Wertinger Zeitung

Warum es so wenige Hausärzte gibt

Roman Ruef ist seit Februar in Dillingen tätig. Der 28-Jährige weiß, warum er eine Ausnahme ist

- VON CORDULA HOMANN

Ein junger Hausarzt schildert seinen Alltag mit 50 Patienten am Tag, vielen Vorgaben und wenig Freiheiten.

Dillingen Viele Hausärzte im Landkreis nehmen kaum noch neue Patienten auf. Die Wartezimme­r sind voll. Termine sind schwer zu kriegen. Mediziner-Nachwuchs auch.

Jede Woche schließt in Bayern eine Hausarztpr­axis ohne Nachfolger. Anders in Dillingen: Dank der Ausbildung junger Ärzte am Dillinger Lehrkranke­nhaus St. Elisabeth hat es unter anderem Roman Ruef aus Burghausen bei Altötting in den Landkreis gelockt. Nach seinem fünfjährig­en Studium an der Münchner Uni kam er für sein Praktische­s Jahr (PJ) nach Dillingen, lernte das Krankenhau­s und das Hausärztet­eam Dr. Alexander Zaune und Dr. Kristina Schoger kennen. Ohne die beiden, betont er, wäre er nicht in Dillingen geblieben. Doch seit Februar gehört er auch zum Team, zunächst noch als „Arzt in Weiterbild­ung“. Er war hochwillko­mmen. Denn obwohl sich die Rahmenbedi­ngungen etwa durch die hausarztze­ntrierte Versorgung (HzV) verbessert hätten – junge Hausärzte sind rar.

Direkt an seinem ersten Arbeitstag behandelte er 25 Patienten – „und keiner kannte mich“. Es gibt Vormittage, da suchen 50 Menschen allein bei Roman Ruef Rat, bei seinen beiden Kollegen sieht es genauso aus. Die Umstellung war hart. In den ersten zwei Wochen war der 28-Jährige platt. „Dann gewöhnt man sich daran. Das Medizinisc­he ist auch kein Problem, die Ausbildung in Dillingen ist hervorrage­nd. Es hapert eher an den vielen Strukturen im Gesundheit­swesen der gesetzlich­en Krankenver­sicherung.“Die macht dem jungen Mann und seinen Kollegen massiv zu schaffen. Ruef wird konkreter: „Überbürokr­atisch sind die Regelungen bei Heilmittel­verordnung­en, also Physiother­apie, etwa bei einem Bandscheib­envorfall.“Nicht die Diagnose sei das Problem, sondern die Therapiema­ßnahmen sowie die Wartezeite­n.

Ruef musste sich mit einem 99-Seiten-Vortrag über die korrekte Verordnung­sweise nur von Heilmittel­n beschäftig­en, um zu wissen, wie man bei diesem Patienten eine Krankengym­nastik gegenüber den Kostenträg­ern rechtferti­gt. „Es ist unglaublic­h aufwendig, die Rezepte dauerhaft korrekt auszustell­en, vor allem für uns junge Ärzte“, klagt Ruef. Dadurch wird die Behandlung extrem komplizier­t und erschwert. Was den jungen Arzt am meisten stört: die immensen Kontroll-Systeme von Krankenkas­sen und den politisch Verantwort­lichen, etwa des des GBA (gemeinsame­r Bundesauss­chuss), die von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g umzusetzen sind.

Ein anderes Beispiel: Obwohl es ein tragbares Ultraschal­lgerät in der Praxis etwa für Hausbesuch­e gibt, kann Ruef es nicht nutzen. Die Leistung kann im Kassensyst­em nicht erbracht werden, weil es dort einfach nicht vorgesehen ist. Und was nicht über Kasse abgerechne­t werden kann, dürfe man ja gar nicht als Leistung erbringen, sondern müsste man privat abrechnen.

Weiter meint Ruef: „Wir tragen als Ärzte das volle unternehme­rische Risiko, doch haben eher wenig Freiheiten.“Das Sozialgese­tzbuch setze Wirtschaft­lichkeit über opti- male Behandlung. Deswegen funktionie­re das Modell Einzelprax­is auf dem Land auch nicht mehr lange. Man habe schließlic­h auch Verantwort­ung für die Mitarbeite­r, für die Familie; da müsse man eben auch wirtschaft­lich handeln. Für jede Unterschri­ft hafte der Arzt voll und im Rahmen einer GbR sogar mit seinem Privatverm­ögen.

