„Wir sind beide mit Humor ausgestattet“
Die Justizministerin macht im Gespräch mit unserer Zeitung kein Hehl daraus, dass sie von Innenminister Horst Seehofer politisch einiges trennt. Zwischenmenschlich jedoch scheint es keine Probleme zu geben
Frau Barley: Überlastete Richter, lange Verfahren, der Skandal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – laut Umfragen sinkt das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Wie wollen Sie diese gefährliche Entwicklung aufhalten? Katarina Barley: Zunächst einmal gilt, dass wir in Deutschland eine hervorragende Justiz haben, um die uns viele Länder beneiden. Aber leider gab es Zeiten, in denen ein schlanker Staat propagiert wurde und viele Stellen bei den Gerichten und bei der Polizei weggespart wurden. Zum Glück hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass dieser Weg falsch ist. Wir werden die Länder, die ja in erster Linie dafür zuständig sind, dabei unterstützen, die Leistungsfähigkeit der Justiz noch weiter zu verbessern. In den Koalitionsverhandlungen haben wir deshalb den „Pakt für den Rechtsstaat“beschlossen, der allein 2000 zusätzliche Richterstellen sowie weiteres Personal vorsieht. Hinzu kommen 15000 zusätzliche Polizisten. Genauso wichtig ist es, denen entgegenzutreten, die unseren Rechtsstaat schlechtreden. Dafür planen wir eine Kampagne für den Rechtsstaat.
Horst Seehofer hat im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise von einer „Herrschaft des Unrechts“gesprochen. Jetzt ist er Innenminister und fährt eine harte Linie in der Asylpolitik und in der Terrorbekämpfung. Wie sehr knirscht es zwischen Ihnen? Barley: Das Innen- und das Justizministerium sind klassische Gegenpole in einer Regierung. Sicherheit ist wichtig, aber darf nicht die Freiheitsrechte infrage stellen. Bisher hat Seehofer seine Pläne als Innenminister ja noch nicht konkretisiert. Sobald er das tut, werde ich mir seine Vorschläge genau anschauen.
Meinen Sie damit Seehofers „Masterplan Migration“, über den die Union gerade so heftig streitet? Barley: Wir kennen wie gesagt noch keine konkreten Pläne. Aber wir haben ja einen Koalitionsvertrag und an den halten wir uns.
Was halten Sie von Seehofers Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland? Barley: Diese Diskussion ist wie das Ungeheuer von Loch Ness, das immer wieder auftaucht. In Deutschland herrscht Religionsfreiheit, wer im Einklang mit dem Grundgesetz hier lebt, wird in der Ausübung seines Glaubens nicht eingeschränkt, ob das nun der christliche, muslimische oder jüdische ist. Und natürlich gehören Muslime zu Deutschland, das weiß Horst Seehofer auch.
Wie kommen Sie persönlich mit Horst Seehofer aus? Verbindet Sie etwas? Barley: Wir haben ganz unterschiedliche politische Grundpositionen. Ich denke, das wird auch deutlich. Wir sind allerdings beide mit einer guten Portion Humor ausgestattet. Das hilft auch in der Politik immer weiter.
Auch wenn CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt von einer AntiAbschiebe-Industrie spricht? Barley: Der Rechtsstaat eröffnet bestimmte Wege und die zu nutzen, ist eben Teil dieses Rechtsstaats. Es ist problematisch, in diesen Zeiten, in denen der Staat von Rechtspopulisten angefeindet wird, so zu tun, als stehe es bestimmten Menschen nicht zu, gegen einen Verwaltungsakt zu klagen. Ich weiß nicht, was er damit unterstellen will. Seit Alexander Dobrindt nicht mehr Minister ist, werden seine Worte immer markiger. Dass er die Mittel unseres infrage stellt, halte ich für gefährlich.
Unbestritten ist natürlich , dass die Verwaltungsgerichte vor einem riesigen Berg nicht erledigter Asylanträge stehen ... Barley: Wir müssen dafür sorgen, dass die Verfahren beschleunigt werden. Die vielen Asylanträge in den vergangenen Jahren haben natürlich auch die Anzahl der Klagen gegen Entscheidungen erhöht. Das ging mit einer Belastung der Justiz einher. Wir brauchen deshalb dringend Leiturteile bei Asylverfahren. Wenn bestimmte, typische Fälle von einer höheren Instanz beurteilt werden, entsteht mehr Rechtssicherheit für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle, was auf mittlere Sicht ebenfalls zu einer Verfahrensbeschleunigung beitragen wird.
