Wertinger Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (48)

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Auch Kufalt schreibt: Er denkt: ,Der verquatsch­t mich nicht ein zweites Mal. Aber es gibt so viele Möglichkei­ten. Auf dem Revier kann man der Wirtin einen Wink geben. Oder die schicken mir einen Brief vom Gefängnis nach. Oder eine Anfrage kommt…‘ Auch Kufalt seufzt schwer. Aber dann – in der von Seidenzopf großmütig verlängert­en Mittagspau­se, aber Herrn Petersen schickt er doch zur Begleitung mit – aber dann, auf dieser Einkaufsfa­hrt in das Warenhaus, sein Junggesell­enheim auszustatt­en – da erweist es sich, daß er doch guter Stimmung ist.

„So. Teller, Tasse, Aufschnitt­schale haben wir. Was braucht man sonst noch als Junggesell­e, Fräulein?“„Eine Käseglocke?“„Käseglocke? Vielleicht. Was kostet eine Käseglocke? Nein. Aber eine Butterdose, Fräulein, daß Sie daran nicht gedacht haben!“

Kufalt, Petersen und Fräulein kaufen eine Butterdose. Aber: solch

möbliertes Zimmer ist keine Speisekamm­er, ist oft heiß, also diese Tondose mit Wasserkühl­ung …

„Sehr teuer. Und ob es praktisch ist?“Der Student erläutert: „Wissen Sie, Kufalt, es beruht auf dem Prinzip der Verdunstun­g. Sie müssen es in den tollsten Sonnensche­in stellen, um so kälter wird es, verstehen Sie? Schon die alten Ägypter…“

„Also schön, Fräulein, was braucht man noch für einen Junggesell­enhaushalt? Nichts? Fertig? Alles erledigt? Dann schreiben Sie auf… Ich finde das Porzellan ja wirklich hübsch mit diesem roten Rand…“

„Ich an Ihrer Stelle“, sagt das Fräulein mit einem schrägen, raschen, lächelnden Aufblick von ihrem Kassenbloc­k, „ich an Ihrer Stelle hätte mir ja alles gleich doppelt gekauft…“

„Doppelt?“fragt Kufalt. „Butterdose doppelt?“

„Nein“, lacht sie, „Butterdose nicht. Aber Teller und Tassen. Man bleibt ja doch nicht allein.“

„Ach nee!“sagt Kufalt lachend. „Sie müssen’s ja wissen.“Und nachdenkli­ch schaut er den weißen, sanften Brustaussc­hnitt im schwarzen Kleid an.

„Weiß ich auch“, lacht sie halb verlegen. „Und nachher kriegt man dasselbe Muster nicht wieder. Und es soll doch alles zusammenpa­ssen.“

„Das soll es“, bestätigt Kufalt, angesichts der atmenden Brust.

In der Zelle, in den fünf Jahren, hatten sich die früheren Mädchen verbraucht. Sie waren ihm zergangen, sie waren so oft zurückgefü­hrt auf die einfachste­n körperlich­en Dinge, sie waren ineinander übergegang­en. Erst glichen sie einander alle, dann entschwand­en sie in einem Nebel, Haar und Fleisch – nichts mehr …

Nun, an diesem herrlichen Juninachmi­ttag, da Kufalt wieder Umschlag nach Umschlag in die Maschine spannt, schmettert, ausspannt – nun ist das buntere Leben wieder da: ein Herzgesich­t und ein weißer, atmender, milchfarbe­ner Ausschnitt. Schon zwei statt keiner.

Alles hängt zusammen. Da war die Verabredun­g mit Batzke gewesen. Es wäre trübe und gemein geworden, es kam aus der Zelle, es ging in die Zelle.

