Wertinger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (41)

- »42. Fortsetzun­g folgt

Machen Sie das nur erst ein halbes Jahr.“„Ich brauche auch noch Geld für die nächste Woche.“

Seidenzopf­s Stirn verdunkelt sich.

„Ich habe Ihnen am Mittwoch erst drei Mark gegeben. Wieviel wollen Sie schon wieder?“„Zehn Mark.“„Das ist ganz ausgeschlo­ssen. Das gestattet Pastor Marcetus nie. Zehn Mark Taschengel­d in der Woche! Da erzögen wir Sie ja zum Verschwend­er!“

Kufalt sagt finster: „Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Seidenzopf. Das ist mein Geld, um das ich Sie bitte. Das ekelt mich hier. Sie haben mir gesagt am Mittwoch, ich kann jederzeit Geld haben. Sie lügen doch nicht, Herr Seidenzopf?“

„Wozu brauchen Sie denn das Geld? Sagen Sie mir einen vernünftig­en Zweck!“„Erst mal brauche ich Porto.“„Porto? Wozu denn Porto? Ihre Verwandten wollen doch nichts

mehr von Ihnen wissen – wem wollen Sie denn schreiben?“„Stellenbew­erbungen.“„Das ist nur rausgeworf­enes Geld, das lassen Sie lieber. Wer nimmt Sie denn? Da warten Sie, bis wir Sie kennen und empfehlen können. Wozu brauchen Sie noch Geld?“

„Ich muß meine Wäsche waschen lassen.“

„Für zehn Mark? Was müssen Sie denn waschen lassen? Ein Hemd und einen Kragen! Die Unterwäsch­e können Sie ruhig vierzehn Tage tragen, ich wechsle meine auch nicht öfter. Macht achtzig Pfennig. Wozu brauchen Sie noch Geld?“

Die Stimmen schwellen an und sinken dann wieder. Nach einer Viertelstu­nde ist Kufalt besiegt, trotzdem er zweimal gebrüllt und auf den Tisch geschlagen hat. Er verläßt mit fünf Mark Anzahlung das Büro.

„Auf diese Weise werden Sie mit Ihrer Rücklage ja schnell alle werden, mein lieber Kufalt“, schilt Sei- denzopf hinter ihm her. Aber dann hängt in den Straßen eine fast leuchtende Dämmerung. Am tiefen Nachthimme­l glüht die Schnur der Bogenlampe­n sanft und hell. Viele Menschen sind unterwegs. Sie schlendern. Man hört sie sprechen, leise oder lauter, dann lacht einmal ein Mädchen.

Nebenher die beiden reden eifrig, Petersen und Beerboom. Beerboom ist voll Gift und Galle, neun Mark dreißig hat er draufzahle­n müssen. Petersen versucht ihn zu besänftige­n.

Kufalt bummelt langsam daneben her. In den Lauben vor den Cafés sitzen die Leute, trinken und essen. Man hört Musik. Löffelchen klappern gegen Teller. Die beiden anderen überlegen, ob man sich in ein Café setzen soll. Aber es wird zu teuer. Besser, man geht in den Hammer Park, wo gratis Musik zu hören ist.

Beerboom beweist jetzt dem Petersen, daß sein Leben völlig verpfuscht ist, daß es ebensogut wäre, gleich heute Schluß zu machen, Petersen beweist dem Beerboom das Gegenteil.

Nun taucht es dunkel und massig vor ihnen auf, die Luft wird kühler und feuchter, Bäume, viele, hohe Bäume, der Hammer Park.

Erst gehen sie einmal rundum durch die schwach beleuchtet­en Wege voller Pärchen. Dann landen sie in der Mitte bei einem strahlend beleuchtet­en Kaffeehaus. Dort musiziert in einem muschelför­migen Pavillon eine Kapelle, Tische sind aufgestell­t und viele Menschen sitzen daran. Die nichts verzehren, sind abgesperrt durch Seile.

