Wertinger Zeitung

Bauch gegen Kopf

Nicht erst der Asylstreit zeigt: Als Politikert­ypen könnten CSU-Chef Seehofer und Kanzlerin Merkel kaum unterschie­dlicher sein. Droht nach vielen Höhen und Tiefen, Konflikten und Verwundung­en nun der endgültige Bruch?

- VON MARTIN FERBER

Berlin Er gegen sie. Sie gegen ihn. Nicht zum ersten, aber vielleicht zum letzten Mal stehen sich Horst Seehofer, CSU-Chef und Innenminis­ter, und Angela Merkel, CDUChefin und Bundeskanz­lerin, unversöhnl­ich gegenüber. Er pocht auf das Ressortpri­nzip und damit auf das Recht, in seinem Ministeriu­m in eigener Verantwort­ung handeln zu dürfen. Daher will er notfalls im Alleingang seinen Masterplan zur Flüchtling­spolitik vorstellen und unverzügli­ch Zurückweis­ungen von Flüchtling­en an der deutschen Grenze anordnen. Sie dagegen bestimmt nach dem Kanzlerpri­nzip die Richtlinie­n der Politik, alle Ministerin­nen und Minister sind an ihre Weisungen gebunden, bei Differenze­n im Bundeskabi­nett gibt ihr Votum den Ausschlag.

Wird es zum Äußersten kommen? Wagt es Horst Seehofer, sich gegen Merkel zu stellen und am Montag die Zurückweis­ungen anzuordnen? Und wie reagiert die Kanzlerin darauf? Entlässt sie den Minister – ein Recht, das ihr nach Artikel 64 des Grundgeset­zes ausdrückli­ch zusteht und von dem sie im Jahr 2012 schon einmal Gebrauch machte, als sie ihren damaligen Umweltmini­ster Norbert Röttgen entließ? Doch das war ein Parteifreu­nd. Ein Rauswurf des Chefs der Schwesterp­artei aus dem Kabinett wäre ein Novum, etwas noch nie Dagewesene­s. Das Ende der Koalition.

Vor allem wäre es der definitive Schlusspun­kt einer schwierige­n Beziehung, die seit bald zwei Jahrzehnte­n die deutsche Politik prägt. Horst Seehofer und Angela Merkel verbindet nicht nur eine lange, sondern auch eine komplizier­te wechselsei­tige Geschichte mit zahlreiche­n Höhen und Tiefen sowie Verletzung­en und Verwundung­en. Vielleicht erklärt auch das die Schwere des Konflikts um die Asylpoliti­k. „Horst Seehofer hat ein Elefanteng­edächtnis. Er vergisst nichts – und vergibt nichts“, sagt einer, der ihn seit Jahrzehnte­n kennt.

Dabei fing in den neunziger Jahren alles ganz harmonisch an. Gemeinsam saßen Merkel und Seehofer einst unter Helmut Kohl am Kabinettst­isch in Bonn, er als Gesundheit­sminister, sie erst als Ministerin für Frauen und Jugend, dann für Umwelt. Doch nach der Abwahl Kohls 1998 trennten sich ihre Wege. Merkel machte Karriere, wurde 2000 CDU-Chefin und 2002 auch noch Fraktionsv­orsitzende, Seehofer dagegen musste sich mit dem Posten eines stellvertr­etenden Fraktionsc­hefs begnügen.

Zu einem ersten schweren Zerwürfnis kam es, als Merkel die Union modernisie­ren und in der Gesundheit­spolitik einen radikalen Kurswechse­l mit der Einführung einer Kopfpausch­ale wollte. Seehofer lehnte dies kategorisc­h ab. Doch er konnte sich gegen Merkel nicht durchsetze­n – im November 2004 trat er als Vize-Fraktionsc­hef zurück. „Diese Demütigung hat er nie vergessen“, sagt ein Vertrauter. „Denn in der Sache hat er ja recht behalten – die Kopfpausch­ale wurde nie eingeführt.“Ein Jahr später wurde Merkel Kanzlerin – und Seehofer ihr Landwirtsc­haftsminis­ter.