Ruef ist auch Arzt für Notfallmed­izin. Über die Pläne, Notaufnahm­en zu schließen (wir berichtete­n), kann er nur den Kopf schütteln. Er weiß, wie wichtig die Notaufnahm­en sind, auch wenn sie den Haushalt des Landkreise­s belasten: „Ohne eine Notfallmed­izin ist die Klinik tot. Dann gibt es auch keine Weiterbild­ung für Notärzte – dabei sind die Rettungsdi­enste ohnehin schon am Limit.“

Doch wenn man die Menschen dort versorgen will, wo sie wohnen – und das muss man, weil viele nicht irgendwohi­n können – braucht man mehr Hausärzte auf dem Land. Und die gibt es nur, wenn es Kliniken vor Ort gibt.

Dafür müssen die Rahmenbedi­ngungen stimmen. Der Numerus Clausus, der nur einen Bruchteil der besten Abiturient­en zum Medizinstu­dium zulässt, sei nicht das Entscheide­nde, sondern, dass Leute Medizin studieren können, die Menschen behandeln wollen. Und dann auf dem Land, wie in Dillingen, das Praktikum machen lassen. „Dillingen kennt man in München“, sagt Ruef. Dank des erfolgreic­hen Ausbildung­skonzepts Allgemeinm­edizin Dillingen, begründet von Dr. Ulrike Bechtel in Dillingen und Professor Antonius Schneider in München. Neben seiner Arbeit in der Hauspraxis ist Ruef auch im Team der neuen Bereitscha­ftspraxis am Dillinger Krankenhau­s. Er tat schon Dienst in der kleinen Praxis im Erdgeschos­s, hatte aber wenig zu tun. Damit meint Ruef 30 Patienten in wenigen Stunden. Der erste Einsatz beim Fahrdienst hatte es auch in sich: Von zu Hause in Amerdingen ging es nach Rain am Lech, von dort über Monheim nach Holzheim bei Thierhaupt­en und dann wieder heim: Ein Baby mit fieberhaft­em Infekt, ein Mann mit Bauchschme­rzen nach einer OP und eine Leichensch­au.

Wer krank ist, aber kein Notfall, erfährt unter der Nummer 116117 beim ärztlichen Bereitscha­ftsdienst, wo ein entspreche­nder Fach- oder Hausarzt gerade Dienst hat, oder ob er (außerhalb der normalen Sprechzeit­en) zur hausärztli­chen Bereitscha­ftspraxis nach Dillingen fahren kann. Ist ihm das nicht möglich, kommt bei bestimmten Fällen ein Arzt bei ihm vorbei. „Ich kriege eine SMS auf mein Handy und rufe den Patienten dann an, um zu klären, was los ist. Wenn es ein Notfall ist, schicke ich den Rettungsdi­enst“, schildert Ruef ein Beispiel. Einmal hieß es, der Patient hätte Durchfall. Doch vor Ort stellte Ruef schnell fest: Der Mann hatte eine Blutvergif­tung. Er wäre fast gestorben. „Ich habe oft schon Leute während meines Fahrdienst­es in die Notaufnahm­e geschickt.“

Deswegen sieht Ruef auch Telemedizi­n kritisch. Selbst wenn man mit dem Patienten skypen würde, also ein Video-Telefonat führt – wie leicht könne dabei etwas übersehen werden? Wie sieht es rechtlich aus, wenn etwas passiert?

Es sei keine „schöne Medizin“, wenn man den Menschen nicht im Ganzen wahrnehmen kann. Aber genau das ist es, was Ruef an seinem Beruf begeistert: Patienten kennenzule­rnen und ihr Leben lang medizinisc­h zu begleiten. Die privaten Rahmenbedi­ngungen für die Zukunft könnten nicht besser sein: Der 28-Jährige hat sich verliebt und im Landkreis Donau-Ries ein Haus gekauft.

Die berufliche­n Rahmenbedi­ngungen sind verbesseru­ngswürdig – und das werden laut Ruef auch eines Tages die Patienten spüren. Zum Beispiel dann, wenn man keinen Hausarzt mehr findet, der einen noch behandelt. Einfach, weil es zu wenige gibt. Offiziell soll es 17 Hausärzte im Landkreis Dillingen geben, tatsächlic­h seien es neun.

 ?? Foto: Cordula Homann ?? Roman Ruef ist seit Februar als Hausarzt in Dillingen tätig. Der 28 Jährige stammt aus Burghausen bei Altötting und kam zu nächst für ein Praktische­s Jahr nach Dillingen. Jetzt ist er fester Bestandtei­l des Ärzteteams.
Foto: Cordula Homann Roman Ruef ist seit Februar als Hausarzt in Dillingen tätig. Der 28 Jährige stammt aus Burghausen bei Altötting und kam zu nächst für ein Praktische­s Jahr nach Dillingen. Jetzt ist er fester Bestandtei­l des Ärzteteams.

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