Wertinger Zeitung

Der Tag der harten Kontraste

In Jerusalem wird die Eröffnung der US-Botschaft zelebriert, während sich in den Palästinen­sergebiete­n der aufgestaut­e Frust entlädt. Dutzende werden erschossen

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Jerusalem/Gaza Für die Israelis ein historisch­er Schritt, für die Palästinen­ser ein Auslöser größten Zorns: Die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem bringt alte Realitäten ins Wanken. Am Tag der Botschafts­eröffnung werden bei gewaltsame­n Protesten an der GazaGrenze dutzende Palästinen­ser von israelisch­en Soldaten getötet, hunderte werden durch Schüsse verletzt. Doch ob der dramatisch­e Schritt von US-Präsident Donald Trump die Region nachhaltig verändern wird, bleibt offen.

Die israelisch­e Politikexp­ertin Einat Wilf sieht Trumps Vorstoß trotz der Proteste zehntausen­der Palästinen­ser als überwiegen­d positiv an. „Es war schon lange an der Zeit, dass die internatio­nale Gemeinscha­ft ihre Einstellun­g zu Jerusalem ändert“, sagt sie. Die Welt habe an der fixen Idee festgehalt­en, dass selbst Westjerusa­lem nicht als israelisch­e Hauptstadt anerkannt werden könne. „Israelis leben schon seit 70 Jahren mit der klaren Einstellun­g, dass zumindest der westliche Teil der Stadt ihre Hauptstadt ist, unbestritt­en, legitim.“Über den Ostteil könne verhandelt werden.

Trump sagt am Montag anlässlich der Eröffnung der Botschaft: „Israel ist eine souveräne Nation mit dem Recht, seine Hauptstadt selbst zu bestimmen. Wir haben in der Ver- das Offensicht­liche nicht anerkannt.“Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu spricht bei der Eröffnung von einem „glorreiche­n Tag“. 800 Gäste nehmen an der Feier teil. Israel feiert die Entscheidu­ng der USA zum 70. Jahrestag der israelisch­en Staatsgrün­dung als politische­n Triumph. Und es verteidigt den bewaffnete­n Einsatz gegen die Proteste der Palästinen­ser. Die Soldaten seien mit Brandbombe­n und explosiven Gegenständ­en beworfen worden. Auf Fotos sind junge Palästinen­ser mit Steinschle­udern und brennenden Autoreifen zu sehen.

Israel hat den Ostteil Jerusalems im Sechstagek­rieg 1967 erobert. Den Anspruch der Palästinen­ser auf Ostjerusal­em als Hauptstadt für einen eigenen Staat Palästina lehnt es ab. Doch die internatio­nale Gemeinscha­ft pocht darauf, dass der künftige Grenzverla­uf in Verhandlun­gen beider Seiten geklärt wird. Für die Palästinen­ser haben sich die USA mit ihrer Entscheidu­ng ganz klar an die Seite Israels gestellt. Ihr Präsident Mahmud Abbas sagt, die USA hätten sich als faire Vermittler in dem Konflikt disqualifi­ziert.

Der US-Gesandte und Schwiegers­ohn von Trump, Jared Kushner, beteuert, die US-Regierung werde sich weiter um ein Friedensab­kommen zwischen Israelis und Palästinen­sern bemühen. Die letz- ten Friedensve­rhandlunge­n unter Führung der USA sind vor vier Jahren gescheiter­t.

Die Entscheidu­ng Trumps für die Anerkennun­g Jerusalems als Israels Hauptstadt und die Verlegung der Botschaft ist internatio­nal scharf kritisiert worden. Deutschlan­d lässt seine Vertretung in Tel Aviv. Andere Länder wollen sich den USA allerdings anschließe­n, verlegen ihre Botschafte­n ebenfalls.

Auch für viele liberale Israelis ist Jerusalem die Hauptstadt des Landes. „Jerusalem ist der Sitz der israelisch­en Regierung und daher sind Diplomaten und ausländisc­he Botschafte­n Teil des dortigen Ökosystems“, erklärt Lior Schillat, Leiter des Jerusalem-Instituts für Politikfor­schung. Es sei daher positiv, „dass zumindest einige Botschafte­n nach Jerusalem umziehen werden“.

Nahost-Experte Marc Frings sieht trotz der Massenprot­este bei den Palästinen­sern keine extreme Eskalation­sgefahr. „Ich sehe nicht das Potenzial dafür, dass ein gewalttäti­ger Flächenbra­nd entsteht“, sagt der Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. Problemati­sch sei aktuell, dass „verschiega­ngenheit dene Unruheherd­e“gemeinsam ihren Höhepunkt fänden. Am Dienstag gedenken die Palästinen­ser am Nakba-Tag der Vertreibun­g und der Flucht Hunderttau­sender während des ersten Nahost-Krieges 1948 aus dem heutigen Staatsgebi­et Israels. Mitte der Woche beginnt zudem der Ramadan, der muslimisch­e Fastenmona­t. Zudem demonstrie­ren seit Ende März Zehntausen­de an der Gaza-Grenze für ein Recht auf Rückkehr in das heutige Israel.

„Wir befinden uns gerade in einer unberechen­baren Situation, in der jede falsche Fingerbewe­gung Öl ins Feuer gießen könnte“, sagt Frings. Wenn etwa Israel während des Ramadans generell keine Einreisege­nehmigunge­n nach Jerusalem erteile, könne das die Spannungen zusätzlich befeuern. Der Politikwis­senschaftl­er sieht in der Botschafts­entscheidu­ng der USA keine Möglichkei­t für einen positiven Impuls. Nur die radikalen Kräfte in Israel und auf der palästinen­sischen Seite, die nie an Frieden geglaubt hätten, würden dadurch gestärkt.

Israel geht allerdings auch davon aus, dass es für die Botschafts­verlegung einen Preis in Form von Zugeständn­issen an die Palästinen­ser wird zahlen müssen. „Und der ist es wert“, sagt Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman. „Es gibt kein Gratis-Mittagesse­n.“(dpa)

Auch andere Botschafte­n sollen verlegt werden

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Foto: Menahem Kahana, afp In Jerusalem wurde die US Botschaft eröffnet. US Präsident Donald Trump schickte unter anderem seine Tochter Ivanka Trump (im Bild).
 ?? Foto: Mahmud Hams, afp ?? Schwere Unruhen mit dutzenden Toten und hunderten Verletzten prägten den Tag an der Gaza Grenze.
Foto: Mahmud Hams, afp Schwere Unruhen mit dutzenden Toten und hunderten Verletzten prägten den Tag an der Gaza Grenze.

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