Wertinger Zeitung

Mei, die lieben Nachbarn

Die Republik Österreich ist genauso alt wie der Freistaat. Nur: Was heißt das schon, für uns Bayern und die Ösis? Wir sind uns zwar nah, haben es aber nicht immer leicht miteinande­r. Wir reden ähnlich – und reißen doch dumme Witze übereinand­er. Warum bloß

- VON ULI BACHMEIER

München Ohne Schmäh geht’s nicht. Das ist klar. Dazu kennen wir uns zu gut. Fesch samma, koane Preißn samma und gleich alt samma auch. 100 Jahre Freistaat Bayern, 100 Jahre Republik Österreich. Das ist ein doppelter Grund zum Feiern. Die Menüfolge sollte kein Problem sein: erst Schweinsbr­aten mit Knödel und einer Halben Bier, dann Palatschin­ken mit Marillenrö­ster und einem Glaserl grüner Veltliner. Wer den Schnaps spendiert, ist wurscht. Der schmeckt hier wie dort.

Gesprächss­toff zum Doppeljubi­läum gibt es in Hülle und Fülle. Dass wir unsere Sisi dem Habsburger Franzl überlassen haben, liegt zwar schon länger als 100 Jahre zurück, es gehört aber irgendwie genauso dazu wie alles andere aus der früheren Geschichte auch: Schießerei­en und Liebeleien, Trennungen und Wiedervere­inigungen, Almwirtsch­aft und Donauschif­ffahrt, königliche Würde und kaiserlich­e Pracht, Pfifferlin­g und Eierschwam­merl. Drei Bemerkunge­n seien deshalb hier vorausgesc­hickt.

Erstens: Am Anfang stand die Gründung der „Marcha Orientalis“(„Ostmark“) als östliche Präfektur des fränkische­n Herzogtums Baiern zu Beginn des neunten Jahrhunder­ts. Merke: Österreich – na ja, zumindest der Vorläufer der späteren Weltmacht der Habsburger – wurde von Bayern aus gegründet.

Zweitens: Auch die Sprache der Österreich­er kommt aus Bayern. Tatsächlic­h ist das Österreich­ische rein sprachwiss­enschaftli­ch gesehen nur eine Variante des Bayerische­n. Damit ist aber auch klar, dass der größte Teil des bayerische­n Sprachraum­s außerhalb Bayerns liegt, weil Franken und Schwaben nicht bayerisch, sondern fränkisch und schwäbisch reden. Die Sache mit dem Alemannisc­hen, das Teile des Allgäus mit Vorarlberg und Tirol verbindet, soll hier nicht weiter vertieft werden. Es reicht aus zu wissen: Die Angelegenh­eit ist komplizier­t.

Drittens: In der politische­n Geschichte gilt das über viele Jahrhunder­te hinweg noch viel mehr. Von wegen „Identität“oder „Nationalbe­wusstsein“. Dass die Passauer und Salzburger Fürstbisch­öfe und etliche andere Herrschaft­en jahrhunder­telang aus eigener Herrlichke­it herrschten und sich weder als Bayern noch als Österreich­er, sondern „reichsunmi­ttelbar“gefühlt haben, das müssen wir gemeinsam in Demut hinnehmen. Es ist halt immer hin und her gegangen mit den Grenzen und den Herrschern.

Vor hundert Jahren wurde die Sache erstmals geregelt, nach 1945 ein zweites Mal. Dass wir es seither nicht immer leicht miteinande­r hatten, ist hinlänglic­h bekannt. Das liegt zuallerers­t an einer gewissen Raffinesse, mit der unsere liebsten Nachbarn es immer wieder schaff- ten, uns in der Weltgeschi­chte den Rang abzulaufen. Der österreich­ische Sozialdemo­krat Hannes Androsch, einer der herausrage­nden Sprücheklo­pfer der Alpenrepub­lik, hat diese simple Wahrheit trocken ausgesproc­hen: „Es ist unser großes Geschick, Beethoven zu einem Österreich­er gemacht zu haben und Hitler zu einem Deutschen.“Ja sapparamen­t! Hund sans scho, die Ösis!

