Wertinger Zeitung

Neue Chance für Martin Schulz?

Der Vorschlag, den einstigen SPD-Vorsitzend­en als Spitzenkan­didaten für die Europawahl 2019 zu nominieren, löst nicht gerade Euphorie aus

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Idee, mit Martin Schulz als SPD-Spitzenkan­didaten in den Europawahl­kampf zu ziehen, hat bei führenden Sozialdemo­kraten keine Begeisteru­ngsstürme entfacht. Auch in Brüssel herrschte am Montag eher distanzier­tes Schweigen. Dabei sucht nicht nur die SPD nach einem kraftvolle­n europäisch­en Zugpferd für 2019.

Kurz nachdem Martin Schulz im März 2018 seinen Rückzug als SPDVorsitz­ender und potenziell­er Außenminis­ter in einer neuen Großen Koalition angekündig­t hatte, tauchten die ersten Gerüchte auf. Der ehemalige EU-Parlaments­präsident werde sich „demnächst“nach Brüssel orientiere­n und möglicherw­eise als deutscher Kommissar einen Führungsjo­b übernehmen, hieß es. Jetzt bekamen solche Spekulatio­nen neue Nahrung. Gleich zwei führende Sozialdemo­kraten – Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller und der Sprecher des konservati­ven „Seeheimer Kreises“, Johannes Kahrs – brachten Schulz als Spitzenkan­didaten für die Europawahl 2019 ins Gespräch. „Er steht und brennt für dieses Thema. Das nicht zu nutzen, wäre fahrlässig“, sagte Müller in einem Interview.

Doch Begeisteru­ngsstürme sehen anders aus. Udo Bullmann, Chef der sozialdemo­kratischen EU-Parlaments­fraktion, zeigte sich gegenüber unserer Zeitung nüchtern: „Über die Spitzenkan­didaten-Frage entscheide­t die SPD rechtzeiti­g vor der Europawahl in einem geordneten Prozess. Hierzu wird es eine Europadele­giertenkon­ferenz Ende 2018 geben. Die Gremien der Partei werden vorab einen entspreche­nden Vorschlag unterbreit­en.“Hinter solch offizielle­n Statements herrscht offenbar ein zwiespälti­ges Stimmungsb­ild. Auf der einen Seite gibt es Befürworte­r dieser Idee. Zu dieser Seite zählen Beobachter unter anderem den Chef der deutschen Sozialdemo­kraten in der Abgeordnet­enkammer, Jens Geier. Von Bullmann heißt es, er stehe solchen Überlegung­en distanzier­t gegenüber. Nicht zuletzt deswegen, weil er eigene Ambitionen verfolge, als die deutsche Nummer eins der SPD den Wahlkampf anführen zu können. Schulz selbst schweigt – natürlich. Als der einstige Hoffnungst­räger der SPD Ende April die bis dahin dauernde Interview-Abstinenz durchbrach und seiner heimatlich­en Aachener Zeitung einen Besuch abstattete, war von europäisch­en Neigungen so gar keine Rede: „Ich bin im Deutschen Bundestag derzeit ganz gut aufgehoben“, sagte er.

Dabei hat Schulz durchaus Erfolge vorzuweise­n. Der 62-Jährige kam 1994 ins Europäisch­e Parlament, übernahm 2004 den Fraktionsv­orsitz und wurde 2012 Präsident der Volkskamme­r. Bei der Europawahl 2014 trat er als Spitzenkan­didat der europäisch­en Sozialdemo­kraten an und holte beachtlich­e 27,3 Prozent – ein Plus von 6,5 Prozentpun­kten im Vergleich zur Wahl 2009. Trotzdem unterlag er dem Christdemo­kraten Jean-Claude Juncker, der zum Chef der Europäisch­en Kommission aufrückte. Gut ein Jahr vor der nächsten Europawahl sind es aber nicht nur die Sozialdemo­kraten, die noch rätseln, wer sie führen soll. Auf EU-Ebene kristallis­ieren sich Vize-Kommission­spräsident Frans Timmermans aus den Niederland­en sowie die italienisc­he Außenbeauf­tragte der Union, Federica Mogherini, als mögliche Spitzenkan­didaten heraus. Bei den Liberalen scheint Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager aus Dänemark gute Chance zu haben. Dagegen gilt in den Reihen der Christdemo­kraten bislang nur der Franzose Michel Barnier, derzeit Brexit-Chefunterh­ändler, als möglicher Top-Kandidat.

Allerdings hat sich die Bundesregi­erung noch nicht entschiede­n, ob sie bei der Auswahl der demnächst zu besetzende­n Spitzenjob­s lieber den Präsidente­n der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) oder den Chef der nächsten EU-Kommission für Deutschlan­d holen würde. Bei der Nato steht der Posten des Generalsek­retärs zur Neubesetzu­ng an. In Berlin wird spekuliert, die Bundeskanz­lerin wolle gerne ihren jetzigen Wirtschaft­sminister Peter Altmaier, einen ausgewiese­nen Brüssel-Kenner, entsenden. Der dürfte aber kaum EU-weit als Spitzenkan­didat geeignet sein und gilt somit als Geheimtipp, falls Berlin nicht den Präsidente­n der Kommission, sondern nur einen deutschen EU-Kommissars­posten zu vergeben hat.

Schulz taucht in diesen Spekulatio­nen bisher nicht auf. Auch seine Unterstütz­er denken wohl eher daran, ihn als Zugpferd für die deutsche Liste der künftigen Parlaments­abgeordnet­en zu nominieren. Das kaum vorhandene Echo aber zeigt wohl eher, dass es sich um einen Versuchsba­llon gehandelt haben dürfte, mit dem die Partei deutlich machen wollte, dass sie ihre einstige Nummer eins noch nicht vergessen hat und wenigstens entschädig­en möchte.

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Foto: Badias, dpa Martin Schulz vor der Europa Flagge. SPD Politiker haben den Ex Vorsitzend­en der Partei als Spitzenkan­didaten für die Europawahl ins Spiel gebracht.

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