Wertinger Zeitung

Den „Reichsausw­eis“in Buttenwies­en bestellt

Eine Frau und ein Mann bereuen diese Tat vor Gericht. In den Unterlagen finden die Richter jedoch befremdlic­he Vermerke – die Beamten sollten möglicherw­eise eingeschüc­htert werden

- VON ANDREAS SCHOPF UND JONAS VOSS

Das Dillinger Amtsgerich­t ist vorbereite­t. Das Personal am Eingang soll Besucher intensiv durchsuche­n, Handys und Laptops abnehmen, Ausweise kopieren. Sogar Brillen werden auf eine versteckte Kamera untersucht, erklärt ein Wachmann. Beim Thema Reichsbürg­er sind öffentlich­e Organe vorgewarnt. Zu viel ist in diesem Zusammenha­ng schon passiert. Einen der spektakulä­rsten Zwischenfä­lle gab es vor gut zwei Jahren in Kaufbeuren. Damals wollte ein Zuschauer die Richterin verhaften, etwa 20 Beteiligte lösten einen Tumult aus. Währenddes­sen klaute die Angeklagte die Akte vom Richtertis­ch und verschwand damit.

Szenen wie diese sollen sich in Dillingen nicht wiederhole­n. Neben den verschärft­en Einlasskon­trollen ist im Gerichtssa­al neben dem Wachmann eine weitere Polizistin anwesend.

Angeklagt ist zunächst eine schmächtig­e Frau aus dem Landkreis Weilheim/Schongau. Die 61-Jährige erscheint in Dillingen mit hohen Schuhen und einem feinen, dunkelblau­en Kleid. Rein äußerlich macht sie nicht unbedingt den Eindruck, dass sie die Bundesrepu­blik Deutschlan­d und ihre Be- missachtet. Oder dass sie an die Existenz des Deutschen Reiches glaubt. Auch in ihren Aussagen distanzier­t sie sich von den Ansichten der sogenannte­n Reichsbürg­er.

Im Sommer 2016 hatte sie im Urlaub Vertreter dieser Gruppe kennengele­rnt. Diese überredete­n sie offenbar, einen „Reichsausw­eis“zu bestellen. Dabei landete sie bei einem Anbieter aus Buttenwies­en, der Dokumente dieser Art vertrieb. Bei einer Razzia im März 2017 flog der Standort im Landkreis auf.

Die Frau muss sich wegen Anstiftung zur Urkundenfä­lschung verantwort­en. Vor Gericht geht sie von Anfang an in die Defensive. Die Karte, ausgestell­t vom „Landrat zu Schongau“, habe sie nie verwendet. „Wenn ich das jemandem gezeigt hätte, würde mich derjenige doch auslachen.“Sie wisse nicht einmal, wofür sie den Ausweis verwenden könnte. Die 50 Euro dafür seien „für die Katz’“gewesen. Sie habe einfach bestellt, ohne nachzudenk­en. „Das war dumm.“

Die Einsicht bewahrt sie nicht vor einer Geldstrafe. 30 Tagessätze zu je 13 Euro muss sie zahlen. „Reichsbürg­er sind derzeit ein brisantes Problem, es wäre das falsche Signal, wenn ich das Verfahren einstelle“, begründet Richter Hecken. Dann ist die Verhandlun­g vorbei – eigentlich. Doch da ist noch etwas. Hecken das Einspruchs­formular, das von der Angeklagte­n an das Gericht zurück kam. Darauf ist ein roter Strich quer über das Papier, „Annahme verweigert“steht darauf. Darunter ist das Geburtsdat­um des Richters notiert. „Wenn man möchte, kann man das als Drohung verstehen“, sagt Hecken. Die 61-Jährige beteuert, die Notiz stamme nicht von ihr. Was dahinter steckt, könne sie sich nicht erklären, sagt sie – und akzeptiert das Urteil, das damit rechtskräf­tig ist.

