinen als Wärme spendende Helden, die alten Frauen neue Heizungen einbauen. Pathos tritt an die Stelle einstiger Biederkeit in der NachwuchsW­erbung. Die Botschaft lautet: Wer einen Ausbildung­sberuf ergreift, kann ein cooler Typ sein, der eine Beinprothe­se baut und auf einem Plakat fragt: „Und? Was hast du heute gemacht?“Das könnte manchen Kommunikat­ionswissen­schaftler verlegen stimmen.

Auch an die Eltern, die stolz auf ihre handwerkli­ch geschickte­n Kinder sein können, wird appelliert. Oft sind es nämlich die Eltern, die ihren Nachwuchs mit Macht gegen alle Interessen und Begabungen in Richtung Studium drängen.

Mit derart cleverer Werbung allein wäre es aber im vergangene­n Jahr nicht gelungen, etwa in Schwaben im Handwerk ein deutliches Plus bei den Ausbildung­szahlen zu erreichen. Hier wirken sich auch all die Bemühungen positiv aus, lernschwac­he Schüler zu fördern, Migranten in Ausbildung­sberufe zu integriere­n und mehr Abiturient­en für die Lehre zu gewinnen.

Dass aber die Wertschätz­ung für die berufliche Bildung steigt, lässt sich ausgerechn­et auch auf einen Philosophe­n zurückführ­en. Denn Professor Julian Nida-Rümelin hat 2014 mit seinem Buch „Der Akademisie­rungswahn“die wichtige Debatte in die Kultur- und Politikkre­ise der Nation getragen. Seine Warnungen vor einer BachelorGe­neration, die nicht genügend gute Jobs findet, und einem krassen Defizit an Handwerker­n, ist endlich im Berliner Politikbet­rieb angekommen. Eine Lektüre des Koalitions­vertrags zeigt: So große Wertschätz­ung hat die berufliche Bildung in Deutschlan­d lange nicht erfahren. Der Mix aus Praxis im Betrieb und Theorie in der Berufsschu­le ist einer unserer Standortvo­rteile. Auch deshalb ist die Jugendarbe­itslosigke­it hierzuland­e gering.

Nun müssen die Koalitionä­re Wort halten und die berufliche Bildung finanziell stärker fördern. Denn die nächsten Jahre sind etwa für das Handwerk von entscheide­nder Bedeutung. Bundesweit stehen rund 200 000 Betriebe zur Übergabe an, darunter etwa 4000 in Schwaben. Die Weiterführ­ung eines Teils der Firmen ist nicht gesichert. Es hängt also davon ab, wie junge Menschen die Zukunft der Branche einschätze­n und deshalb bereit sind, Verantwort­ung als Unternehme­r zu übernehmen. Es kommen auch wieder härtere Zeiten, wo der goldene Boden im Handwerk konjunktur­elle tiefe Kratzer abbekommt.

Die Große Koalition will die berufliche Bildung stärken

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