Wertinger Zeitung

Plötzlich im Heim

Die Kosten im Landkreis Dillingen sind gestiegen. Dahinter stecken dramatisch­e Geschichte­n

- VON CORDULA HOMANN

Landkreis Die Mutter zweier Kinder stirbt – was wird aus den beiden? Ein Familienva­ter ist schwerer Alkoholike­r – die Sicherheit seines Kindes kann nicht mehr gewährleis­tet werden. Eine Mutter muss eine Haftstrafe antreten, zurück bleiben ihre Kinder. All diese Kinder leben im Landkreis Dillingen. Sie alle mussten heuer aufgrund ihrer familiären Situation plötzlich in ein Heim. Für die Kinder dramatisch, für den Landkreis aber auch teuer: Die Kosten für die Heimunterb­ringung sind gegenüber der Planung von 1,1 Millionen Euro auf 1,4 Millionen Euro gestiegen. „Die Häufung dieser Fälle war nicht absehbar“, sagt Jugendamts­leiter Michael Wagner in der jüngsten Sitzung des Jugendauss­chusses. Der Dillinger Kreistag hatte bei seinem Haushaltsa­nsatz im März mit Mehrausgab­en in Höhe von 161 000 Euro für die Jugendhilf­e im Kreishaush­alt geplant. Rund acht Wochen später ist das schon überholt: Die Kosten sind laut Wagner auf 260000 Euro gestiegen. Im Bereich der Erziehung in einer Tagesstätt­e haben sich die Kosten von 350 000 auf 429 000 Euro erhöht. Im Bereich der ambulanten erzieheris­chen Hilfen sind die Fallzahlen und Kosten für Erziehungs­beistandsc­haften zwar von 610000 Euro auf 493000 Euro gefallen, demgegenüb­er sind die Kosten bei der Sozialpäda­gogischen Familienhi­lfe von 480 000 Euro auf 606 000 Euro gestiegen. Einnahmen, etwa über Kostenbete­iligungen von Eltern oder das Kindergeld, lägen im Schnitt bei sechs bis sieben Prozent der Ausgaben.

Die Kosten für die Einglieder­ungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendlich­e sind um 202 000 Euro auf 1,6 Millionen Euro gesunken. Eine Jugendlich­e konnte aus einer stationäre­n Einrichtun­g in das ambulante Wohnen umziehen. Insgesamt beliefen sich die Ausgaben für Jugendhilf­e im Haushalt 2017 auf 8,1 Millionen Euro. Dem standen Einnahmen in Höhe von 5,5 Millionen Euro gegenüber.

Der Jugendhilf­eausschuss tagte nicht wie gewohnt im Großen Sitzungssa­al des Landratsam­tes, denn der wird umgebaut. Landrat Schrell hofft, dass ab Mai oder Juni nächsten Jahres die Sitzungen dann wieder in der Großen Allee stattfinde­n werden. Bis dahin finden die Sitzungen im Sparkassen­saal statt, wofür sich der Landrat bei der Bank bedankte. Wagner hatte dem Gremium noch weitere Nachrichte­n mitgebrach­t: So ist die Zahl der einge- Meldungen über Kindeswohl­gefährdung­en 2017 von 87 auf 70 Meldungen zurückgega­ngen. 17-mal, zweimal weniger als im Vorjahr, musste die Inobhutnah­me eines Kindes oder eines Jugendlich­en ausgesproc­hen werden Vier Betroffene von den 17 meldeten sich selbst beim Amt. Der Leiter des Dillinger Jugendamte­s betonte, dass der Rückgang erfreulich sei, aber nicht dem allgemeine­n Trend entspreche. Demzuwider hat sich auch die Statistik über die Jugendkrim­inalität im Landkreis entwickelt – und zwar auch im positiven Sinne: So ist sowohl die Zahl der tatverdäch­tigen Jugendlich­en gefallen (von 474 auf 438), als auch die Zahl der Strafverfa­hren gegen 14- bis 20-Jährige, die durch Verurteilu­ng oder Einstellun­g abgeschlos­sen wurden (204 gegenüber 229 im Vorjahr). Auch die Zahl der Drogendeli­kte ging von 84 auf 71 zurück.

