Den „Reichsausweis“in Buttenwiesen bestellt
Eine Frau und ein Mann bereuen diese Tat vor Gericht. In den Unterlagen finden die Richter jedoch befremdliche Vermerke – die Beamten sollten möglicherweise eingeschüchtert werden
Das Dillinger Amtsgericht ist vorbereitet. Das Personal am Eingang soll Besucher intensiv durchsuchen, Handys und Laptops abnehmen, Ausweise kopieren. Sogar Brillen werden auf eine versteckte Kamera untersucht, erklärt ein Wachmann. Beim Thema Reichsbürger sind öffentliche Organe vorgewarnt. Zu viel ist in diesem Zusammenhang schon passiert. Einen der spektakulärsten Zwischenfälle gab es vor gut zwei Jahren in Kaufbeuren. Damals wollte ein Zuschauer die Richterin verhaften, etwa 20 Beteiligte lösten einen Tumult aus. Währenddessen klaute die Angeklagte die Akte vom Richtertisch und verschwand damit.
Szenen wie diese sollen sich in Dillingen nicht wiederholen. Neben den verschärften Einlasskontrollen ist im Gerichtssaal neben dem Wachmann eine weitere Polizistin anwesend.
Angeklagt ist zunächst eine schmächtige Frau aus dem Landkreis Weilheim/Schongau. Die 61-Jährige erscheint in Dillingen mit hohen Schuhen und einem feinen, dunkelblauen Kleid. Rein äußerlich macht sie nicht unbedingt den Eindruck, dass sie die Bundesrepublik Deutschland und ihre Be- missachtet. Oder dass sie an die Existenz des Deutschen Reiches glaubt. Auch in ihren Aussagen distanziert sie sich von den Ansichten der sogenannten Reichsbürger.
Im Sommer 2016 hatte sie im Urlaub Vertreter dieser Gruppe kennengelernt. Diese überredeten sie offenbar, einen „Reichsausweis“zu bestellen. Dabei landete sie bei einem Anbieter aus Buttenwiesen, der Dokumente dieser Art vertrieb. Bei einer Razzia im März 2017 flog der Standort im Landkreis auf.
Die Frau muss sich wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung verantworten. Vor Gericht geht sie von Anfang an in die Defensive. Die Karte, ausgestellt vom „Landrat zu Schongau“, habe sie nie verwendet. „Wenn ich das jemandem gezeigt hätte, würde mich derjenige doch auslachen.“Sie wisse nicht einmal, wofür sie den Ausweis verwenden könnte. Die 50 Euro dafür seien „für die Katz’“gewesen. Sie habe einfach bestellt, ohne nachzudenken. „Das war dumm.“
Die Einsicht bewahrt sie nicht vor einer Geldstrafe. 30 Tagessätze zu je 13 Euro muss sie zahlen. „Reichsbürger sind derzeit ein brisantes Problem, es wäre das falsche Signal, wenn ich das Verfahren einstelle“, begründet Richter Hecken. Dann ist die Verhandlung vorbei – eigentlich. Doch da ist noch etwas. Hecken das Einspruchsformular, das von der Angeklagten an das Gericht zurück kam. Darauf ist ein roter Strich quer über das Papier, „Annahme verweigert“steht darauf. Darunter ist das Geburtsdatum des Richters notiert. „Wenn man möchte, kann man das als Drohung verstehen“, sagt Hecken. Die 61-Jährige beteuert, die Notiz stamme nicht von ihr. Was dahinter steckt, könne sie sich nicht erklären, sagt sie – und akzeptiert das Urteil, das damit rechtskräftig ist.
In einem zweiten Reichsbürger– Prozess steht ebenfalls eine Person aus dem Landkreis Weilheim/ Schongau vor Richterin Alexandra Wittl. Tiefgebräunt, ordentlich in Sakko und Hemd gekleidet, erscheint der 55-Jährige pünktlich zum Prozess. Lediglich von Rechtsanwältin Nicole Kuhn begleitet, räumt er zu Beginn direkt ein, einen „Reichsausweis“und einen „Reichsführerschein“in Buttenwiesen bestellt zu haben. „Ich fand die Karten sehr schön und wir Deutschen haben doch irgendwo noch einen Bezug zum Reich“, sagt der Angeklagte. Vor Gericht sitzt er wegen der Anstiftung zur Urkundenfälhörden schung und Nötigung. Nachdem im Januar 2018 seine Wohnung durchsucht wurde, sandte er zwei Schreiben an das Amtsgericht Augsburg. Seine „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“und einen „Haftungsvertrag“– darin forderte er den zuständigen Richter auf, nicht länger gegen ihn vorzugehen. Ansonsten drohe eine hohe Geldstrafe – typische Reichsbürger–Schriften. Der 55-Jährige beteuert, sich nicht anders zu helfen gewusst zu haben. Nachdem Richterin Wittl ihm vermitteln konnte, wie sich ein Richter bei solch einem Schreiben fühlt, sieht der Angeklagte seinen Fehler ein. „Es tut mir wirklich leid.“
Dennoch bleibt er dabei, die Papiere nur aus einer Laune heraus bestellt zu haben. Nicht, weil er der Reichsbürgerszene zuzuordnen sei. Entspannt, im leichten bayerischen Singsang, die Hände verknotet, sitzt er auf seinem Stuhl und rechtfertigt sich. Sowohl er als auch seine Verteidigerin beharren darauf, dass die Papiere niemanden hätten täuschen können. Richterin Wittl sieht das anders – für sie ist klar, ausländische Behörden hätten sich täuschen lassen können. Auch wenn der Mann sie, wie er sagt, nicht benutzt habe.
Der einzige Zeuge, der aussagt, ist ein Kriminalbeamter aus Weilheim. Am Tag der Durchsuchung seien „typische Reichsbürger-Rezeigt dewendungen“gefallen, etwa habe der Angeklagte die Legitimität der Dienstausweise zunächst nicht anerkannt. Der 55-Jährige verweist auf die Ausnahmesituation. „Da stehen plötzlich vier Beamte in Ihrer Praxis, wie würden Sie reagieren?“fragt er die Richterin.
Der Angeklagte erzählt, er sei im Urlaub in Südtirol in Gespräche mit Personen gekommen, die der Szene wohl nahe stehen. Sie hätten ihm nicht nur den Kontakt für die Papiere, sondern auch die Drohschreiben und sonstige Reichsbürger–Ideologien nähergebracht. Er sehe sich als deutschen Bundesbürger und akzeptiere Personalausweis und Führerschein der Bundesrepublik. Der Mann beteuert, er befinde sich in einer emotionalen Ausnahmesituation. Nahe Familienmitglieder seien sehr krank oder vor Kurzem gestorben – nur so könne er sich sein Verhalten erklären. Während Staatsanwalt Grande eine hohe Geldstrafe fordert, verlangt Verteidigerin Kuhne einen Freispruch im Fall der Urkundenfälschung, da diese nicht aussehen wie Originale. Im Fall der Nötigung plädiert sie für eine milde Strafe. Richterin Wittl verurteilt den 55-Jährigen zu 50 Tagessätzen á 50 Euro. Ob Reichsbürger oder nicht, auch sein Einspruch ist mit dem Geburtsdatum der Richterin versehen. Kommentar
Verhängnisvoller Urlaub in Südtirol