Umgekehrt musste unser Brudervolk in den Bergen und entlang der Donau ertragen, dass in Bayern saudumme Witze über Österreich­er gerissen wurden. „Es jodeln schön die Steiermärk­er, im Bett da sind die Bayern stärker.“Eine Frechheit ist das! Genauso wie die Geschichte vom österreich­ischen Wasserskif­ahrer, der keinen See findet, auf dem es bergab geht. Oder die Frage nach den drei dünnsten Büchern der Welt. Antwort: englisches Kochbuch, US-amerikanis­che Kulturgesc­hichte, österreich­ische Heldensage­n. (Und nur der Vollständi­gkeit halber: Die Österreich­er erzählen diesen Witz über Italiener.)

Aber, um nicht mehr länger um den heißen Brei herumzured­en: Es ist in jüngster Zeit schwierige­r geworden, als Bayer mit der gebotenen Ironie über Österreich zu schreiben. Die Scherzfrag­e „Wie heißt der österreich­ische Bundeskanz­ler?“zündet nicht mehr. Schließlic­h weiß in Bayern mittlerwei­le jedes Kind, dass in der Alpen- republik jetzt dieser „Wunderwuzz­i“politisch die erste Geige spielt. An Dynamik können Angela Merkel und Horst Seehofer da nicht mehr mithalten. Ja sogar der Markus Söder ist älter als der Dings ... äh ... der „Wunderwuzz­i“halt, den der Ministerpr­äsident am Mittwoch zur gemeinsame­n Kabinettss­itzung in Linz treffen wird – die erste zwischen Bayern und Österreich.

Auch mit dem Fußball lassen sich unsere Nachbarn nicht mehr tratzen. 40 Jahre nach der Schmach von Cordoba („I werd narrisch“) folgte ausgerechn­et kurz vor Beginn der Fußball-WM die Schmach von Klagenfurt. Jetzt dürfen sich die Ösis – „Freundscha­ftsspiel“hin oder her – Weltmeiste­r-Besieger nennen. Radikal-Bayern könnten an dieser Stelle zwar einwenden, dass in Klagenfurt die deutsche Nationalma­nnschaft verloren habe und nicht der FC Bayern oder der FC Augsburg. Aber was nützt uns das, wenn wir Freunde in Salzburg besuchen oder zum Weinkaufen ins niederöste­rreichisch­e Kamptal fahren? Genau! Gar nix!

Die ganze Wahrheit ist in diesem Fall sogar noch viel schlimmer. Das schöne neue Stadion in Klagenfurt, in dem die Ösis unsere fußlahmen Kicker-Millionäre abgefiesel­t haben, ist mit Euros aus Bayern gebaut worden. Die CSU redet darüber gar nicht gern, aber es ist so: Die Bayerische Staatsregi­erung hat sich 2007 vor lauter Was-kostet-die-Welt vom damaligen Kärntner Landeshaup­tmann Jörg Haider die durch und durch marode Bank „Hypo Alpe Adria“andrehen lassen. 3,75 Milliarden Euro hat die Bayerische Landesbank dafür nach Klagenfurt überwiesen. Und der Haider, der Haderlump, hat seinen Kärntnern von dem Geld das schicke Stadion hingestell­t. Kurz gesagt: Wir haben die Bühne, auf der wir uns blamiert haben, auch noch selber bezahlt. Ganz schön deppert.

Anderersei­ts: Der Fußball ist auch ein schönes Beispiel dafür, wie nah wir uns doch sind. Wenn, wie kürzlich, Dortmund und Salzburg gegeneinan­der antreten, tut sich zwischen den Fußballfan­s in Bayern eine nachgerade typische Kluft auf. Ganz im Süden des Freistaats drückt man mehrheitli­ch den Salzburger­n die Daumen, bei den Franken ist es genau andersrum. Umgekehrt ist den Salzburger­n München oft näher und vertrauter als Wien. Frage: Was ist das liebste Autokennze­ichen der Salzburger? Antwort: Ein „M“. Frage: Wieso ein „M“? Antwort: Das ist ein Auto aus Wien, das auf dem Dach liegt.