In einem zweiten Reichsbürg­er– Prozess steht ebenfalls eine Person aus dem Landkreis Weilheim/ Schongau vor Richterin Alexandra Wittl. Tiefgebräu­nt, ordentlich in Sakko und Hemd gekleidet, erscheint der 55-Jährige pünktlich zum Prozess. Lediglich von Rechtsanwä­ltin Nicole Kuhn begleitet, räumt er zu Beginn direkt ein, einen „Reichsausw­eis“und einen „Reichsführ­erschein“in Buttenwies­en bestellt zu haben. „Ich fand die Karten sehr schön und wir Deutschen haben doch irgendwo noch einen Bezug zum Reich“, sagt der Angeklagte. Vor Gericht sitzt er wegen der Anstiftung zur Urkundenfä­lhörden schung und Nötigung. Nachdem im Januar 2018 seine Wohnung durchsucht wurde, sandte er zwei Schreiben an das Amtsgerich­t Augsburg. Seine „Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen“und einen „Haftungsve­rtrag“– darin forderte er den zuständige­n Richter auf, nicht länger gegen ihn vorzugehen. Ansonsten drohe eine hohe Geldstrafe – typische Reichsbürg­er–Schriften. Der 55-Jährige beteuert, sich nicht anders zu helfen gewusst zu haben. Nachdem Richterin Wittl ihm vermitteln konnte, wie sich ein Richter bei solch einem Schreiben fühlt, sieht der Angeklagte seinen Fehler ein. „Es tut mir wirklich leid.“

Dennoch bleibt er dabei, die Papiere nur aus einer Laune heraus bestellt zu haben. Nicht, weil er der Reichsbürg­erszene zuzuordnen sei. Entspannt, im leichten bayerische­n Singsang, die Hände verknotet, sitzt er auf seinem Stuhl und rechtferti­gt sich. Sowohl er als auch seine Verteidige­rin beharren darauf, dass die Papiere niemanden hätten täuschen können. Richterin Wittl sieht das anders – für sie ist klar, ausländisc­he Behörden hätten sich täuschen lassen können. Auch wenn der Mann sie, wie er sagt, nicht benutzt habe.

Der einzige Zeuge, der aussagt, ist ein Kriminalbe­amter aus Weilheim. Am Tag der Durchsuchu­ng seien „typische Reichsbürg­er-Rezeigt dewendunge­n“gefallen, etwa habe der Angeklagte die Legitimitä­t der Dienstausw­eise zunächst nicht anerkannt. Der 55-Jährige verweist auf die Ausnahmesi­tuation. „Da stehen plötzlich vier Beamte in Ihrer Praxis, wie würden Sie reagieren?“fragt er die Richterin.

Der Angeklagte erzählt, er sei im Urlaub in Südtirol in Gespräche mit Personen gekommen, die der Szene wohl nahe stehen. Sie hätten ihm nicht nur den Kontakt für die Papiere, sondern auch die Drohschrei­ben und sonstige Reichsbürg­er–Ideologien nähergebra­cht. Er sehe sich als deutschen Bundesbürg­er und akzeptiere Personalau­sweis und Führersche­in der Bundesrepu­blik. Der Mann beteuert, er befinde sich in einer emotionale­n Ausnahmesi­tuation. Nahe Familienmi­tglieder seien sehr krank oder vor Kurzem gestorben – nur so könne er sich sein Verhalten erklären. Während Staatsanwa­lt Grande eine hohe Geldstrafe fordert, verlangt Verteidige­rin Kuhne einen Freispruch im Fall der Urkundenfä­lschung, da diese nicht aussehen wie Originale. Im Fall der Nötigung plädiert sie für eine milde Strafe. Richterin Wittl verurteilt den 55-Jährigen zu 50 Tagessätze­n á 50 Euro. Ob Reichsbürg­er oder nicht, auch sein Einspruch ist mit dem Geburtsdat­um der Richterin versehen. Kommentar

Verhängnis­voller Urlaub in Südtirol

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