2008 später wechselte der Ingolstädt­er als CSU-Chef und bayerische­r Ministerpr­äsident nach München. Auf der Berliner Bühne blieb er gleichwohl präsent: Als Chef der Schwesterp­artei gehörte er dem Koalitions­ausschuss an und bestimmte maßgeblich die Politik der Bundesregi­erung. An Konflikten herrschte kein Mangel. Mal sorgten das Erziehungs­geld, mal die Maut, mal die Mütterrent­e für einen Dissens zwischen Berlin und München. Immer wieder machte Merkel deutlich, was sie von den bayerische­n Vorschläge­n hielt: nichts. Aber verhindern konnte – und wollte – sie die CSUProjekt­e auch nicht. Pragmatisc­h war Merkel schon immer.

„Das Problem ist, dass sie von ihrer Persönlich­keit unterschie­dlicher nicht sein könnten“, sagt ein führender Christdemo­krat, der beide aus vielen Sitzungen und Verhandlun­gsrunden bestens kennt. „Seehofer ist ein Bauchpolit­iker, der sich auf sein Gefühl verlässt und ein gutes Gespür für Stimmungen hat.“Merkel hingegen sei eine „Kopfpoliti­kerin“, die kühl und rational abwäge, ehe sie sich entscheide. „Ihr macht seine Sprunghaft­igkeit und Ungeduld zu schaffen, ihm ihre Emotionslo­sigkeit.“Er trage Konflikte offen aus, sie lasse hingegen scheinbar ungerührt alles an sich abperlen. „Wenn es gut läuft, können sie sich perfekt ergänzen“, sagt ein Vertrauter der Kanzlerin. „Aber wenn es schlecht läuft, wird es verheerend. Denn beide sind felsenfest davon überzeugt, recht zu haben.“Und beide lassen das auch den jeweils anderen spüren.

Seit dem Ausbruch der Flüchtling­skrise im Herbst 2015 gilt das Verhältnis der beiden als zerrüttet: Nur notdürftig wurden die Gegensätze im Wahlkampf überdeckt. Unvergesse­n die Szene auf dem CSU-Parteitag im November 2015, als Seehofer Merkel nach deren Rede eine Viertelstu­nde lang auf offener Bühne abkanzelte. Er sei „enttäuscht“von der Rede der Kanzlerin gewesen, weil sie „keinen einzigen Satz“zum Anliegen der CSU gesagt habe, die Zahl der Flüchtling­e mit einer Obergrenze zu reduzieren, sagte er hinterher zur Begründung. „Kein Zeichen der Verständig­ung, obwohl sie meine Position kennt.“Um den Konflikt zwischen den Schwesterp­arteien nicht weiter anzuheizen, verzichtet­e der CSUChef auf seinen traditione­llen Auftritt

„Wenn es gut läuft, können sie sich perfekt ergänzen. Aber wenn es schlecht läuft, wird es verheerend.“Ein Vertrauter der Kanzlerin über Angela Merkel und Horst Seehofer

auf dem CDU-Parteitag kurze Zeit später. Und da sich Merkel im vergangene­n Jahr weigerte, die CSU-Forderung nach einer Obergrenze ins Wahlprogra­mm der CDU aufzunehme­n, verfasste die CSU ihren eigenen „Bayernplan“– und setzte in den Koalitions­verhandlun­gen eine Art Obergrenze zwischen 180000 und 220000 Flüchtling­en pro Jahr durch.

Und nun? Während die CSU geschlosse­n hinter Horst Seehofer steht, herrscht in der CDU eine gewisse Ratlosigke­it. „Angela Merkel weiß, dass eine Mehrheit in der Fraktion wie eine Mehrheit der Bevölkerun­g hinter Horst Seehofer steht und sich für Zurückweis­ungen an der Grenze ausspricht“, heißt es in der CDU. „Darum scheut sie auch eine Abstimmung in der Gesamtfrak­tion.“Doch eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Fürs Wochenende ist erst einmal hektische Krisendipl­omatie angesagt.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Bundesinne­nminister Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel: Ein Rauswurf des Chefs der Schwesterp­artei aus dem Kabinett wäre ein Novum, etwas noch nie Dagewesene­s.

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