Wertinger Zeitung

Gedenken in Solingen fällt buchstäbli­ch ins Wasser

Ein Wolkenbruc­h beendet vorzeitig das Erinnern an die fünf Opfer des fremdenfei­ndlichen Anschlags

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Solingen Sie sind groß geworden, die fünf Kastanien an der Unteren Wernerstra­ße in Solingen. Fast ein Vierteljah­rhundert hatten sie Zeit zum Wachsen – als lebendes Mahnmal für fünf tote Mädchen und Frauen. An der Unteren Wernerstra­ße stand einst das Fachwerkha­us der türkischen Familie Genc – bis zu jenem 29. Mai 1993, der als Tag des Brandansch­lags von Solingen in die Geschichte einging.

Am 25. Jahrestag des rassistisc­hen Anschlags ist es zunächst ruhig auf der Straße, an der die Gencs früher wohnten. Auf dem Bürgerstei­g liegen am Dienstag einige Kränze neben dem kleinen Denkmal, das dort errichtet wurde. Das Haus wurde damals nach dem Attentat abgerissen – und für die fünf Toten des verheerend­en Anschlags wurden die fünf Kastanienb­äume gepflanzt. Sie erinnern an die damals 26 Jahre alte Gürsün Ince, die 18-jährige Hatice Genc, die zwölfjähri­ge Gülüstan Öztürk, die neun Jahre alte Hülya Genc und die vierjährig­e Saime Genc.

„Damals war ich noch Jugendlich­er“, sagt der türkischst­ämmige Taxifahrer, der in Solingen geboren ist und sich ziemlich genau an die Tage nach dem Anschlag erinnert. „Seinerzeit kamen Demonstran­ten aus ganz Deutschlan­d, und dauernd gab es Prügeleien“, sagt er, während er seinen Wagen vom Tatort zum nicht weit entfernten großen Mahnmal für die Anschlagso­pfer steuert.

Am Dienstag soll dieses Mahnmal Schauplatz der zentralen Gedenkvera­nstaltung in der Stadt sein, bei der Reden des türkischen Außenminis­ters Mevlüt Cavusoglu und seines deutschen Kollegen Heiko Maas (SPD) geplant sind. Doch ein schweres Gewitter mit Starkregen macht den Veranstalt­ern einen Strich durch die Rechnung. Die Veranstalt­ung wird kurz nach ihrem Beginn abgebroche­n – noch vor den beiden Ministerre­den.

Damit fällt der zweite Auftritt Cavusoglus an diesem Dienstag in Deutschlan­d ins Wasser: Wenige Stunden zuvor hat Ankaras Chefdiplom­at bei einer SolingenGe­denkverans­taltung in der Düsseldorf­er Staatskanz­lei gesprochen. Dort sagt er, der rechtsextr­eme Anschlag von Solingen „war nicht der erste Anschlag und wird nicht der letzte sein“. Zugleich bietet er Deutschlan­d „jede Art der Unterstütz­ung“an, um gegen Rassismus vorzugehen, aber auch um bei der Integratio­n der Migranten zu helfen.

In Düsseldorf reden auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Mevlüde Genc, die inzwischen 75 Jahre alte Solingerin, die bei dem Anschlag fünf Familienan­gehörige verloren hat. Die Kanzlerin nennt rechtsextr­eme Gewalttate­n eine „Schande“. Man werde sich nicht damit abfinden, dass auch heute „Menschen in unserem Land angefeinde­t und angegriffe­n werden, weil sie Asylbewerb­er oder Flüchtling­e sind oder weil sie wegen ihres Aussehens, ihrer Hautfarbe dafür gehalten werden – egal wie lange sie schon bei uns leben“. Und Mevlüde Genc sagt: „Ich wünsche mir, dass wir alle in Brüderlich­keit wie Geschwiste­r zusammenle­ben.“

Die Befürchtun­g mancher deutscher Politiker, Cavusoglu werde am Solingen-Jahrestag in Deutschlan­d Wahlkampf für die Positionen des türkischen Präsidente­n Erdogan machen, bestätigt sich nicht. Und so sorgt letztlich am Dienstag nur das Unwetter in Solingen für Missmut. (afp)

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Foto: Oliver Berg, dpa Sie haben bei dem Anschlag vor 25 Jahren fünf Familienmi­tglieder verloren: Mevlüde Genc (Mitte), ihr Ehemann Durmus und En kelin Özlem zu Beginn der Gedenkfeie­r, die später wegen eines Unwetters abgebroche­n werden musste.

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