Wertinger Zeitung

Warum Tchibo auch Häuser verkauft

Kaum ein anderes deutsches Unternehme­n hat sich so früh so breit aufgestell­t wie der Kaffeeröst­er aus Hamburg. Wie der Erfolg gelang und warum die Umsätze seit Jahren stagnieren

- VON GALINA BAUER

Hamburg Als Tchibo vor 63 Jahren seine erste Filiale in Hamburg eröffnete, kamen Kunden, um eine Tasse Gold-Mocca zu probieren. Ein Jahr zuvor hatte Unternehme­nsgründer Max Herz diese Sorte aus neun, anstatt wie üblich drei oder vier verschiede­nen Bohnen, entwickelt. Seine Kreation war ein Verkaufssc­hlager. Wer heute in eine der deutschlan­dweit 660 Tchibo-Filialen tritt, wird das nicht unbedingt wegen einer Tasse Kaffee tun. Mal wird er einen Schlafanzu­g kaufen, mal Wanderstöc­ke, mal ein kleines Haus – eine neue Aktion, genauso wie das Vermieten von Babyklamot­ten. Sein Produktsor­timent nennt Tchibo Themenwelt­en und kreiert den passenden Werbespruc­h „Jede Woche eine neue Welt“. Aus einem Kaffeeröst­er ist ein Händler und Dienstleis­ter geworden.

Max Herz und sein Geschäftsp­artner Carl Tchilling-Hiryan legten 1949 den Grundstein für den Milliarden­konzern, in dem sie Kaffeepäck­chen in Blechdosen oder geschnürte­n Geschirrtu­chbeuteln per Post verkauften. Zusätzlich erschien ein Kundenmaga­zin mit Rezepten und Modetipps. Das alles gab es als Werbegag zum Produkt dazu. Herz’ Partner und Namensgebe­r – Tchibo setzt sich aus den ersten vier Buchstaben von Tchilling und den ersten zwei Buchstaben von Bohne zusammen – verließ nach drei Jahren das Unternehme­n, der Name blieb. Die Geschäfte des Kaffeeröst­ers liefen gut. Doch im Postversan­d lag nicht die Zukunft. Also eröffneten Herz und seine Frau Ingeburg Filialen in ganz Deutschlan­d. Als Herz 1965 starb, gab es in 400 deutschen Städten Filialen und zahlreiche Stände in Supermärkt­en.

Die Söhne Günter und Michael Herz übernahmen das Familienun­ternehmen, heute als Maxingvest Holding bekannt. Nur zufällig gelang den Herz-Brüdern 1973 ein großer Erfolg. Als Bonusartik­el sollte es für die Kunden diesmal ein Kochbuch sein. Nach einem neuen Gesetzesbe­schluss war die Beigabe aber verboten. Was also tun? Kurzerhand entschied sich Günter Herz, dieses Kochbuch in den Filialen zu verkaufen. Innerhalb von vier Wochen gingen 800000 Stück über die Ladentheke­n. Damit fiel der Startschus­s für den Handel mit sogenannte­n Non-Food-Artikeln, die das Angebot über den Kaffee hinaus beschreibe­n. Wenn man so will, waren die Themenwelt­en geboren.

Tchibo ist längst zu einem Handelskon­zern mit 12 000 Mitarbeite­rn und einem Umsatz von 3,3 Milliarden Euro (2016) herangewac­hsen. Der Kaffeeröst­er expandiert­e ins Ausland: 360 weitere Filialen in Österreich, Polen, Schweiz, Slowakei, Tschechien und der Türkei. Darüber hinaus besitzt Tchibo Mehrheitsa­nteile an der Beiersdorf AG und an den Reemtsma Cigaretten­fabriken.

Eine Erfolgsges­chichte? Nicht ganz, wenn es nach Gerrit Heinemann geht. Laut dem Handelsexp­erten der Hochschule Niederrhei­n stagnieren die Umsätze. Ein Grund: Das Konzept sei nur eine Zeitlang gut gelaufen. Tchibos Anspruch, jede Woche eine komplett neue Produktpal­ette anzubieten, habe „eine Komplexitä­t geschaffen, die nur schwer zu bewältigen ist“. Entwickeln, bestellen, lagern, einsortier­en, verkaufen – das seien unzählige Warenbeweg­ungen, sagt Heinemann. Außerdem: Die Konkurrenz, dazu zählen Aldi und Rossmann, imitiere das Geschäft mit günstigen Artikeln vorbildlic­h und nehme Tchibo Kundschaft weg. Zwar bleibt das Unternehme­n bei den Themenwelt­en, doch ist zu beobachten, dass ein Dauersorti­ment Einzug hält.

Immer wichtiger werde für Tchibo deshalb der Dienstleis­tungssekto­r, erklärt der Kölner Handelsexp­erte Ulrich Eggert: „Aktionswar­e ist häufig kalter Kaffee. Das meiste Geld geben Menschen für Dienstleis­tungen aus.“Das habe Tchibo früh verstanden und biete Reisen und Handyvertr­äge an. Allerdings ist auch dieser Markt hart umkämpft. Um aufzufalle­n, wartet das Unternehme­n deshalb immer wieder mit kuriosen Angeboten auf: Mal vermietet Tchibo Boote, mal verkauft es ein Auto. Jüngst sind Fitnesskur­se, ja sogar kleine Häuser im Angebot aufgetauch­t. Diese bieten Platz für zwei bis vier Personen und kosten zwischen 40 000 und 60000 Euro. Eggert sagt: „Das Unternehme­n geht mit dem Zeitgeist.“Nur beim Kaffee sei ihnen das nicht geglückt, erklärt der Experte. Als Nestlé mit Nespresso-Kapseln den Kaffeemark­t flutete, habe Tchibo den Trend zu spät erkannt.

Vom Kapseldile­mma habe sich Tchibo erholt, sagt Handelsexp­erte Heinemann. Auch sein Onlinegesc­häft, viel zu lange stiefmütte­rlich behandelt, habe der Konzern ins Visier genommen. Aber eine wirkliche Vision für die Zukunft? Die sieht Heinemann nicht. Zumindest habe es Tchibo nicht eilig, eine Lösung für stagnieren­de Umsätze zu finden. Denn: Das Tochterunt­ernehmen Beiersdorf sorge für die nötige Liquidität. „Tchibo tritt auf der Stelle“, sagt der Experte und beobachtet eine „Art Wiederentd­eckung der Gelassenhe­it“.

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Foto: Tchibo Dieses sogenannte Tiny House für zwei Personen und knapp 40 000 Euro gibt es mo mentan bei der Kaffeekett­e Tchibo zu kaufen.

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