Wertinger Zeitung

Kein Odonkor in Sicht

2006 überrascht­e Klinsmann mit dem Außenseite­r

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Augsburg In den Stunden vor der Bekanntgab­e eines WM-Kaders lässt kein Profi sein Handy aus den Augen. Es könnte ja sein, dass Jogi Löw dran ist und die frohe Kunde von der Aufnahme ins vorläufige Aufgebot übermittel­t. David Odonkor hat sich 2006, als Jürgen Klinsmann und sein Assistent Löw ihr Aufgebot bestellten, keinen Gedanken über die WM in Deutschlan­d gemacht. Odonkor war damals 22 und spielte unregelmäß­ig für Borussia Dortmund. Ob aus ihm ein gefragter Stürmer werden würde, war noch offen. Das Talent zum Torjäger fehlte ihm völlig. In 75 Spielen für den BVB hatte der Sohn eines Ghanaers und einer Deutschen bescheiden­e zwei Treffer erzielt. Eine Ausbeute, die nirgendwo zur WM reicht. Klinsmann, der als Teamchef damals viele neue Wege ging, dachte anders. Er wollte einen Spieler, der eine außergewöh­nliche Fähigkeit besitzt, die dann zum Einsatz kommt, wenn mit Strategie und Kombinatio­nsspiel nichts mehr zu erreichen ist. Dieses eine Talent besaß Odonkor. Er war der schnellste Spieler der Liga. Ein Sprinter, der beim Fußball gelandet war.

Also hat Klinsmann ihn eines Morgens angerufen und den gelernten Briefträge­r für die WM nominiert. Dafür mussten andere, wie Kevin Kuranyi oder Patrick Owomoyela , die fest mit einer Nominierun­g gerechnet hatten, zu Hause bleiben. Doch Klinsmanns Plan ging auf. Im wichtigen Gruppenspi­el gegen Polen stand es kurz vor Schluss 0:0, als der sprintende Odonkor den Ball Oliver Neuville servierte, der zum 1:0-Sieg traf. Vier Jahre später überrascht­e der zum Teamchef aufgestieg­enen Löw Fußball-Deutschlan­d mit den Neulingen Holger Badstuber und Dennis Aogo. 2014 stand Mario Gomez im Fokus – allerdings nicht so, wie er sich das gewünscht hatte. Löw strich ihn unerwartet aus seinem WM-Team. Für heute gilt Gomez als gebucht.

Wer aber könnte dann der Spieler sein, mit dem Joachim Löw für Erstaunen sorgt? Einen Sprinter vom Tempo Odonkors gibt es zurzeit nicht. Auch kein Talent, dem ein Nationalel­f-Debüt bei der WM zu wünschen wäre.

Für Odonkor ging es nach der WM zunächst steil nach oben. Betis Sevilla lotste ihn für 6,5 Millionen Euro Ablöse in die Primera Division. Aber auch in Sevilla wurde kein Torjäger aus ihm. Nach fünf Jahren landete er in Aachen, wo er mit der Alemania aus der zweiten Liga abgestiege­n ist. 2012 spielte er noch ein Jahr in der Ukraine, danach war Schluss. Seit dieser Saison trainiert Odonkor die SpVgg Bad Pyrmont in der Landesliga Hannover. Die wenigen WM-Minuten waren der Höhepunkt seiner Karriere. Daran knüpft er in diesen Tagen an. Am 26. Mai findet in Aachen sein Abschiedss­piel mit den WMHelden von 2006 statt. Dieses Mal ist es Odonkor, der anruft.

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Foto: dpa WM 2006: Klinsmann und Odonkor.

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