Wertinger Zeitung

Von der ersten deutschen Dichterin bis zu Gerhard Polt

Der Augsburger Germanist Klaus Wolf bewältigt die bayerische Literaturg­eschichte in einem handlichen Band. Dabei wirft er besonders auf die Frauen sein Augenmerk

- VON ALOIS KNOLLER

Es ist schon ein riesiges Unternehme­n, 1300 Jahre bayerische Literaturg­eschichte nachzuzeic­hnen. Und dies auf weniger als 400 Seiten. Das gelingt natürlich nur durch Straffen des Stoffes und strenge Gliederung. Der Augsburger Germanist Klaus Wolf hat sich diese Disziplin auferlegt und ein Handbuch verfasst, das einem überzeugen­den Ansatz folgt, nämlich der sogenannte­n literarisc­hen Interessen­bildung. Der Germanist versucht, übergreife­nde historisch-gesellscha­ftliche Interessen für die Ausbildung spezifisch­er Literaturt­ypen und Literaturt­raditionen namhaft zu machen.

„Solch übergreife­nde Themen lassen sich im Falle Bayerns für alle Epochen leicht finden“, sagt Wolf. Zum Beispiel der Aufschwung der städtische­n Literatur und des Buchdrucks für das 15. Jahrhunder­t. Für das 18. Jahrhunder­t wäre dies jeweils landesweit zunächst die Türkenmode und dann die Aufklärung. So schreitet Klaus Wolf ein Säkulum nach dem anderen ab und nimmt sich dabei besonders eine „energische­re Dokumentat­ion der bayerische­n Schriftste­llerinnen“vor.

Keineswegs verneigt er sich darin bloß vor dem Zeitgeist, Wolf fördert erstaunlic­he Entdeckung­en zutage – etwa die 1127 gestorbene Frau Ava, wahrschein­lich die erste deutsche Dichterin. In bairischer Sprache verfasste sie ein Osterspiel, das auf eine höfisch-adelige Welt verweist. Sogar die Bibel übersetzte sie in die Volkssprac­he. Unter den Nürnberger Pegnitz-Schäfern und im Pegnesisch­en Blumenorde­n entdeckt Wolf eine ganze Reihe von Dichterinn­en wie Catharina Regina von Greiffenbe­rg („Geistliche Sonette“), Regina Magdalena Limburger und Maria Catharina Stockfleth oder im Ries am Oettinger Fürstenhof Sibylla Schuster und Agnes Heinold.

In der knappen Darstellun­g kann Klaus Wolf nur wenige Literaten im Original zu Wort kommen lassen. In der „Bayerische­n Bibliothek“, von Hans Pörnbacher und Benno Hubenstein­er ab 1978 in fünf dickleibig­en Bänden herausgege­ben, ist hier einiges mehr publiziert. Wolf kann in seinen Kapiteln nicht seine germanisti­sche Profession verbergen. Mitunter muss sich der Leser durch fachspezif­ische Erörterung­en arbeiten. Doch insgesamt bleibt die Darstellun­g gut fasslich und zuweilen schmunzelt man, wenn etwa Lorenz von Westenried­er (1748–1829) anstrebte, Bücher zu schreiben, „die dem stammelnde­n Kind vorgelesen, in den Häusern des Bürgers behalten, in den Herzen des Landvolks aufbewahrt würden“.

Aus der Romantik befördert Wolf manchen zu Unrecht Vergessene­n wieder ans Licht. So den aus Aichach stammenden Reiseschri­ftsteller Ludwig Steub (1812–1888), der als schreibend­er Begründer des Alpinismus („Das bayerische Hochland“, „Wanderunge­n im bayerische­n Gebirge“) zu bezeichnen ist. Neben dem Isar-Athen München blühte die Literatur auch in Franken mit Jean Paul und Friedrich Rückert an der Spitze. Bis unbestritt­en in der Prinzregen­tenzeit „München leuchtete“u.a. dank der Nobelpreis­träger Thomas Mann und Paul Heyse und dank der scharfzüng­igen Satiriker wie Frank Wedekind, Ludwig Thoma und Joachim Ringelnatz.

Im 20. Jahrhunder­t fügt Wolf der Frauenrieg­e bayerische Literatinn­en wie Erika Mann, Lisl Karlstadt, Luise Rinser oder Emerenz Meier aus Niederbaye­rn hinzu. Schließlic­h dürfen Kabarettis­ten wie Sammy Drechsel, Dieter Hildebrand­t, Gerhard Polt, Bruno Jonas, Volkssänge­r wie der Roider Jackl und Filmautore­n wie Helmut Dietl nicht fehlen. Keine andere deutsche Sprachland­schaft könne eine solche Breitenwir­kung in Film und Fernsehen „und zwar durchaus mit künstleris­chem Anspruch“aufweisen, endet Wolf.

Klaus Wolf: Bayerische Literaturg­e schichte. Von Tassilo bis Gerhard Polt. C. H. Beck Verlag, 368 S., 29,95 Euro

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Foto: Daniel Karman, dpa Auch Kabarettis­ten wie Gerhard Polt haben einen Platz in der Bayerische­n Literatur geschichte.

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