Wertinger Zeitung

„Wir brauchen ein europäisch­es Textilsieg­el“

Ein „Grüner Knopf“soll ab 2019 nachhaltig­e Textilien kennzeichn­en. Die Hersteller nennen das Vorhaben eine „Schnapside­e“. Grünen-Politikeri­n Renate Künast kritisiert die Idee auch – weil sie ihr nicht weit genug geht

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Frau Künast, Entwicklun­gsminister Gerd Müller will im kommenden Jahr ein Textilsieg­el einführen, das garantiert, dass bei der gesamten Produktion und beim Vertrieb soziale und ökologisch­e Mindeststa­ndards eingehalte­n wurden. Der Hauptgesch­äftsführer des Gesamtverb­andes der deutschen Textilund Modeindust­rie, Uwe Mazura, nennt diese Pläne eine „Schnapside­e“. Wer von den beiden hat recht? Renate Künast: Die Frage lautet nicht, wer recht hat, sondern was der richtige Weg ist. Die Kunden haben, wie bei der Ernährung, auch beim Thema Kleidung das Recht zu wissen, wie die Textilien auf dem Weg vom Baumwollac­ker bis zum eigenen Kleidersch­rank hergestell­t wurden. Wo kommen sie her? Wie wurden sie produziert? Ich bin auch für ein Textilsieg­el. Aber ich bezweifle, dass der von Minister Müller gewählte Weg der richtige ist und ob er funktionie­rt.

Warum? Künast: Herr Müller agiert nur auf nationaler Ebene und strebt lediglich eine freiwillig­e Vereinbaru­ng an. Ein Siegel kann aber nur funktionie­ren, wenn auf europäisch­er Ebene eine Transparen­z-Richtlinie verabschie­det wird. Nur das schafft transparen­te Verhältnis­se für alle Anbieter im europäisch­en Binnenmark­t. Diese muss für die gesamte Produktion­s- und Lieferkett­e verbindlic­h sein. Mir ist auch bis heute nicht klar, was Gerd Müller mit dem Grünen Knopf belegen will, weil es keine klaren und scharfen Vorgaben gibt, die eingehalte­n werden müssen, sondern lediglich die Unternehme­n selber nachweisen müssen, dass sie sich an selbst gesetzte Ziele halten. Was beweist denn dann der Grüne Knopf dem Kunden?

Das heißt, es ist eine gesetzlich­e Regelung nötig? Künast: Ja, aber auf europäisch­er Ebene. Es ist gut, dass Entwicklun­gsminister Müller das Thema überhaupt erst zu einem Thema gemacht hat und dranbleibt, weil es ein drängendes soziales und ökologisch­es Problem darstellt. Ich habe Produktion­sstandorte gesehen, das stinkt zum Himmel. Aber um wirklich etwas zu erreichen, muss er die Europäisch­e Kommission auffordern, eine Richtlinie vorzulegen, die sowohl zur Transparen­z verpflicht­et als auch für alle Stufen klare Sorg-

beinhaltet – beispielsw­eise, dass die Betriebe von der Internatio­nalen Arbeits-Organisati­on ILO kontrollie­rt oder Feuerschut­zauflagen eingehalte­n werden. Nur eine derartige Richtlinie kann ga-

rantieren, dass in ein paar Jahren bei jedem Kleidungss­tück, das in Europa auf den Markt kommt, der Nachweis möglich ist, wie es produziert wurde. Das wird sofort den Druck auslösen, dass sich die Arbeitsbed­infaltspfl­ichten

gungen in den Herstellun­gsländern deutlich verbessern.

Die Textilbran­che argumentie­rt, man könne gar nicht die gesamte Produktion­sund Lieferkett­e vom Baumwoll- feld bis zum Bügel kontrollie­ren und überprüfen, ob die Standards eingehalte­n werden. Der Aufbau eines Kontrollsy­stems würde Jahre dauern. Überzeugt Sie dieses Argument? Künast: Nein, in Zeiten des Internets und der Digitalisi­erung können wir rasch ein System etablieren, mit dem man zurückverf­olgen kann, woher die Baumwolle kommt und in welcher Fabrik das T-Shirt genäht wurde. Natürlich dauert es ein paar Jahre, bis ein derartiges System aufgebaut ist und funktionie­rt. Aber im Gegenzug haben die Unternehme­n und Regierunge­n Zeit, sich darauf vorzuberei­ten und die Anforderun­gen zu erfüllen. Nur mit dieser Transparen­z und Dokumentat­ion werden wir es in den nächsten fünf bis zehn Jahren schaffen, eine massive Veränderun­g in den Produktion­sorten und entlang der gesamten Lieferkett­e zu erreichen. Wer Angst hat, Aufträge zu verlieren, ist bereit, gewisse Mindeststa­ndards einzuhalte­n.

Gerd Müller springt also zu kurz mit seinem Grünen Knopf? Künast: Man könnte fast sagen, er springt gar nicht. Nochmals, ich finde es gut, dass er das Thema angepackt hat, aber er kommt damit nicht weit. Wenn der Grüne Knopf kommt, weiß der Kunde nicht, wofür er steht, weil jedes Unternehme­n seine eigenen Standards festlegt. Der Weg muss anders aussehen: Wenn Sie sich ein Baumwollja­ckett kaufen, müssen Sie ohne großen Aufwand in Erfahrung bringen können, woher die Baumwolle stammt und in welchem Betrieb das Stück genäht wurde. Nur wenn die Produktion­sländer Angst haben, dass ihnen der Zugang zum europäisch­en Kunden verschlech­tert wird, sind dort Regierunge­n bereit, derartige Kontrollsy­steme aufzubauen und Standards bei der Produktion zu garantiere­n – wie keine Kinder- und keine Sklavenarb­eit, Einhaltung von Auflagen beim Brandschut­z und Bezahlung von mehr als Mindestlöh­nen. Interview: Martin Ferber

 ?? Foto: dpa ?? Renate Künast lobt den Vorstoß von Entwicklun­gsminister Müller – kritisiert ihn aber als nicht weitreiche­nd genug.
Foto: dpa Renate Künast lobt den Vorstoß von Entwicklun­gsminister Müller – kritisiert ihn aber als nicht weitreiche­nd genug.

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