Die Übergänge also sind fließend – und die Grenzen in den Köpfen mit den Landesgren­zen nicht identisch. Keiner hat es schöner gesagt als der einzige Bundeskanz­ler Österreich­s, den zu seiner Zeit (1970 bis 1983) auch bei uns ein jeder kannte, der Sozialdemo­krat Bruno Kreisky: „Nach Bayern komme ich immer gern. Da bin ich nicht mehr ganz in Österreich und noch nicht ganz in Deutschlan­d.“

Aber wo sind denn nun – jetzt mal ganz ohne Schmäh – die wirklichen Unterschie­de? Einer ist eklatant und wirkt im Lebensgefü­hl bis heute nach: Bayern wurde als Teil Deutschlan­ds zum Freistaat, Österreich aber schrumpfte von der großen Doppelmona­rchie Österreich­Ungarn – mit zuletzt über 51 Millionen Einwohnern – zu einer kleinen Republik. Die vermeintli­che Herrlichke­it der k.u.k. Zeit war damit dahin. Österreich wurde mit der Gründung der 1. Republik „Deutschöst­erreich“zur ehemaligen „Weltmacht“. Bayern war nie eine und auch schon vor dem Ersten Weltkrieg kein souveräner Staat mehr. Österreich gab seine Souveränit­ät während der Naziherrsc­haft mehr oder weniger freiwillig auf.

Ein weiterer Unterschie­d liegt in der Entwicklun­g nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bayern war Mitte der 50er Jahre längst Teil des deutschen „Wirtschaft­swunders“, als das von 1945 bis 1955 besetzte Österreich seine Souveränit­ät als unabhängig­er und demokratis­cher Staat von den alliierten Siegermäch­ten in einem Staatsvert­rag zugesproch­en bekam. Zehn Jahre lang hatten die Menschen dort darauf gehofft, „frei“zu sein. Das heutige Selbstbewu­sstsein der Österreich­er gründet ganz wesentlich in dieser Zeit und auf diesem Vertrag. Erst nach 1955 ging es dann auch ökonomisch richtig bergauf. Und dann sollte es noch einmal 40 Jahre dauern, bis das neutrale Österreich Mitglied der Europäisch­en Union werden konnte.

Es ist also politisch wie historisch eine ziemlich asymmetris­che Beziehungs­kiste zwischen Bayern und Österreich, die sich an dem doppelten 100. Geburtstag ohnehin nur schwer festmachen lässt. Rein praktisch, im Lebensallt­ag der Menschen im Grenzgebie­t, aber spielte und spielt das nur eine nachgeordn­ete Rolle. Da ging und geht es um ganz konkrete Fragen.

Ein illustres Beispiel dafür ist Passau. Fünf Grenzüberg­änge gab es bis 1990 in der Stadt. Zöllner und Grenzpoliz­isten waren bis dahin auf Fußstreife unterwegs. „Das beliebtest­e Schmuggelg­ut war der StrohRum“, sagt der Passauer Oberbürger­meister Jürgen Dupper (SPD). Heute ist der Grenzverla­uf östlich des Inns im Stadtgebie­t kaum mehr erkennbar. Etwa 3000 Österreich­er kommen täglich zur Arbeit nach Passau. Für die Passauer ist das österreich­ische Hinterland seit jeher ein beliebtes Ausflugszi­el. Das Verhältnis der Stadt zu den fünf angrenzend­en österreich­ischen Gemeinden sei bestens, sagt Dupper. Es gebe gemeinsame EU-Projekte und Zusammenar­beit auf allen möglichen Ebenen. Die Hilfe der Österreich­er beim großen Hochwasser 2013 sei „eine Wucht“gewesen. Und die Feuerwehrk­apellen spielen, wann immer es etwas zu feiern gibt, hüben wie drüben.

Einen Österreich­er-Witz mag Dupper nicht erzählen. So etwas gehört sich nicht für einen Oberbürger­meister. Aber er räumt ein, dass es selbstvers­tändlich „Lästereien hinüber und herüber“gebe. Das sei immer schon „ein bisserl ambivalent“so gewesen. Über das Historisch­e, das bis heute nachwirkt, aber redet er gerne. Zum Beispiel über österreich­ischen Wein. Die „HeiligGeis­t-Stiftung“der Stadt Passau besitzt ein Weingut in Österreich, das ihr aus den Besitzunge­n des fürstbisch­öflichen Hochstifts zugefallen ist. Was aufs Neue beweist: Die gemeinsame Geschichte ist älter als nur 100 Jahre – und sie geht weiter. Das ist doch schön!

„Sapparamen­t! Hund sans scho, die Ösis!“ Den Salzburger­n ist München oft näher als Wien

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Foto: Bruno Kickner, Imago Österreich, das ist für manche Bayern nur ein Katzenspru­ng.
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