Merkel und Putin wieder in direktem Kontakt
Die Beziehungskrise ist tief. Kann die Kanzlerin in Russland die Wende schaffen?
Moskau/Berlin Wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin am Freitag in Sotschi treffen, haben sie ein ganzes Knäuel von Problemen zu entwirren. Die deutsch-russischen Beziehungen sind so kompliziert, so gespannt wie lange nicht mehr. Gleiches gilt für das Verhältnis Russlands zur Europäischen Union und zum Westen allgemein. Dabei soll das Gespräch in Putins Residenz über dem subtropischen Bade- und Olympiaort am Schwarzen Meer nur anderthalb Stunden dauern. Für Druck, Fortschritte zu erzielen, sorgt ein abwesender Dritter: Donald Trump.
Denn der US-Präsident hat mit seiner „Amerika zuerst“-Strategie auch die europäischen Verbündeten verunsichert. Er setzt sie wirtschaftlich unter Druck und hat Zweifel am militärischen Schutzschirm der USA für Europa geweckt. Sorgt das für eine Annäherung an den schwierigen, aber durchaus berechenbaren Kreml-Chef? Eine eigenständige EU-Außenpolitik beweise sich in der Kooperation mit Russland und China – so sieht es zumindest Experte Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs.
Merkel, 63, und Putin, 65, kennen sich seit 2005. Ihr Verhältnis gilt als kühl. Doch international haben keine anderen Spitzenpolitiker schon so lange miteinander zu tun. Deshalb geht Berlin davon aus, dass der Abstecher nach Sotschi nicht so schwierig wird wie Merkels Besuch bei Trump, wo sie nach Worten von FDP-Fraktionschef Christian Lindner nur „drei Stunden bei Wasser und Brot“empfangen wurde.
Berlin ärgert sich zwar über russische Hacker-Angriffe und Desinformationskampagnen. Vor den Methoden der sogenannten hybriden Kriegsführung, „insbesondere Russlands“, hat Merkel am Mittwoch im Bundestag gewarnt. Doch es gibt auch Anknüpfungspunkte. Deutschland und Russland wollen anders als Trump am Atomabkommen mit dem Iran festhalten.
Am grundsätzlichen Konflikt zwischen Deutschland und Russland seit 2014 hat sich nichts geändert. Für die Bundesregierung bedeutet die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland einen Verstoß gegen die europäische Friedensordnung. Dazu kommt der Krieg in der Ostukraine, in dem sich hinter pro-russischen Separatisten die geballte russische Militärmacht verbirgt. Mehr als 10000 Menschen sind dort bislang getötet worden. Deutschland hält deswegen an den EU-Sanktionen gegen Russland fest.
Für Russland ist dagegen unverständlich, dass Deutschland mehr Rücksicht auf die Ukraine und die östlichen EU- und Nato-Partner nimmt als auf gute Beziehungen zu Moskau. Es betrachtet die Ukraine und andere frühere Sowjetrepubliken als seine Einfluss-Sphäre. Putin und seine Führung sehen sich von Nato und EU eingekreist.
Seit 2014 sind die Zeitläufe nur noch komplizierter geworden. Der Zustrom von Flüchtlingen 2015 erschütterte Europa. Der Krieg in Syrien eskalierte. Trump zog ins Weiße Haus ein. Nach dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal in Großbritannien haben die westlichen Länder und Russland gegenseitig dutzende Diplomaten ausgewiesen.
Trotzdem: Wenn Putin, der ExAgent mit Einsatzjahren in Dresden, auf ein Land als Bindeglied zum Westen setzt, dann ist es Deutschland. Moskau sei auf Merkel und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron angewiesen, um den Kontakt zur EU nicht zu
Deutschland wird als Bindeglied gesehen
verlieren, schrieb die Zeitung Kommersant. Macron wird kommende Woche beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg erwartet.
Merkel hat ihren Arbeitsbesuch durch Ministerreisen vorbereiten lassen. Erst flog Außenminister Heiko Maas (SPD) nach Moskau. Der bemühte sich, Kritikpunkte an der geplanten Gaspipeline „Nord Stream 2“von Russland durch die Ostsee nach Deutschland zu entkräften. Dann versuchte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), zwischen Moskau und Kiew pendelnd, zu erreichen, dass weiterhin ein Teil des russischen Erdgases durch ukrainische Leitungen fließt. Nach einem Treffen mit dem russischen Regierungschef Dmitri Medwedew zeigte er sich relativ optimistisch.
Problemlos laufen im deutschrussischen Verhältnis eigentlich nur der Kulturaustausch und die Städtepartnerschaften. Die deutsche Wirtschaft im Russland-Geschäft sieht sich dagegen in einer Zwickmühle, nachdem sich der Handel gerade von einer Delle erholt hatte. Den Firmen drohen Strafen der USA, wenn sie sich nicht an die Sanktionen gegen Moskau halten. Von russischer Seite drohen ihnen Strafen, wenn sie die US-Sanktionen erfüllen. Deshalb erhoffen sich die Unternehmen viel vom Kurzbesuch der Kanzlerin am Schwarzen Meer. Anne-Béatrice Clasmann
und Friedemann Kohler, dpa