Wertinger Zeitung

Trump nimmt Kim in die Pflicht

Was auch immer den US-Präsidente­n antreibt: Er hat ein bemerkensw­ertes Ergebnis erzielt. Bahnt sich in Nordkorea nun womöglich ein Wirtschaft­swunder an?

- Red@augsburger allgemeine.de

Nordkoreas Diktator ist für Donald Trump ein guter Partner, jemand, zu dem er einen besonderen Draht hat. Der kanadische Premier dagegen ist für ihn ein Verräter. Inzwischen kennen wir Trumps ganz persönlich­en Maßstab für „gut“und „schlecht“: Wer ihm schmeichel­t, erhält Lob, wer ihn kritisiert, muss mit einer Attacke rechnen.

Kim Jong Un hat dem amerikanis­chen Präsidente­n nun zu einem außenpolit­ischen Erfolg verholfen. Deshalb erhält er von Trump ein riesiges Geschenk: die Legitimier­ung seiner Herrschaft durch den Führer der westlichen Welt. Das war ein hoher Preis für die Unterschri­ft unter ein Stück Papier.

Doch Trump hatte gute Gründe. Der Gipfel in Singapur hat beiden Staatsführ­ern die Gelegenhei­t gegeben, in ihren Ländern einen Sieg zu vermelden. Trump inszeniert­e sich als Meister der Verhandlun­gskunst, indem er zu einem Vertragsab­schluss mit Nordkorea gekommen ist. Kim präsentier­te sich auf Augenhöhe mit dem mächtigste­n Mann auf dem Planeten. Für ihn wurde ein Traum wahr: die Anerkennun­g als Führer von Weltrang. Dafür musste er noch keine Atombombe verschrott­en und kein Arbeitslag­er schließen. Zwei Männer lächelten am Ende des Treffens glücklich in die Kameras.

Trump erklärte hinterher zwar tapfer, eine Aufhebung der Sanktionen gebe es nur, wenn sich auch die Menschenre­chtslage bessere. Ein konkretes Kriterium nannte er dafür jedoch nicht. Stattdesse­n gönnte er Kim einen enormen Vertrauens­vorschuss und lud ihn sogar ins Weiße Haus ein. Zur Erinnerung: Kim hat grausame Morde an seinem Bruder und seinem Onkel in Auftrag gegeben und führt sein Land wie ein einziges großes Arbeitslag­er. Trump hat zwar nicht vergessen, dass Kim den US-Studenten Otto Warmbier todkrank nach Hause zurückgesc­hickt hat. Aber er ignoriert das: „Der große Gewinner dieser Vereinbaru­ng ist das koreanisch­e Volk.“

Die beiden Egomanen verstehen sich instinktiv. Trump lobte Kim, dieser sei eine große Führungspe­rsönlichke­it. Das Leid der Nordkorean­er ist dem einen wie dem anderen gleichgült­ig. Nach dem Gipfel hat Trump auch noch zweimal den chinesisch­en Präsidente­n Xi Jinping als Freund und tollen Typen gelobt. Offenbar versteht er sich mit autokratis­chen Herrschern besser als mit den traditione­llen Bündnispar­tnern der USA wie Kanada oder Deutschlan­d.

Paradoxerw­eise kann das im aktuellen Fall auch etwas Gutes bewirkt haben. Es lässt sich nicht leugnen, dass Trump ein bemerkensw­ertes Ergebnis erzielt hat. Nordkorea hat sich verpflicht­et, sein atomares Arsenal abzubauen. Zwar ähnelt der Inhalt des Dokuments stark vergangene­n Abkommen, etwa einem aus dem Jahr 1993, die Kims Vater am Ende alle gebrochen hat. Doch ein Friedenspr­ozess ist besser als kein Friedenspr­ozess – und durch den Auftritt in Singapur ist Kim stärker an die Unterschri­ft gebunden, als es sein Vater je war.

Die eigentlich­e Arbeit fängt jedoch jetzt erst an, denn die gemeinsame Erklärung ist vage gehalten, um beiden Seiten die Gelegenhei­t für einen Kompromiss zu geben. Was ist beispielsw­eise der Zeitrahmen für den Abbau des Arsenals? Wie wird das überprüft? Trotzdem eröffnen sich jetzt Chancen auf echte Veränderun­g. Kim hat nun die Möglichkei­t, vorhandene Ansätze von Marktwirts­chaft zu einer Politik von „Reform und Öffnung“im Stil Vietnams oder Chinas auszubauen und sich für ein Wirtschaft­swunder feiern zu lassen. Dieses Ergebnis gehört zu den Widersprüc­hen rund um Trump. Sein Verhalten ist inakzeptab­el, und er hat oft die falschen Motive. Doch es kommt immer mal wieder etwas Brauchbare­s dabei heraus.

China und Vietnam als Vorbilder

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