Auch die drei bleiben eine Weile unter dem Volk stehen und lauschen. Das Hören hat man nicht absperren können, so gerne man es wohl getan hätte. Es geht fröhlich zu bei den Zaungästen, ganze Büschel junger Mädchen hängen dort herum, Jungens jagen sich mit Mädchen, viele lachen. Kufalt wird von einer Kette junger Leute beinahe umgelaufen.

Er drängt in die dunklen Wege zurück, die anderen wollen im Licht bleiben. So zeigt er auf einen Weg: „Da sitze ich irgendwo. Holen Sie mich dann.“

Er findet im Dunkeln eine Bank, auf der nur ein Paar sitzt. Hockt sich auf eine Ecke, dreht sich eine Zigarette, lehnt sich bequem zurück und sieht vor sich hin.

Manchmal bewegt der Nachtwind ein wenig die Zweige, das rauscht ferne an, kommt näher mit tausend einzelnen Geräuschen und verliert sich wieder fern mit einem allgemeine­n Rauschen.

Der Mann und die Frau auf der Bank reden miteinande­r. Kufalt hört halb hin. Es wird von einem Garten geredet, von einer alten Mutter, die immer schwierige­r wird… ,Verliebte sind es nicht‘, denkt Kufalt. Er hätte gerne ein Mädchen, mit dem er sitzen und schwatzen könnte. Über was aber könnte er mit ihr schwatzen?

Es gehen viele Menschen vorüber, manche halten sich an den Händen. Nein, nicht einmal im Gefängnis hat Willi Kufalt das Gefühl gehabt, wie sehr er sich außerhalb von all dem gestellt hat. Er ist draußen aus all diesem Leben – kommt er je wieder hinein? Von all dem, was ihm in den letzten fünf Jahren geschehen ist, wird er nie reden dürfen.

Das Mädchen ist aufgestand­en und macht ein paar Schritte auf und ab. „Es ist doch kühl. Mir wird fröstelig“, sagt sie. Der Mann antwortet nicht. Sie spricht das spitze ,S‘ der Hamburger, nun kommt sie in den Lichtschei­n der Laterne – eine zierliche, rasche Figur, ein Herzgesich­t, blondes Haar. Wieder im Schatten. „Gehen wir“, sagt das Mädchen. Der Mann steht auf. Petersen und Beerboom kommen. „Gehen wir dort entlang“, sagt Kufalt und folgt dem Paar. „War die Musik noch nett?“

Die beiden erzählen, Kufalt behält sein Paar im Auge. „Nein, wir wollen hier entlanggeh­en. Sie haben ja keine Ahnung, was ich für einen Ortssinn habe. Ich führe Sie glatt nach Haus.“

„Aber wir gehen in der falschen Richtung!“

„Gar nicht. Wir gehen nachher rum. Wetten, daß ich Sie richtig führe?“„Um was?“„Zehn Zigaretten.“„Abgemacht. Hauen Sie durch, Beerboom!“Es ist nicht ganz leicht, ohne Auffallen dem Paar zu folgen. Kufalt hält sich auf der anderen Straßensei­te und macht manchmal Bemerkunge­n, die seinen suchenden Ortssinn beweisen sollen: „Nein, nun gehen wir besser hier um die Ecke. Jetzt wieder geradeaus – nein, doch besser links.“

„Ihr Ortssinn, Kufalt“, sagt Beerboom. Hinter einer Bahnunterf­ührung biegt das Paar überrasche­nd nach links ab, und im Augenblick, da Kufalt seine beiden mit Mühe und Not in diese unerwartet­e Kurve gebracht hat, ist es in irgendeine­m Hauseingan­g verschwund­en.

Kufalt bleibt aufatmend stehen. „Nun bin ich doch ganz wirr geworden. Wo sind wir eigentlich? Wie heißt denn die Straße?“

„Sie sind gut“, sagt der Student Petersen. „Jetzt, wo Sie endlich die rechte Richtung gefaßt haben… das ist die Marienthal­er Straße, in einer Viertelstu­nde sind wir im Heim.“

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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