Ritterkinder erobern die Spielburg
Mit 2500 Quadratmetern zählt der Spielplatz im Erasmusfeld zu den größten in Wertingen. Wer Abenteuer sucht, muss ihn aber erst entdecken, so versteckt liegt er
Ein lauter Jauchzer erklingt von weit oben: Der kleine Ben steht auf der gelben Rutsche und reißt vor Wonne seinen Mund auf. Traut er sich oder nicht? Die Freiheit ist so verlockend nah. Gut, dass Mamas Arme dem Eineinhalbjährigen die Sicherheit bieten, die er braucht – und schon saust er nach unten und verlangt sofort nach Wiederholung. Welche Freude die klassische Rutsche den Kleinsten immer noch bereitet, kann an diesem Sonntag beobachtet werden. Rutsche, Karussell und Schaukel zählen bis heute zu den Klassikern, die auf keinem der Spielplätze in Wertingen fehlen dürfen.
Im Erasmusfeld ist der Kinderspielplatz seit seiner Eröffnung Anfang der 1970er Jahre ein beliebter Anziehungspunkt. Im vergangenen Jahr hat die Stadt eine neue Burganlage auf Metallstelzen bauen lassen. Für die Spielburg Camelot machte die Stadt 25000 Euro locker. Bürgermeister Willy Lehmeier hatte zur Eröffnung gesagt, dass jetzt nicht nur er ein Schloss besitze, sondern die Kinder auch eine Burg. Und die hat viel zu bieten: Ecken zum Verstecken, Fenster zum Entdecken, ein Wackelsteg, eine Kletterwand samt Rutsche, Turm und Fallschutzplatten. Eltern hatten die Modernisierung des Platzes angestoßen, indem sie sich an Stadtrat Peter Hurler, selbst Vater von drei Kindern, wandten.
Andrea Hefele, Mutter von drei Kindern, erinnert sich zurück an die Zeit, als sie hier selbst einmal das Laufen und Klettern lernte. „In meiner Zeit gab es schon eine Holzburg“, erzählt die 39-Jährige. Der Spielplatz sei in aller Munde gewesen. „Hier war immer viel los, hier haben wir uns immer mit unseren Freunden getroffen.“Jetzt beobachtet sie mit ihrem Mann ihre drei tobenden Kinder. Der siebenjährige Hannes fliegt mit der Seilbahn über den Platz, wechselt sich mit anderen Kindern ab, die auf der Rampe anstehen und sehnsüchtig darauf warten, endlich an die Reihe zu kommen. Ungebrochen übt die 25 Meter lange Seilbahn im Erasmusfeld ihren Reiz aus. Derweil machen sich Moritz (4) und Jona (2) über die Ritterburg her. Sie sind nicht die einzigen Kinder, die das Bollwerk erobern wollen. Hannah (7) und Ronja (4) versuchen es an der Kletterwand. „Die neue Burg ist richtig schön“, schwärmt deren Mutter Lisa Wölfle. Die Familie ist extra aus Asbach um ein paar schöne Stunden im Schatten alter Bäume zu verbringen. Seit über vier Jahrzehnten zieht der Spielplatz auch Kinder aus dem weiteren Umkreis ins Erasmusfeld. Vor allem, weil es hier die einzige Seilbahn von allen 16 Spielplätzen gibt.
Bis Ende der 1960er Jahre waren Spielplätze für die Wertinger Stadträte kein Thema. Denn es mussten damals ganz andere Großprojekte gestemmt werden, wie Kanalisation, Krankenhaus, Schulen oder die Versiegelung der Straßen mit Teerdecken. Die finanzielle Lage war entsprechend angespannt. Stadtarchivar Dr. Johannes Mordstein musste lange in Protokollen suchen, bis er erste Hinweise auf einen Spielplatz fand. Das älteste Schriftstück stammt vom 28. Mai 1953. Damals wurde offenbar der erste Antrag für einen Kinderspielplatz behandelt – und gleich wieder zurückgestellt. Erst 14 Jahre später, im Frühjahr 1967, beschloss der Rat im Erasmusfeld einen Kinderspielangefahren, platz zu bauen. Stadtbaumeister Anton Fink kennt die Geschichte aus den Akten. Der Bauboom in der Nachkriegszeit hatte das Thema Spielplatz langsam ins Rollen gebracht. „In unserer Zeit gab es Heuböden, Bäche und den Wald. Dort bauten wir Höhlen, stauten Wasser und kletterten auf Bäume. Draußen war unser großer Spielplatz“, erinnert sich Fink an eine schöne Kindheit, die geprägt war von Freiheit und Abenteuerlust.
Bis Wertingen seine ersten öfstaubfreie fentlichen und umzäunten Spielplätze baute, musste noch viel Zeit ins Land gehen. Aber einmal entdeckt, wurden auch sie schnell zu magischen Anziehungspunkten. Der Kinderspielplatz im Erasmusfeld ist bis heute ein Ort für abenteuerlustige Ritterkinder geblieben. Von der Straße „Am Erasmusfeld“geht es nur wenige Meter über einen Fuß- und Fahrradweg zur Burg Camelot. Zwischen hohen Hecken versteckt sich der Eingang. Nur Mut!