Halten Sie auch eine Reform des Asylrechts für nötig? Barley: Das müssen wir auf europäischer Ebene regeln, das ist der richtige Ort dafür. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen kann, in Europa zu einer Flüchtlingspolitik zu kommen, die Humanität und Kontrolle verbindet. Wie viel Kontrolle nötig ist, ist in ihrer Partei nicht unumstritten. SPD-Chefin Andrea Nahles wurde ja intern heftig kritisiert für ihren Satz: „Wir können nicht alle bei uns aufnehmen.“Wie stehen Sie dazu? Barley: Das ist doch eine Binsenweisheit, das stellt überhaupt niemand infrage. Aber die SPD ist eben eine diskussionsfreudige Partei, das ist ja erfreulich. Und deshalb bin ich überzeugt, dass wir auch aus dem Umfragetief wieder herauskommen. Dazu leisten wir in der Regierung mit guter Politik unseren Beitrag.
Sie wollen ja die Mietpreisbremse reparieren, die nicht richtig greift. Wie? Barley: Vermieter müssen künftig offenlegen, wie hoch die Miete beim Vormieter war, wenn sie mehr verlangen als von der Mietpreisbremse vorgesehen. So sieht der neue Mieter sofort, ob er zu viel bezahlen soll. Wir werden auch verhindern, dass Vermieter nach Modernisierungen unverhältnismäßig zulangen. Ich kenne zum Beispiel den Fall einer älteren Frau aus München, deren Miete nach Umbauten von 700 Euro auf mehr als 2000 Euro gestiegen ist. Davor schützen wir Mieter. Künftig werden wir die Umlagen von ModerRechtsstaates nisierungen auf die Mieter deckeln. Die gewaltige Mietpreisexplosion ist eine der drängendsten sozialen Fragen.
Wie stehen die Chancen, dass Autokäufer, die vom VW-Dieselskandal betroffen sind, entschädigt werden? Barley: Wir haben die Musterfeststellungsklage, die „Eine-für-alleKlage“, jetzt im Bundestag beschlossen. Damit ist das erste große Vorhaben der Großen Koalition umgesetzt, darauf bin ich durchaus stolz. Und wir haben so aufs Tempo gedrückt, damit die Käufer von Dieselautos mit Schummelsoftware noch zu ihrem Recht kommen. Viele Ansprüche verjähren ja Ende des Jahres. Gedacht ist das Modell aber vor allem für die vielen Fälle ganz alltäglicher Abzocke, wo Verbraucher etwa über versteckte oder unzulässige Gebühren um vergleichsweise kleine Beträge geschädigt werden und die Hemmschwelle zu klagen hoch ist.
Wie viel Macht hat die Justiz gegenüber Internet-Giganten wie Facebook, die Nutzerdaten heimlich weitergeben? Barley: Ich hatte mehrere Gespräche mit Facebook-Verantwortlichen, und mein Eindruck ist, dass die sehr wohl verstanden haben, dass wir mit der neuen Datenschutzgrundverordnung jetzt ein ziemlich scharfes Schwert in der Hand haben. Das Regelwerk sieht für Verstöße im Vergleich zu früher nun wirklich empfindliche Strafen vor: bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes, das wären bei Facebook etwa 1,5 Milliarden Euro, das sind keine Peanuts. Wir werden gleichzeitig auch rasch dafür sorgen, dass wir das Abmahnungswesen, das schon viel zu lange grassiert, beenden.
In den sozialen Medien verfestigen sich einseitige Weltbilder. Macht Ihnen das nicht Sorgen? Barley: Sehr sogar. Wer etwa im Internet nach Informationen zu Impfschäden sucht, wird immer mehr und mehr impfskeptische Beiträge finden. Das halte ich für bedenklich. Warum sollten, um beim Beispiel zu bleiben, Impfgegner nicht auch mal Berichte über die Erfolge von Impfungen im Kampf gegen gefährliche Krankheiten angezeigt bekommen? Es wird ja keiner gezwungen, das dann auch zu lesen. Ob und wie man das gesetzlich regeln kann, lohnt sich zu diskutieren.
Interview: Bernhard Junginger