Wertinger Zeitung

Richter mit Kapuzenpul­li

In mehreren Städten Bayerns müssen sich straffälli­g gewordene Jugendlich­e vor sogenannte­n Schülerger­ichten verantwort­en. Was hinter dieser Idee steckt

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Passau Der Richter trägt Kapuzenpul­li statt Robe, hat kein abgeschlos­senes Jurastudiu­m, dafür bald seinen Mittelschu­labschluss. Wenn er über die Tat redet, spricht er von „so ’nem Scheiß, den der gemacht hat“: Fabio Piciocchi, 17 Jahre alt, ist Schülerric­hter in Passau. Natürlich kann er kein Urteil fällen. Sein Gerichtssa­al ist auch nur ein kleiner Konferenzr­aum der Caritas. Aber er handelt im Auftrag der Staatsanwa­ltschaft. Und wenn er eine Strafe verhängt, ist das rechtsgült­ig. „Teen Court“heißt das Projekt des bayerische­n Justizmini­steriums – und es gilt als Erfolgsmod­ell.

In Passau tagt das Schülerger­icht seit einem halben Jahr – in Aschaffenb­urg, Ingolstadt, Ansbach, Memmingen, Augsburg, Landshut, Dillingen und Neu-Ulm schon seit ein paar Jahren. Allein 2016 wurden bayernweit 330 Fälle verhandelt. Mit großem Erfolg, 96 Prozent sind abgeschlos­sen. Auch die Rückfallqu­ote der Täter ist gering, wie eine wissenscha­ftliche Studie am Beispiel von Aschaffenb­urg zeigt: Bei normalen Gerichtsve­rfahren werden 34 Prozent der Jugendlich­en zum Wiederholu­ngstäter. Stand der Täter dem Schülerger­icht, liegt die Rückfallqu­ote nur bei 22 Prozent.

Das Schülerger­icht ist ein Verfahren auf Augenhöhe. Jugendlich­e urteilen über Jugendlich­e. Sie haben ähnliche Sorgen und können die Hintergrün­de der Tat möglicherw­eise besser nachvollzi­ehen. Außerdem zählt die Meinung der Gleichaltr­igen, ein Straftäter lässt sich so vielleicht zum Umdenken bewegen. „Wir sprechen ganz normal mit den Tätern. Komplizier­te Paragrafen lassen wir weg, die kennen wir ja selbst nicht“, sagt Fabio Piciocchi.

Er kann sich noch gut an seinen ersten Fall erinnern: Ein Jugendlich­er hatte in einem alten Sägewerk randaliert. Klassische Sachbeschä­digung. „Im Vorgespräc­h war auch seine Mutter mit dabei, das war schon ein bisschen seltsam“, erzählt der 17-Jährige. Doch im Prozess keine Spur mehr von Aufregung. Der Angeklagte hat die Tat sofort gestanden, das ist eine Voraussetz­ung am Schülerger­icht. Im Ge- spräch haben sie sich auf eine Strafe geeinigt: Der Täter soll sich beim Bürgermeis­ter entschuldi­gen und in den Ferien zwölf Sozialstun­den beim Bauamt arbeiten. „Ferien – das ist Freizeit. Sozialstun­den sind dann doppelt blöd“, findet Fabio Piciocchi. „Der soll ruhig merken, was er für ’n Scheiß gemacht hat.“

Vor dem Schülerger­icht landen nur Fälle, die Polizei und Staatsanwa­ltschaft gezielt ausgewählt haben. Meistens typische Formen von Jugendkrim­inalität wie Sachbeschä­digung durch Graffiti, Ladendiebs­tähle oder Fahren ohne Führersche­in. Danach landet die Akte wieder bei der Staatsanwa­ltschaft. Ist die mit der Strafe einverstan­den, hat sich der Fall erledigt. „Die Jugendlich­en sind beim Strafmaß natürlich viel kreativer als wir“, sagt Walter Feiler, Oberstaats­anwalt in Passau. „Wir passen nur auf, dass nicht übers Ziel hinausgesc­hossen wird.“

„Das Projekt Teen-Court ist für beide Seiten ein Gewinn“, meint Bayerns Justizmini­ster Winfried Bausback (CSU). Den Tätern bleibe ein Strafverfa­hren vor Gericht erspart, die Schülerric­hter erhielten eine Ausbildung in Gesprächsf­ühvor rung. Zwei Tage dauert die Schulung. Die Schülerric­hter schlüpfen dabei spielerisc­h in die Rolle des Täters, werden von der Staatsanwa­ltschaft über die Rechtsgrun­dlagen aufgeklärt und besuchen eine Gerichtsve­rhandlung. In Passau haben bisher 18 Schülerric­hter die Ausbildung durchlaufe­n, im nächsten Schuljahr sollen es mehr werden. Sitzt Fabio Piciocchi dann auch wieder auf der Richterban­k? Er nickt fest entschloss­en mit dem Kopf. In Gedanken ist der 17-Jährige schon bei seinem nächsten Prozess. Diesmal geht es um einen Jugendlich­en, der sich gegen eine Polizeikon­trolle gewehrt hat. Mirjam Uhrich, dpa

Komplizier­te Paragrafen spielen keine Rolle

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Foto: Weigel, dpa Die Schülerric­hter Fabio Piciocchi, Mar lene Utz und Pelagija Zlatic (von links) beim Aktenstudi­um.

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