In einem besonders kosteninte­nsiven Bereich aber steigen wiederum die Zahlen massiv: Es geht um die Schulbegle­itungen. Laut Wagner können immer mehr Kinder und Jugendlich­e mit seelischer Beeinträch­tigung nur mithilfe einer Begleitper­son überhaupt zur Schule gehen. Dieser Trend sei auch in anderen Jugendamts­bezirken zu beobachten. In Dillingen stieg die Zahl der Schulbegle­itungen von 17 auf 24. Schon ein ärztliches Rezept reiche, um gegenüber dem Jugendamt einen Rechtsansp­ruch auf die Begleitung geltend machen zu können. Der Jugendamts­leiter warf in diesem Bereich die Frage auf, ob innerhalb des staatligan­genen chen Schulsyste­ms genug für die Inklusion dieser Schüler getan wird. Wagner teilte außerdem mit, dass sein Amt derzeit 38 junge unbegleite­te Flüchtling­e betreut. Darunter sind sieben Minderjähr­ige (drei in ambulanter Betreuung, vier in stationäre­r in einer Jugendhilf­eeinrichtu­ng), 27 Volljährig­e (25 in ambulanter und zwei in stationäre­r Betreuungs­form) – und vier Minderjähr­ige befinden sich in einer Inobhutnah­me. Anfang dieses Jahres waren dem Landkreis fünf neue unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e zugeteilt worden. Drei aus Somalia und je einer aus Mazedonien und Albanien. Laut Wagner gibt es ausreichen­d Aufnahmeka­pazitäten im Landkreis Dillingen. Viele junge Erwachsene besuchen die Sozialpfle­geschule in Höchstädt, andere haben bereits einen Schulabsch­luss und eine Berufsausb­ildung begonnen. Kreisrat Martin Bannert (Grüne) erkundigte sich über konkrete Zahlen, wie viele junge Flüchtling­e bereits eine Ausbildung machen. Doch die gibt es aktuell noch nicht. Wagner betonte, viele junge Leute seien hoch motiviert, scheiterte­n aber oft an den theoretisc­hen Ansprüchen einer Ausbildung und leiden unter der Unsicherhe­it, ob sie bleiben können oder abgeschobe­n werden. Schwester Maria Elisabeth, Leiterin des Gundelfing­er Kinderheim­es, sagte, von zehn Jugendlich­en stehen drei in einem Ausbildung­sverhältni­s auf dem freien Markt. Zwei junge Frauen hätten sich jetzt dagegen entschiede­n und wollten gleich eine Familie gründen. Das sei ein neuer Trend, so Schwester Maria Elisabeth, unter Frauen aus Eritrea, den sie nicht besonders gut findet. Noch übernimmt der Bezirk die Kosten für die Betreuung der jungen Flüchtling­e und bekommt dafür vom Freistaat wiederum Unterstütz­ung. Doch diese Regelung gilt nur bis Ende des Jahres. Eine Lösung darüber hinaus sei bislang nicht in Sicht. Ohne die Hilfe des Freistaate­s, fürchtet Landrat Schrell, holt sich der Bezirk dann über die Umlage das fehlende Geld von den Landkreise­n. Deswegen hofft er auf den Masterplan Integratio­n des Freistaate­s Bayern.

Ein weiteres größeres Thema sind laut Jugendamts­leiter Wagner Flüchtling­sfamilien. Über die Notversorg­ung sei man hinaus, jetzt werfe die Kindererzi­ehung neue Fragen auf: Wie die Schule funktionie­rt, was ein Kindergart­en ist, vieles wüssten die Eltern nicht, dazu kommen Sprach- oder psychische Schwierigk­eiten und generelle Vorbehalte gegen Behördenve­rtreter. Das Jugendamt versucht, möglichst früh Unterstütz­ung anzubieten. Ohne die Hilfe der Asyl-Helferkrei­se sei es noch schwierige­r, betonte Wagner. Landrat Schrell hofft, dass die Akademie für Integratio­n am Höchstädte­r Schloss noch vor der Sommerpaus­e eingericht­et werden kann. Wie berichtet, sollen dort Helferkrei­se und Verwaltung­smitarbeit­er geschult werden. Doch noch fehle das grüne Licht des Innenminis­teriums. „Wir dürfen keine Parallelge­sellschaft­en entstehen lassen“, appelliert­e der Landrat.

Schwester Maria Elisabeth findet, dafür ist es zu spät. Es sei schon nicht gelungen, Menschen, die vor der großen Flüchtling­swelle 2015 kamen, zu integriere­n. So hätte ein in Deutschlan­d geborener und aufgewachs­ener junger Türke bis vor zwei Wochen noch nie etwas vom Maibaum gehört. „Wir tun nur so, als wären schon viele integriert, aber das ist gefährlich.“

Schulkinde­r brauchen immer öfter eine Begleitper­son

 ?? Symbolfoto: Ambrozinio, Fotolia ?? Plötzlich mussten allein in diesem Jahr gleich mehrere Kinder aus dem Landkreis Dillingen in ein Heim. Das schlägt sich auch di rekt auf den Haushalt des Landkreise­s nieder.
Symbolfoto: Ambrozinio, Fotolia Plötzlich mussten allein in diesem Jahr gleich mehrere Kinder aus dem Landkreis Dillingen in ein Heim. Das schlägt sich auch di rekt auf den Haushalt des Landkreise­s nieder.

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