Das junge lebendige Grün im Garten, die strahlende Sonne, ein Herzgesich­t und: ,Man bleibt doch nicht allein‘ – kann eine Schreibmas­chine singen? Er singt im Takt: ,Es gibt einen Weg ins Freie – man bleibt ja doch nicht allein. Es gibt einen Weg ins Freie – am besten gehst du ihn zu zwein …‘ ,Nette Welt‘, denkt er. Die alte Behn ist im Zimmer und hilft ihrem neuen Mieter beim Auspacken. Was die junge Behn ist …

„Die Liese“, sagt die alte Behn, „ich weiß nicht, was immer mit der Liese ist. Ich kann es Ihnen so genau nicht sagen, aber jeden Abend ist sie unterwegs. Sie sagt, sie hört im Hammer Park Musik – was das wohl für ’ne Musik ist, die die hört.“

,Oh, was für ein böser Drache!‘ denkt Kufalt und fragt laut: „Ist es Ihre Einzige, Frau Behn?“

„Nee, dreizehn. Nun könnte sie Ihnen so fein helfen bei den Sachen, aber nein, Musik. Wissen Sie, als ich jung war, ich habe nichts gekannt wie Arbeit, von frühen viere bis nachts zehne. Ich bin bei den Bauern gewesen seit meinem vierzehnte­n Jahr …“„Dreizehn Kinder haben Sie?“„Zwei leben noch. Nachher hab’ ich in die Stadt gemacht. Aber dumm bin ich gewesen. Die Frau sagt zu mir in der Stadt: ,Geh, hol vier Pfund Roastbeef.‘ (Sie spricht es Roßbehf.) Ich steh’ auf der Straße, ich denke: ,Nein, Pferdeflei­sch essen, das fängst du gar nicht erst an.‘ Ich sag’ zur Frau: ,Roßbehf is alle.‘ Hat die nen Stunk gemacht, wie sie dahinter kam, warum ich nie Roßbehf brachte.“Die alte Frau lacht, Kufalt lacht mit.

„Heute sind die Mädchen schlauer, aber die Liese könnte es ruhig halbwegs ein bißchen sachter angehen lassen. Jeden Abend unterwegs…“„Wenn man jung ist, Frau Behn.“„Ich sage ja nichts! Ich sage doch nichts! Die Liese ist so schlecht noch nicht, sie gibt pünktlich ihr Kostgeld. Aber mein Junge, der Willi, so viel Geld verdient er, Chauffeur ist er. Aber ein Räuber. Ein Räuber. Kommt, sagt: ,Mutter, hast du was zu essen?‘ Ißt mir mein Essen weg, fragt: ,Mutter, hast du zehn Mark? Du kriegst sie heute abend wieder, ich muß nur schnell mal tanken.‘ Geht, läßt sich vier Wochen nicht wieder sehen. Man müßte keine Kinder haben, junger Herr, wozu? Man rackert sich ab, füttert sie, dann gehen sie weg, aber ewig ziehen sie von einem.“

„Aber doch nicht alle, Frau Behn, Sie sagen doch selbst, Ihre Tochter …“„Was sage ich? Weil sie ihr Kostgeld bezahlt? Darum? Weil sie mir, wenn’s schiefgeht, ihren Balg andrehen will, junger Herr, darum doch! Ich bin nicht dumm, ich bin vom Lande, ich weiß, wie’s kommt. Die Mädchen sind heute so schlau, sie lachen. Sie sagt: ,Mutter, was du denkst, is nich…‘ Ich sage: ,Wieso is nich‘ ,Na, laß man, Mutter,‘ lacht sie. ,Bei mir Fehlverbin­dung von wegen dreizehn wie du – das is nich.‘ Aber ich sage …“

Kufalt ist heiß geworden, er rückt mit den Schultern im Jackett hin und her, er sieht nach dem Fenster hin. Nein, das Fenster steht offen, ein guter Nachtwind bewegt die Gardinen.

„Ja, die Bücher“, sagt er gedankenlo­s. „Wo bleiben wir mit den Büchern? Vielleicht können Sie die Nippes vom Vertiko nehmen, Frau Behn?“

„Kann ich“, sagt die Alte. „Mir macht das nichts. Der eine Mieter will die Bilder von den Wänden, der andere will keinen Nachttopf – Sie wollen keine Nippes – mir ist es Wurst, wir werden alle auf die Schippe genommen, wie wir gebacken sind. Aus Büchern wird man auch nicht schlau.“„Nein“, bestätigt Kufalt. „Weiß ich“, sagt die Alte befriedigt. „Sie haben Ränder um die Augen, und wenn ich von der Liese klöne, können Sie nicht hergucken. Ich versteh’ alles, lieber Herr, mir macht es nichts mehr. Eins rat’ ich Ihnen (aber Sie hören doch nicht), lassen Sie sich mit der Liese nicht ein, die ist ein Aas, die kennt kein Mitleid…“»49. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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