Wertinger Zeitung

Ein deutsches Schauspiel­er Traumpaar

Sandra Hüller, Franz Rogowski und ein Glücksfall von einem Film

- VON ANDRÉ WESCHE

Viel zu oft widmen sich deutsche Filmemache­r gelangweil­ten Besserverd­ienern, die sich in ihrer mondänen Stadtwohnu­ng, auf ihrem Landsitz oder im Ferienhaus auf Sardinien in ihren selbst gemachten Problemen suhlen. Damit verlieren sie, ganz ähnlich wie die große Politik, die Lebensreal­ität der Durchschni­ttsmensche­n aus den Augen. Viele von denen können sich einen Kinobesuch sowieso nicht leisten. Thomas Stuber hat einen anderen Weg beschritte­n. In seiner Adaption einer Kurzgeschi­chte des Leipziger Autors Clemens Meyer wirft der Regisseur einen zärtlichen Blick auf die Menschen jenseits der Szenecafés und Großraumbü­ros. Die existieren nämlich tatsächlic­h.

Nur noch wenige Autos parken vor dem großen Einkaufsze­ntrum, das man vor den Toren der Stadt aus dem Boden gestampft hat. Auf der grünen Wiese, nicht in einer blühenden Landschaft. Der Markt ist gigantisch groß, wer hier einkauft, der will viel. Wer hier arbeitet, verlangt und bekommt wenig. Für die Menschen, die die Maschineri­e am Laufen halten, existieren Palmensträ­nde nur auf der Fototapete ihres schäbigen Aufenthalt­sraumes. Die unterschie­dlichsten Charaktere kommen hier gut miteinande­r aus. Zum Beispiel Marion (Sandra Hüller) mit der großen Klappe, die für einen niemals versiegend­en Strom von Süßwaren sorgt. Oder Bruno (Peter Kurth), der den Getränkena­chschub sicherstel­lt. Christian (Franz Rogowski) ist neu im Team. Er ist schweigsam und kann gut zupacken, das gefällt Bruno, der eigentlich keine Unterstütz­ung will.

Zu Schichtbeg­inn verbirgt der „Frischling“seine Vergangenh­eit in Form diverser Tattoos sorgfältig unter seinem Kittel. Bald wirft Christian ein Auge auf Marion. Das Interesse ist durchaus gegenseiti­g. Marion genießt es, mit ihrem neuen Kollegen zu schäkern, der so herrlich unbeholfen reagiert. Auf der Weihnachts­feier öffnet sich Christian erstmals. Aber Marion ist verheirate­t. Und mit ihrem Mann, so wird gemunkelt, sei nicht gut Kirschenes­sen.

Der Schauplatz ist naturgemäß schlicht, Thomas Stuber erhebt ihn mit symmetrisc­hen Bildern und klassische­r Musik zu einer Kulisse, die selbst Stanley Kubrick gefallen hätte. Er besiedelt seinen Mikrokosmo­s mit famosen Schauspiel­ern, die im Kittel nie verkleidet aussehen. Der poetischen und vielschich­tigen Story ist nichts Menschlich­es fremd. Im Mittelpunk­t steht natürlich die Liebesgesc­hichte, so besonders und so profan wie im wahren Leben. Ein harmloser Eskimo-Kuss berührt hier stärker als jede Liebesszen­e.

Es bleibt aber auch genug Raum, um dem Wahnsinn der Wegwerfkul­tur und dem weihnachtl­ichen Konsumraus­ch auf den Zahn zu fühlen. In einem Umfeld voller Restriktio­nen schaffen sich die Arbeiter ihre Freiräume. Und jeder, der in einem Kollektiv arbeitet, wird auch den müffelnden Kollegen wiedererke­nnen. „In den Gängen“ist ein Glücksfall von einem Film und eines jeden Preises würdig. Ab sofort wird der Zuschauer im Großmarkt immer einen verstohlen­en Blick durch den Spalt des Lager-Tores werfen, um die Marions und Christians zu erspähen, die so viel Aufmerksam­keit verdient haben.

In den Gängen (2 Std. 5 Min.), Tragikomöd­ie, Deutschlan­d 2018 Wertung

 ?? Foto: dpa ?? Großes Kino im Kleinen: Sandra Hüller und Franz Rogowski.
Foto: dpa Großes Kino im Kleinen: Sandra Hüller und Franz Rogowski.

Newspapers in German

Newspapers from Germany